Dem legitimen privaten Interesse an einem länderübergreifenden Wechsel des Wohnorts kann bei geduldeten Ausländern durch die Erteilung einer Zweitduldung Rechnung getragen werden. Dies gilt auch nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags zumindest bei einer Änderung der Wohnsitzauflage (hier vom Regierungsbezirk zum Bundesland).
[...]
Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung der von ihm begehrten weiteren Duldung gegenüber dem Beklagten zu, die ihm einen dauerhaften länderübergreifenden Wechsel seines Aufenthalts nach Berlin ermöglicht.
Anders als das Asylverfahrensgesetz (vgl. § 51 AsylVfG), enthält das Aufenthaltsgesetz keine ausdrückliche Regelung für eine länderübergreifende Umverteilung eines vollziehbar ausreisepflichtigen, aber geduldeten Ausländers, dessen Aufenthalt gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf das Gebiet des Landes beschränkt ist, d.h. des Bundeslandes, dessen Ausländerbehörde eine Duldung erteilt hat oder für sonstige ausländerbehördliche Maßnahmen gegenüber dem Ausländer zuständig ist. (vgl. dazu sowie zu allem Folgenden unlängst eingehend: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012, a.a.O., Rn. 22 f. m.w.Nachw.). Die gesetzlich vorgesehene räumliche Beschränkung bezieht sich dabei nicht nur auf den gewöhnlichen Aufenthalt, sondern erfasst auch den tatsächlichen Aufenthalt. Die Bestimmung des § 12 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, wonach die Ausländerbehörde dem Ausländer das Verlassen des auf der Grundlage des Aufenthaltsgesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs erlauben kann, ermöglicht nur ein vorübergehendes Verlassen des beschränkten Aufenthaltsbereichs. Strebt ein geduldeter Ausländer hingegen einen dauerhaften länderübergreifenden Wechsel seines Aufenthalts an, kann er dies grundsätzlich nur dadurch erreichen, dass ihm die für den vorgesehenen Wohnort zuständige Ausländerbehörde eine weitere Duldung erteilt (sog. Zweitduldung).
Dass die Erteilung einer solchen Zweitduldung nicht schlechterdings ausgeschlossen ist, ist inzwischen weitgehend anerkannt (vgl. die Nachweise bei: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012, a.a.O., Rn. 23). Weniger klar Ist allerdings, Inwieweit dies auch für geduldete Ausländer gilt, die - wie der Kläger - abgelehnte Asylbewerber sind (vgl. zum Meinungsstand: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012, a.a.O., Rn. 24 f.). Bei diesem Personenkreis besteht nämlich die Besonderheit, dass nach der zum 1. Januar 2005 eingeführten Bestimmung des § 56 Abs. 3 AsylVfG räumliche Beschränkungen der Aufenthaltsgestattung (vgl. § 56 Abs. 1 und 2 AsyIVfG) auch nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung - also auch nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG) - in Kraft bleiben, bis sie aufgehoben werden (Satz 1) oder ein Aufenthaltstitel erteilt wird (vgl. Satz 2), wozu eine Duldung nicht zählt (vgl. § 4 Abs. 1 AufenthG). Stellt der Ausländer einen Folgeantrag gemäß § 71 AsylVfG, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht (vgl. § 71a Abs. 7 Satz 1 AsylVfG).
Jedenfalls im vorliegenden Fall steht der Umstand, dass der Kläger ein unanfechtbar abgelehnter Asylbewerber ist, der von ihm begehrten Erteilung einer Zweitduldung zur Überzeugung des Gerichts nicht entgegen. Denn die räumlichen Beschränkungen der Aufenthaltsgestattung des Klägers sind nicht mehr in Kraft, weil sie zusammen mit der ihm erstmals am 29. Januar 2008 erteilten Duldung nach § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG aufgehoben worden sind (so in einem ähnlich gelagerten Fall jetzt auch: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012, a.a.O., Rn. 26).
Die dem Kläger erteilte Aufenthaltsgestattung vom 23. Oktober 2007 enthielt eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf die "Nichtadministrative Region Magdeburg", das entspricht dem Regierungsbezirk Magdeburg. Die Wohnsitznahme hatte im … Magdeburg zu erfolgen. In der ersten Duldungsbescheinigung des Klägers, die ihm am 29. Januar 2008 nach Abschluss seines Asylverfahrens ausgestellt wurde, war zwar ebenfalls vermerkt, dass ihm eine Wohnsitznahme nur an der vorerwähnten Adresse gestattet sei. Der Aufenthalt war jedoch im Gegensatz zur asylverfahrensrechtlichen Aufenthaltsgestaltung nunmehr auf das Land Sachsen-Anhalt beschränkt. Nicht entscheidend ist, ob die Ausländerbehörde subjektiv lediglich auf die kraft Gesetzes bestehende räumliche Beschränkung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers auf das Gebiet des Landes nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hinweisen wollte. Aus der maßgeblichen Sicht des betroffenen Klägers konnte dieser der Duldungsbescheinigung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht entnehmen, dass die asylverfahrensrechtlichen räumlichen Beschränkungen noch weiter gelten sollten. Vielmehr musste er die Duldungsbescheinigung so verstehen, dass die darin vermerkten räumlichen Beschränkungen nunmehr nach Abschluss seines Asylverfahrens für ihn gelten sollten. Die hiervon abweichenden früheren räumlichen Beschränkungen der Aufenthaltsgestattung konnten aus seiner Sicht hingegen nicht weiter gelten. Sie waren demnach aufgehoben (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012, a.a.O., Rn. 28).
Der Beklagte ist für die Erteilung der begehrten Duldung auch örtlich zuständig.
Im Land Berlin bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach § 1 Abs. 1 VwVfG Bln i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) VwVfG. Danach sind diejenigen Behörden örtlich zuständig, in deren Bezirk die (natürliche) Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Für die Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts ist auf die Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I abzustellen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Dezember 2009 - OVG 3 S 120.08 -, Rn. 6; zit. nach juris). Danach kommt es darauf an, wo sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.
Vorliegend ist der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers in Berlin. Hier hält der Kläger sich nunmehr bereits seit mehr als vier Jahren fortlaufend auf, wobei ihm der Aufenthalt zuletzt durch die ihm aufgrund des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. Dezember 2009 (OVG 2 M 187/09) wiederholt erteilten Verlassenserlaubnisse gemäß § 12 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ausdrücklich gestattet worden ist. Schon angesichts der Zeitdauer des Aufenthaltes, aber auch wegen der fortdauernden Gesundheitsprobleme des Klägers (s.u.), kann auch nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass es sich um einen bloß vorübergehenden Aufenthalt handelt.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht darauf an, ob sich die örtliche Zuständigkeit in Fällen der vorliegenden Art im Übrigen schon daraus ergibt, dass über das Begehren des Ausländers auf Erteilung einer weiteren Duldung, um ihm den ständigen Aufenthalt in einem anderen Bundesland zu ermöglichen, von vornherein nicht die bislang zuständige Ausländerbehörde ("abgebende" Behörde) entscheiden kann, sondern nur die Ausländerbehörde des Landes, in dem der Ausländer zukünftig seinen Aufenthalt begründen möchte ("aufnehmende" Behörde), weil § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu entnehmen ist, dass eine Ausländerbehörde materiell-rechtlich keine Duldung für ein anderes Bundesland erteilen darf (vgl. nur OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012, a.a.O., Rn. 29 m.w.Nachw., wonach die Auffassung, dass die Zuständigkeit der aufnehmenden Ausländerbehörde insoweit aus dem Inhalt der erstrebten behördlichen Entscheidung folge, im Ergebnis mittlerweile der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung entsprechen soll; vgl. aber noch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Mai 2008 - OVG 2 S 8.08 -, Rn. 5, zit. nach juris, das darauf abhebt, dass der Ausländer sich an dem betreffenden Ort zulässigerweise aufhalten können muss; zurückhaltender im Hinblick auf eine solche rechtliche Determinierung des auf die tatsächlichen Verhältnisse abstellenden Begriffs des gewöhnlichen Aufenthaltes nunmehr dagegen OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Dezember 2009, a.a.O., Rn. 7).
Der Kläger hat auch in der Sache einen Anspruch auf die von ihm begehrte weitere Duldung, die ihm einen länderübergreifenden Wechsel seines Aufenthaltsortes von Sachsen-Anhalt nach Berlin ermöglicht.
Zwischen den Beteiligten steht nicht weiter im Streit, dass der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer (Erst-) Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt. Das Abschiebungshindernis ergibt sich dabei schon aus der Passlosigkeit des Klägers. [...]
Das Gericht geht davon aus, dass die Entscheidung über die Erteilung einer Zweitduldung im Übrigen im Ermessen der Ausländerbehörde steht, wobei ein Wohnortwechsel bei dringenden privaten Interessen des Ausländers, etwa zu bestimmten Zwecken der Herstellung der Familieneinheit von Eltern und ihren minderjährigen Kindern, nicht ermessensfehlerfrei abgelehnt werden kann, sofern dem nicht auf andere zumutbare Weise begegnet werden kann (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012, a.a.O., Rn. 31). Das entspricht auch der gesetzgeberischen Wertung in § 51 Abs. 1 AsylVfG, wonach bei Asylsuchenden der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten sowie Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht auch durch länderübergreifende Verteilung Rechnung zu tragen ist.
Ein solches dringendes privates Interesse ergibt sich hier zur Überzeugung des Gerichts aus den fortdauernden gesundheitlichen Problemen des Klägers, die - auch mit Rücksicht auf die bestehenden sozialen und familiären Bindungen des Klägers - auf unabsehbare Zeit dessen Anwesenheit in Berlin erforderlich machen. Dies wird durch das vorhandene Tatsachenmaterial, auf das sich zuletzt etwa auch das Verwaltungsgericht Magdeburg in seinem Urteil vom 19. September 2012 (VG 2 A 326/10 MD) betreffend die Anordnung zur Wohnsitznahme des Klägers in einer Gemeinschaftsunterkunft In Magdeburg gestützt hat, hinreichend belegt. [...]
Aus den vorhandenen Unterlagen ergibt sich, dass wegen der unsicheren und belastenden Lebensumstände eine Verbesserung der Symptomatik bislang nicht eingetreten ist; stattdessen hat die Erkrankung sich offenbar weiter chronifiziert. Jedenfalls wird - worauf auch das Verwaltungsgericht Magdeburg in seinem Urteil vom 19. September 2012 maßgeblich mit abgehoben hat - in den ärztlichen Stellungnahmen als wichtige Voraussetzung für den Genesungsprozess unter anderem ein sicheres und stabiles Umfeld benannt.
Zu Letzterem, einem sicheren und stabilen Umfeld, gehört dabei nicht zuletzt auch die Bindung des Klägers an seine ebenfalls in Berlin lebende Verlobte, die Zeugin …, zumal diese nunmehr ein Kind erwartet, dessen Vater der Kläger sein soll. Ob die Wohnsitznahme in Berlin mit Rücksicht hierauf bereits zur Herstellung der von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützten Familieneinheit erforderlich ist, kann angesichts des zuvor Gesagten dahinstehen.
Die Erteilung der begehrten Zweitduldung kann schließlich auch nicht mit dem Hinweis darauf versagt werden, der nach Abschluss seines Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtige Kläger komme seinen Mitwirkungspflichten zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapieres nicht nach. An der Erfüllung der genannten Mitwirkungspflichten und letztlich auch der vollziehbaren Ausreisepflicht besteht grundsätzlich allerdings ein erhebliches öffentliches Interesse (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012, a.a.O., Rn. 36). Den Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums des Innern vom 26 Oktober 2009 (VV-AufenthG) zu § 61 AufenhtG zufolge ist daher von einer Änderung der räumlichen Beschränkung bzw. der Erteilung einer (Zweit-) Duldung abzusehen, solange eine Aufenthaltsbeendigung ausschließlich aus Gründen nicht möglich Ist, die selbst zu vertreten sind, wie zum Beispiel bei Identitätsverschleierung und Verhinderung der Beschaffung von Heimreisedokumenten (vgl. Nr. 61.1.1.2 Satz 3 VV-AufenthG).
Mit Rücksicht auf die schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme des Klägers kann dies vorliegend indes nicht gelten. Unter den besonderen Umständen des Falls erachtet das Gericht es als untunlich, auf diese Weise Druck bezüglich der Erfüllung der Mitwirkungs- oder der Ausreisepflicht auszuüben (vgl. - bei allerdings etwas anders gelagertem Sachverhalt - auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012, a.a.O.). Es kann daher offen bleiben, ob die Erkrankung des Klägers ein eigenständiges Abschiebungshindernis begründet, was allerdings nahe liegen dürfte. Gleichermaßen bedarf aus diesem Grund keiner Klärung, inwiefern der Kläger seinen Mitwirkungspflichten zur Passbeschaffung tatsächlich nicht genügt. [...]