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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 04.06.2013 - C-300/11 - asyl.net: M20870
https://www.asyl.net/rsdb/M20870
Leitsatz:

Art. 30 Abs. 2 und Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG sind im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass das zuständige nationale Gericht nach diesen Vorschriften dafür zu sorgen hat, dass die Nichtoffenlegung der genauen und umfassenden Gründe, auf denen eine in Anwendung von Art. 27 dieser Richtlinie getroffene Entscheidung beruht, und der entsprechenden Beweise durch die zuständige nationale Behörde gegenüber dem Betroffenen auf das unbedingt Erforderliche beschränkt bleibt und dass dem Betroffenen jedenfalls der wesentliche Inhalt dieser Gründe in einer Weise mitgeteilt wird, die die erforderliche Geheimhaltung der Beweise gebührend berücksichtigt.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einreiseverbot, Einreiseverweigerung, öffentliche Sicherheit, gegenwärtige Gefahr der öffentlichen Ordnung, Sicherheit des Staates, Sicherheit, Gefahr, gerichtliche Kontrolle, zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zwingender Gründe der Sicherheit des Staates, Unionsbürger, Geheimhaltung, Offenlegung, öffentliches Interesse,
Normen: RL 2004/38/EG Art. 27, RL 2004/38/EG Art.30 Abs. 2, RL 2004/38/EG Art. 31, GR-Charta Art. 47,
Auszüge:

[...]

40 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 im Licht insbesondere von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, das mit der Klage eines Unionsbürgers gegen ein nach Art. 27 Abs. 1 dieser Richtlinie erlassenes Einreiseverbot befasst ist, dafür zu sorgen hat, dass dem Betroffenen der wesentliche Inhalt der Gründe der öffentlichen Sicherheit, die dieser Entscheidung zugrunde liegen, offengelegt wird, wenn die zuständige nationale Behörde vor diesem Gericht geltend macht, dass Gründe der staatlichen Sicherheit einer solchen Offenlegung entgegenstehen.

41 Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall feststeht, dass der Secretary of State, die in dem entsprechenden Bereich zuständige nationale Stelle, ZZ die Gründe, die der in Anwendung von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 getroffenen Entscheidung über das Einreiseverbot zugrunde liegen, nicht genau und umfassend mitgeteilt hat. Im Rahmen des Verfahrens vor der SIAC, mit dem – gemäß dem durch das Recht des Vereinigten Königreichs geschaffenen System – die gerichtliche Kontrolle solcher Entscheidungen gewährleistet wird, hat sich der Secretary of State auf die Vertraulichkeit von Material berufen, auf das er sich stützte, als er der Klage von ZZ entgegentrat.

42 Gemäß Art. 4 Abs. 1 ihrer Verfahrensordnung ist die SIAC verpflichtet, sich zu vergewissern, dass Informationen nicht entgegen den Interessen der Sicherheit des Staates offengelegt werden. Außerdem bestellt dieses Gericht nach Art. 10 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 37 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung einen speziellen Anwalt für die Vertretung der Interessen des Klägers, wenn der Secretary of State vor dem Gericht die Geheimhaltung von Material begehrt, auf das im Rahmen der Klage Bezug genommen wird. Dieser Anwalt nimmt nach Art. 35 der Verfahrensordnung in Sitzungen Stellung, von denen der Kläger ausgeschlossen ist, legt Beweise vor, nimmt Zeugen ins Kreuzverhör und gibt gegenüber der SIAC schriftliche Erklärungen ab.

43 Der Secretary of State ist nach Art. 37 Abs. 3 der Verfahrensordnung der SIAC verpflichtet, eine Kopie des entsprechenden geheim zu haltenden Materials und eine Mitteilung der Gründe, aus denen er der Offenlegung dieses Materials widerspricht, vorzulegen und an die SIAC und den speziellen Anwalt zu übermitteln. Außerdem obliegt es dem Secretary of State nach Art. 37 Abs. 4 der Verfahrensordnung, eine Beschreibung dieses geheim zu haltenden Materials in einer Form vorzulegen, in der es dem Kläger übermittelt werden kann, falls und soweit dies möglich ist, ohne Informationen entgegen dem öffentlichen Interesse bekannt zu geben. Ein Einwand des Secretary of State gegen die Offenlegung des entsprechenden Materials gegenüber dem Kläger wird nach Art. 38 der Verfahrensordnung von der SIAC geprüft, und im Rahmen dieser Prüfung können der Secretary of State und der spezielle Anwalt Stellung nehmen.

44 Nach Art. 36 der Verfahrensordnung der SIAC darf der spezielle Anwalt ab dem Zeitpunkt, zu dem ihm Material mitgeteilt wurde, dessen Offenlegung der Secretary of State widersprochen hat, mit dem Kläger nicht mehr über mit dem Verfahren verbundene Fragen kommunizieren. Er kann allerdings bei der SIAC Verfügungen beantragen, mit denen ihm eine entsprechende Kommunikation erlaubt wird.

45 Im Hinblick auf dieses nationale Verfahren hat sich das vorlegende Gericht an den Gerichtshof gewandt.

46 Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 sieht hinsichtlich des erforderlichen Inhalts und der erforderlichen Begründung einer Entscheidung, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entscheidung über das Einreiseverbot nach Art. 27 dieser Richtlinie getroffen wurde, vor, dass diese Entscheidung dem Betroffenen schriftlich in einer Weise mitgeteilt werden muss, dass er deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Zudem bestimmt Art. 30 Abs. 2, dass dem Betroffenen die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der entsprechenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen sind, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit des Staates dieser Mitteilung entgegenstehen.

47 Mit Art. 31 der Richtlinie 2004/38 wird den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, in ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung die Maßnahmen vorzusehen, die erforderlich sind, damit Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gegen Entscheidungen, die ihr Recht, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken, einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde einlegen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2012, Byankov, C-249/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 53). Nach Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie muss das Rechtsbehelfsverfahren eine Prüfung der Recht- mäßigkeit der Entscheidung sowie der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, umfassen.

48 Damit der Betroffene die von den Mitgliedstaaten derart eröffneten Rechtsbehelfe sachdienlich nutzen kann, ist die zuständige nationale Behörde, wie es in Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 als Grundsatz aufgestellt wird, verpflichtet, ihm im Rahmen des Verwaltungsverfahrens die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der fraglichen Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen.

49 Nur als Ausnahme ermächtigt Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 die Mitgliedstaaten, die dem Betroffenen übermittelten Informationen aus Gründen der Sicherheit des Staates zu begrenzen. Als Abweichung von der in der vorstehenden Randnummer angeführten Regel ist diese Vorschrift eng auszulegen, ohne dass ihr jedoch ihre praktische Wirksamkeit genommen würde.

50 In diesem Kontext ist zu bestimmen, ob und inwieweit Art. 30 Abs. 2 und Art. 31 der Richtlinie 2004/38 es zulassen, dass die Gründe einer in Anwendung von Art. 27 dieser Richtlinie getroffenen Entscheidung nicht genau und umfassend mitgeteilt werden, wobei die Bestimmungen der Richtlinie im Einklang mit den Anforderungen aus Art. 47 der Charta ausgelegt werden müssen.

51 Insoweit ist hervorzuheben, dass bei dieser Auslegung im Einklang mit der Charta die Bedeutung des mit ihrem Art. 47 gewährleisteten Grundrechts zu berücksichtigen ist, so wie es sich aus dem mit der Charta errichteten System insgesamt ergibt. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass Art. 52 Abs. 1 der Charta zwar Einschränkungen der Ausübung der in ihr anerkannten Rechte zulässt, dabei aber verlangt, dass jede Einschränkung insbesondere den Wesensgehalt des fraglichen Grundrechts achtet, und außerdem voraussetzt, dass jede Einschränkung unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und tatsächlich den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entspricht.

52 Folglich darf die Auslegung von Art. 30 Abs. 2 und Art. 31 der Richtlinie 2004/38 im Licht von Art. 47 der Charta nicht dazu führen, dass das gewährleistete Schutzniveau, so wie es in der vorstehenden Randnummer dargelegt wurde, missachtet wird.

53 Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist für die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta gewährleisteten gerichtlichen Kontrolle erforderlich, dass der Betroffene Kenntnis von den Gründen, auf denen die ihm gegenüber ergangene Entscheidung beruht, erlangen kann, entweder durch die Lektüre der Entscheidung selbst oder durch eine auf seinen Antrag hin erfolgte Mitteilung dieser Gründe, unbeschadet der Befugnis des zuständigen Gerichts, von der betreffenden Behörde die Übermittlung dieser Gründe zu verlangen (Urteile vom 17. März 2011, Peñarroja Fa, C-372/09 und C-373/09, Slg. 2011, I-1785, Randnr. 63, und vom 17. November 2011, Gaydarov, C-430/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 41), um es ihm zu ermöglichen, seine Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen zu verteidigen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es für ihn von Nutzen ist, das zuständige Gericht anzurufen, und um dieses vollständig in die Lage zu versetzen, die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der fraglichen nationalen Entscheidung auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 1987, Heylens u. a., 222/86, Slg. 1987, 4097, Randnr. 15, und vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Randnr. 337).

54 Zwar kann es sich sowohl in einem Verwaltungsverfahren als auch in einem Gerichtsverfahren als notwendig erweisen, dem Betroffenen insbesondere aus zwingenden Gründen der Sicherheit des Staates bestimmte Informationen nicht mitzuteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, Randnr. 342).

55 In Bezug auf das Gerichtsverfahren ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die Verfahrensbeteiligten angesichts des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens, der Bestandteil der Verteidigungsrechte nach Art. 47 der Charta ist, das Recht darauf haben müssen, von allen beim Gericht eingereichten Schriftstücken oder Erklärungen Kenntnis zu nehmen, um diese erörtern und die Entscheidung des Gerichts beeinflussen zu können (Urteile vom 14. Februar 2008, Varec, C-450/06, Slg. 2008, I-581, Randnr. 45, vom 2. Dezember 2009, Kommission/Irland u. a., C-89/08 P, Slg. 2009, I-11245, Randnr. 52, und vom 21. Februar 2013, Banif Plus Bank, C-472/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 30; vgl. auch in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 23. Juni 1993, Ruiz-Mateos/Spanien, Serie A, Nr. 262, § 63).

56 Es würde gegen das Grundrecht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf verstoßen, wenn eine gerichtliche Entscheidung auf Tatsachen und Schriftstücke gegründet würde, von denen die Parteien – oder eine von ihnen – keine Kenntnis nehmen und zu denen sie daher auch nicht Stellung nehmen konnten (Urteil Kommission/Irland u. a., Randnr. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57 Wenn allerdings in Ausnahmefällen eine nationale Behörde unter Berufung auf Gründe der Sicherheit des Staates dem widerspricht, dass dem Betroffenen die Gründe, die einer in Anwendung von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 getroffenen Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitgeteilt werden, muss das zuständige Gericht des entsprechenden Mitgliedstaats verfahrensrechtliche Techniken und Regeln zu seiner Verfügung haben und anwenden, die es ermöglichen, die legitimen Erwägungen der Sicherheit des Staates in Bezug auf die Art und die Quellen der Informationen, die beim Erlass der betreffenden Entscheidung berücksichtigt worden sind, auf der einen und das Erfordernis, dem Einzelnen seine Verfahrensrechte wie das Recht, gehört zu werden, und den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens hinreichend zu gewährleisten, auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen (vgl. entsprechend Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, Randnr. 344).

58 Zu diesem Zweck sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, zum einen eine wirksame gerichtliche Kontrolle sowohl des Vorliegens und der Stichhaltigkeit der von der nationalen Behörde im Hinblick auf die Sicherheit des Staates angeführten Gründe als auch der Rechtmäßigkeit der in Anwendung von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 getroffenen Entscheidung und zum anderen Techniken und Regeln über diese Kontrolle im Sinne der vorstehenden Randnummer vorzusehen.

59 Im Rahmen der in Art. 31 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer in Anwendung von Art. 27 dieser Richtlinie getroffenen Entscheidung obliegt es den Mitgliedstaaten, Regeln vorzusehen, die es dem mit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung betrauten Gericht ermöglichen, von allen Gründen und den entsprechenden Beweisen Kenntnis zu nehmen, auf deren Grundlage die Entscheidung getroffen wurde.

60 Hinsichtlich der Anforderungen, denen die gerichtliche Kontrolle des Vorliegens und der Stichhaltigkeit der Gründe genügen muss, die die zuständige nationale Behörde im Hinblick auf die Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats anführt, ist es wichtig, dass ein Gericht damit betraut ist, zu überprüfen, ob diese Gründe es verwehren, dass die genauen und umfassenden Gründe, auf denen die fragliche Entscheidung beruht, und die entsprechenden Beweise mitgeteilt werden.

61 Es obliegt daher der zuständigen nationalen Behörde, entsprechend den nationalen Verfahrensregeln den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Sicherheit des Staates tatsächlich beeinträchtigt würde, wenn dem Betroffenen die genauen und umfassenden Gründe, die einer in Anwendung von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 getroffenen Entscheidung zugrunde liegen, und die entsprechenden Beweise mitgeteilt würden (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Dezember 2009, Kommission/Finnland, C-284/05, Slg. 2009, I-11705, Randnrn. 47 und 49). Daraus folgt, dass es keine Vermutung zugunsten des Vorliegens und der Stichhaltigkeit der von einer nationalen Behörde angeführten Gründe gibt.

62 Insoweit hat das zuständige nationale Gericht eine unabhängige Prüfung aller von der zuständigen nationalen Behörde geltend gemachten rechtlichen und tatsächlichen Umstände vorzunehmen und nach den nationalen Verfahrensregeln zu beurteilen, ob die Sicherheit des Staates einer solchen Mitteilung entgegensteht.

63 Wenn das Gericht zu dem Schluss kommt, dass die Sicherheit des Staates es nicht verwehrt, dass dem Betroffenen die genauen und umfassenden Gründe, die einer in Anwendung von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 getroffenen Entscheidung über ein Einreiseverbot zugrunde liegen, mitgeteilt werden, räumt es der zuständigen nationalen Behörde die Möglichkeit ein, dem Betroffenen die fehlenden Gründe und Beweise mitzuteilen. Wenn die Behörde deren Mitteilung nicht erlaubt, prüft das Gericht die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Entscheidung allein anhand der mitgeteilten Gründe und Beweise.

64 Wenn sich dagegen zeigt, dass die Sicherheit des Staates der Mitteilung der entsprechenden Gründe an den Betroffenen tatsächlich entgegensteht, hat die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer in Anwendung von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 getroffenen Entscheidung, wie sie in Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehen ist, angesichts der in den Randnrn. 51, 52 und 57 des vorliegenden Urteils gemachten Ausführungen im Rahmen eines Verfahrens zu erfolgen, das die Erfordernisse, die sich aus der Sicherheit des Staates ergeben, und diejenigen aus dem Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Weise zum Ausgleich bringt und dabei die eventuellen Eingriffe in die Ausübung dieses Rechts auf das unbedingt Erforderliche begrenzt.

65 Insoweit muss das entsprechende Verfahren zum einen angesichts der gebotenen Beachtung von Art. 47 der Charta so weit wie irgend möglich die Wahrung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens sicherstellen, um es dem Betroffenen zu ermöglichen, die Gründe anzugreifen, auf denen die fragliche Ent - scheidung beruht, und zu den entsprechenden Beweisen Stellung zu nehmen und somit seine Verteidigungsmittel sachdienlich geltend zu machen. Es kommt insbesondere darauf an, dass dem Betroffenen jedenfalls der wesentliche Inhalt der Gründe mitgeteilt wird, auf denen eine in Anwendung von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 getroffene Entscheidung über ein Einreiseverbot beruht, da der erforderliche Schutz der Sicherheit des Staates nicht zur Folge haben kann, dass dem Betroffenen sein Recht darauf, gehört zu werden, vorenthalten und damit sein in Art. 31 dieser Richtlinie vorgesehenes Recht auf einen Rechtsbehelf wirkungslos wird.

66 Zum anderen gilt die Abwägung zwischen dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und der Notwendigkeit, den Schutz der Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats zu gewährleisten, auf der die in der vorstehenden Randnummer dargelegte Schlussfolgerung beruht, nicht in gleicher Weise für die Beweise, die den vor dem zuständigen nationalen Gericht geltend gemachten Gründen zugrunde liegen. In bestimmten Fällen kann nämlich die Offenlegung dieser Beweise die Sicherheit des Staates insoweit unmittelbar und besonders beeinträchtigen, als sie insbesondere das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit von Personen gefährden könnte oder die von den nationalen Sicherheitsbehörden speziell angewandten Untersuchungsmethoden enthüllen und damit die zukünftige Erfüllung der Aufgaben dieser Behörden ernsthaft behindern oder sogar unmöglich machen könnte.

67 In diesem Zusammenhang hat das nationale Gericht zu beurteilen, ob und inwieweit die Einschränkungen der Verteidigungsrechte des Klägers, die sich insbesondere aus einer fehlenden Offenlegung der Beweise und der genauen und umfassenden Gründe, auf denen die in Anwendung von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 getroffene Entscheidung beruht, die Beweiskraft der geheim zu haltenden Beweise beeinflussen kann.

68 Unter diesen Umständen ist es Sache des zuständigen nationalen Gerichts, zum einen dafür zu sorgen, dass dem Betroffenen der wesentliche Inhalt der Gründe, auf denen die fragliche Entscheidung beruht, in einer Weise mitgeteilt wird, die die erforderliche Geheimhaltung der Beweise gebührend berücksichtigt, und zum anderen nach dem nationalen Recht die Konsequenzen aus einer eventuellen Missachtung dieser Mitteilungspflicht zu ziehen. [...]