OLG Stuttgart

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Zitieren als:
OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2013 - 5 W 17/13 - asyl.net: M20896
https://www.asyl.net/rsdb/M20896
Leitsatz:

1. Die deutsche Gerichtsbarkeit kann nicht von einem ausländischen, hoheitlich tätigen Arbeitnehmer für einen Rechtsstreit gegen seinen der Staatenimmunität unterliegenden, ausländischen Arbeitgeber in Anspruch genommen werden.

2. Die Klage eines ausländischen Konsuls Erster Klasse wegen Verletzung eines internationalen Sozialabkommens gegen seinen Heimatstaat ist daher vor deutschen Gerichten unzulässig.

3. Prüfung - und Klagabweisung als unzulässig - hat durch das als erstes mit der Sache befasste deutsche Gericht zu erfolgen, auch wenn dieses zur Entscheidung des Rechtsstreits in der Sache nicht berufen wäre.

Eine Verweisung an das insoweit ggfs. richtige Gericht scheidet daher aus.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 4, 5 GVG nicht zugelassen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Staatenimmunität, Auslandsvertretung, Sozialabkommen, internationales Sozialabkommen, Zuständigkeit, Arbeitsrecht, unzulässig, Zulässigkeit, Sozialversicherung, Sozialversicherungsabkommen, internationales Sozialversicherungsabkommen, deutsche Gerichtsbarkeit, Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität, Kroatien, Immunität, hoheitlich tätiger Angestellter, hoheitliche Tätigkeit, nichthoheitliche Tätigkeit,
Normen: GVG § 20 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

c) Gem. § 20 Abs. 2 GVG erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit allerdings auch nicht auf ausländische Staaten, soweit sie nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts von ihr befreit sind. Nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht, bei dem es sich nach Art. 25 GG um Bundesrecht handelt, sind Staaten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit von einem Rechtsstreit betroffen ist. Dagegen besteht keine Regel des Völkerrechts, die die inländische Gerichtsbarkeit für Klagen in Bezug auf die nichthoheitliche Tätigkeit von Staaten ausschließt (BVerfGE 46, 342, 364 ff.; BAG NZA 2001, 683 m.w.N.). Für die Abgrenzung maßgebend ist die Natur der staatlichen Handlung oder des entstandenen Rechtsverhältnisses. Die Qualifikation als hoheitliche oder nichthoheitliche Staatstätigkeit ist nach deutschem Recht zu beurteilen (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 7. Auflage, § 20, Rn. 3; BVerfGE 16, 27).

Aus Art. 18 EuGVO, auf den die Klägerin verweist, ergibt sich nicht, ob ein Staat Immunität genießt oder nicht. Art. 18 EuGVO ist eine bloße Zuständigkeitsregelung und setzt die gem. § 20 Abs. 2 GVG, Art. 25 GG zu beachtenden allgemeinen Regeln des Völkerrechts nicht außer Kraft. Der von der Klägervertreterin zitierten Entscheidung des EuGH vom 19.07.2012 (EuGH NZA 2012, 935) ist nichts anderes zu entnehmen. Dieser Entscheidung lag die Klage eines nichthoheitlich tätigen Angestellten einer Botschaft zugrunde.

Bei Rechtsstreitigkeiten über den Bestand eines Arbeitsrechtsverhältnisses, das zur Erfüllung originär konsularisch-hoheitlicher Aufgaben verpflichtet, ist die Immunität des ausländischen Staates gegeben, denn die Entscheidung betrifft die diplomatische und konsularische Tätigkeit des ausländischen Staates unmittelbar (vgl. nur BAG NZA 1996, 1229; BAG NZA 2012, 760). Im vorliegenden Rechtsstreit geht es jedoch nicht um den Bestand des Arbeitsrechtsverhältnisses mit der Klägerin. Das Arbeitsverhältnis ist beendet. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen der Verletzung von Art. 10 des deutsch-kroatischen Sozialversicherungsabkommens im Zusammenhang mit dem beendeten Arbeitsverhältnis.

aa) Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung nimmt die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit nach der Art des streitigen Rechtsverhältnisses vor. Danach unterliegen arbeitsrechtliche Angelegenheiten zwischen einem anderen Staat und einem seiner Arbeitnehmer dann nicht der deutschen Gerichtsbarkeit, wenn der Arbeitnehmer für diesen Staat hoheitlich tätig gewesen ist. Maßgebend ist also der Inhalt der ausgeübten Tätigkeit, auch wenn Gegenstand des Rechtsstreits nicht der Bestand des Arbeitsrechtsverhältnisses an sich ist, sondern Schadensersatzpflichten oder andere Zahlungspflichten im Zusammenhang mit diesem Arbeitsrechtsverhältnis in Streit stehen (vgl. nur LAG München, Beschluss vom 20.12.2011, Az. 8 Ta 393/11; nachfolgend: BAG NZA 2013, 468; BAG NZA 2005, 1117; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2009, Az. 7 Sa 87/08; so auch: Herdegen, Völkerrecht, § 37, Rn. 6). Die Klägerin, die in Kroatien zunächst Lehrerin war, nahm zuletzt als Konsulin Erster Klasse und Leiterin für Kultur unstreitig hoheitliche Aufgaben für die Beklagte wahr.

bb) Eine andere Ansicht stellt nicht auf den Gegenstand des Beschäftigungsverhältnisses, sondern auf die Natur des geltend gemachten prozessualen Anspruchs ab (vgl. LAG München, Urteile vom 27.11.2009, Az. 3 Sa 581/09 und 3 Sa 572/09, zustimmend: Majer NZA 2010, 1395). Auch wenn man dieser engeren Ansicht folgt, wäre hier von einem hoheitlichen Charakter des streitigen Rechtsverhältnisses auszugehen.

Denn die Klägerin begründet ihren Schadensersatzanspruch mit der Verletzung von Art. 10 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien.

Sozialversicherungsabkommen sind völkerrechtliche Abkommen, die unmittelbar zwischen den Vertragsstaaten gelten. In Deutschland müssen sie nach Art. 59 Abs. 2 GG vom Gesetzgeber in innerstaatliches Recht umgesetzt werden, um innerstaatliche Geltung zu erlangen (vgl. Schulin/v. Maydell, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1: Krankenversicherungsrecht, § 64, Rn. 51 f.; Eichenhofer/Rische/Schmähl-Grotzer, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI, Kap. 19, Rn. 84).

Die Klägerin geht hier jedoch nicht gegen eine deutsche Behörde wegen Nichteinhaltens des innerstaatlichen Rechts vor, sondern gegen die Republik Kroatien. Sie wirft der Beklagten letztlich vor, gegen ihren eigenen völkerrechtlichen Vertrag verstoßen zu haben. Sie will damit die Beklagte als Vertragspartnerin eines völker - rechtlichen Vertrags, als Hoheitsträgerin, in Anspruch nehmen. Art. 10 des Sozialversicherungsabkommens richtet sich zudem schon seinem Wortlaut nach nicht an jeden - auch privaten - Arbeitgeber, sondern an die Beklagte, die als Hoheitsträgerin diplomatische oder konsularische Vertretungen unterhält. [...]