OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.04.2013 - 2 LB 365/12 - asyl.net: M20804
https://www.asyl.net/rsdb/M20804
Leitsatz:

Bei einer Befristungsentscheidung kommt generalpräventiven Aspekten bei Rauschgiftkriminalität wegen der besonderen Gefahren für die Allgemeinheit besondere Bedeutung zu. Im Falle durchgreifender generalpräventiver Erwägungen stehen eine Strafaussetzung zur Bewährung und in diesem Zusammenhang eine zugunsten des Betroffenen angestellte Sozialprognose der Ausweisung und der Befristung nicht entgegen.

Schlagwörter: Rauschgiftkriminalität, Drogendelikt, Ausweisung, generalpräventive Ausweisung, Generalpräventiver Zweck, Befristung, Wirkung der Ausweisung, Strafaussetzung, Bewährung, Strafaussetzung auf Bewährung, spezialpräventiver Zweck, spezialpräventive Gründe, spezialpräventive Ausweisung, Befristung auf Null,
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1 S. 4, EMRK Art. 8, GG Art. 2,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung auf "Null", vielmehr ist eine Frist von vier Jahren angemessen, die gem. § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG mit der Ausreise beginnt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat im o.a. Urteil vom 13. Dezember 2012 (- 1 C 14.12 -, aaO.) die Kriterien für die Bemessung der Frist wie folgt zusammengefasst:

"Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu … präventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorliegen, geht der Senat davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal 10 Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Leitet sich diese regelmäßige Höchstdauer für die Befristung von 10 Jahren aus dem Umstand ab, dass mit zunehmender Zeit die Fähigkeit zur Vorhersage zukünftiger persönlicher Entwicklungen abnimmt, bedeutet ihr Ablauf nicht, dass bei einem Fortbestehen des Ausweisungsgrundes oder der Verwirklichung neuer Ausweisungsgründe eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 iVm. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).

Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rnr. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts vollumfänglich zu überprüfen. Fehlt - wie hier - die behördliche Befristungsentscheidung, ist sie vom Gericht durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rnr. 42 f.)."

a) Danach ist zunächst die nach präventiven Gesichtspunkten maßgebende Frist zu ermitteln. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das seiner zu spezial- und generalpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag.

Die Bemessung der Frist ist dabei allein anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Eine abstrakte Festlegung von Fristen, etwa durch einen eigenständig formulierten und nach den Ausweisungsgründen gestaffelten Fristenkatalog oder durch eine sinngemäß weiter fortgeführte Orientierung an den Vorgaben der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz zur Befristung (vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 4.6.2012 - 11 A 2509/12 -, juris) ist nicht (mehr) möglich (vgl. erk. Ger., Urt. v. 14.2.2013 - 8 LC 129/12 -, zu der o.g. Entscheidung des VG Oldenburg).

Unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls ist - ausgehend von einer regelmäßigen Höchstfrist von zehn Jahren - eine Frist von 6 Jahren als angemessen anzusehen.

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG enthaltene Fristgrenze von fünf Jahren kommt vorliegend nicht zur Anwendung. Dabei kann offen bleiben, ob § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG für die Überschreitung der 5-Jahres-Grenze abweichend vom Wortlaut eine schwerwiegende Straftat fordert (so BT-DrS 17/5470 S. 21, vgl. auch erk. Ger., Urt. v. 14.2.2013 - 8 LC 129/12 -, juris unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 -, juris Rnr. 42); denn der Ausweisung liegt eine schwerwiegende Straftat zugrunde, was sich bereits aus Anlass (Einbindung des Klägers in einen gut organisierten Handel mit Betäubungsmitteln) und Höhe (drei Jahren und sechs Monate aufgrund einer "Verständigung im Strafprozess") der Freiheitsstrafe ergibt Den durch einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz verletzten Rechtsgütern anderer kommt zudem ein sehr hohes Gewicht bei.

aa) Schon generalpräventive Überlegungen erfordern eine länger andauernde Befristung und stehen damit der vom Kläger begehrten Befristung auf "Null" entgegen. Das erkennende Gericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts stets davon ausgegangen, dass Rauschgiftdelikte zu den gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören und deswegen grundsätzlich die Ausweisung von Ausländern auch aus generalpräventiven Erwägungen rechtfertigen können (vgl. schon BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979 - 1 BvR 650/ 77; BVerwG, Urt. v. 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247 = juris; erk. Ger., Beschl. v. 8.12.2009 - 11 LA 497/09 -). Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem aktuellen Urteil (v.13.12.2012 - 1 C 20.11 -, juris) ausgeführt:

"Die Gefahren, die vom gewerbsmäßigen illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rnr. 47). Er verweist auf die "verheerenden Folgen" gerade des bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln für die Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten (a.a.O. Rnr. 46). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen (a.a.O. Rnr. 54). Im Übrigen zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rnr. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln, selbst wenn er nicht bandenmäßig begangen wird, als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rnr. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rnr. 40 mwN.)."

Angesichts der mit der Rauschgiftkriminalität verbundenen besonderen Gefahren für die Allgemeinheit und der Schwierigkeit ihrer Bekämpfung kommt den generalpräventiven Aspekten (nicht nur bei der Ausweisung, sondern) auch im Rahmen der Entscheidung, für welche Zeitspanne die Befristung auszusprechen ist, ein wesentliches Gewicht bei, um eine Verhaltenssteuerung und Abschreckung bei anderen Ausländern zu bewirken. Im Falle durchgreifender generalpräventiver Erwägungen stehen eine Strafaussetzung zur Bewährung und in diesem Zusammenhang eine zugunsten des Betroffenen angestellte Sozialprognose der Ausweisung (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247 = juris) und damit auch einer Befristung nicht entgegen.

bb) Aber auch aus spezialpräventiven Gründen kommt eine Befristung auf "Null" nicht in Betracht. Vielmehr ist auch unter diesem Aspekt eine mehrjährige, über fünf Jahren liegende Zeitspanne als angemessen anzusehen, da bei dem Kläger zum jetzigen Zeitpunkt noch von einem Gefahrenpotential auszugehen ist.

Dieses leitet sich aus der Intensität ab, in der der Kläger in den Betäubungsmittelhandel verstrickt war. Selbst ein einmaliges Rauschgiftdelikt kann im Hinblick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund darstellen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247; erk. Ger., Beschl. v. 8.12.2009 - 11 LA 497/09). Zureichende Anhaltspunkte, dass die Straftat in einer einmaligen Ausnahme- und Konfliktsituation begangen worden ist, liegen nicht vor. Zu berücksichtigen ist zudem Folgendes:

Motiv für den Rauschgifthandel des Klägers waren die seiner Meinung nach unzureichenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, er erhält indes für sich und seine Familie auch derzeit (nur) Leistungen nach diesem Gesetz. Erschwerend kommt hinzu, dass er (weiterhin) hoch verschuldet ist. So hat er nach den Ausführungen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts in dem von dem Kläger geführten Asylfolgeverfahren (VG Braunschweig, Urt. v. 7.11.2012 - 2 A 1181/12 -) rd. 53.000,- EUR Schulden und deswegen Privatinsolvenz angemeldet. Weiter ist der Kläger bereits in den Jahren 20 1, 20... und 20... u.a. wegen Bedrohung/Beleidigung, Diebstahls und fahrlässiger Trunkenheitsfahrt zu Geldstrafen verurteilt worden. Darüber hinaus hat er seit seiner Einreise in das Bundesgebiet über Jahre unter Vorlage gefälschter Unterlagen unzutreffende Angaben zu seiner Staatsangehörigkeit gemacht und später, nachdem seine syrische Staatsangehörigkeit (und die seiner Ehefrau) über einen Auszug aus dem syrischen Personenstandsregister von den Behörden nachgewiesen worden war, - unglaubhaft (vgl. Beschl. d. Sen. v. 22.11.2007 - 2 LA 1245/06 im Verfahren des Klägers, BA H) - behauptet, ihm sei seine syrische Staatsangehörigkeit nicht bewusst gewesen (vgl. z.B. BA C Bl. 546, 612 R). Diese Umstände belegen eindrucksvoll, dass der Kläger während des gesamten Zeitraums seines Aufenthalts im Bundesgebiet die Rechtsordnung als für sich nicht verbindlich angesehen, sondern sein Verhalten und seinen Vortrag stets taktisch danach ausgerichtet hat, was ihm einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet ermöglicht.

Zureichende Anhaltspunkte für eine geänderte Einstellung vermag der Senat nicht zu erkennen. Insbesondere fällt nicht ins Gewicht, dass das vollzugliche Verhalten des Klägers und - soweit ersichtlich auch sein Verhalten nach der Haftentlassung - beanstandungsfrei war. Zum einen kann ein ordnungsgemäßes Verhalten von einem Strafgefangenen erwartet werden. Zum anderen stand der Kläger unter dem Druck des Ausweisungs- bzw. Befristungsverfahrens und steht zudem seit einem Jahr unter dem Druck der noch laufenden Bewährungszeit. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer am Landgericht J. vom 8. März 2012 ( ... ), den noch nicht verbüßten Rest der Freiheitsstrafe auf drei Jahre zur Bewährung auszusetzen, ist nicht geeignet, die oben getroffene Gefahrenprognose zu relativieren; denn er entfaltet keine Bindungswirkung. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 -, juris) ausgeführt:

"Das Berufungsgericht war bei seiner Gefahrenprognose nicht an die Einschätzung der Strafvollstreckungskammer bei deren Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gebunden. Zwar sind die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der Prognose ein wesentliches Indiz dar. Eine Bindungswirkung geht von den strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidungen jedoch nicht aus. Die … Prognose, ob der Ausländer eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt, bestimmt sich nämlich nicht nach strafrechtlichen Gesichtspunkten, auch nicht nach dem Gedanken der Resozialisierung. Vielmehr haben die zuständigen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. Urteile vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 C 17.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 = NVwZ 1997, 1119 1120> und vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 193> = Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 40; Discher, in: GK-AufenthG, Stand: Juni 2009, vor §§ 53 ff. Rnr. 1241 ff.). Dabei haben sie auch sonstige, den Strafgerichten möglicherweise nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. Sie können deshalb sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen."

Vorliegend rechtfertigt das oben aufgezeigte, der Strafvollstreckungskammer zum Teil zudem nicht bekannte Verhalten des Klägers seit seiner Einreise (20... ) eine abweichende Prognoseentscheidung, zumal ausweislich des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer auch die von ihr eingeschaltete Gutachterin langfristig für weniger schwerwiegende Delikte (als Betäubungsmitteldelikte) keine durchgehend günstige Prognose gestellt hat, "da der Kläger in der Vergangenheit gezeigt habe, dass er in bestimmten Situationen eigene Interessen über allgemein gültige Regeln stellt". Vor diesem Hintergrund ist es auch unerheblich, dass die Reststrafe gem. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB, und damit vor dem 2/3-Termin erlassen wurde, wobei allerdings bis zum 2/3-Ternin ohnehin nur noch ca. zwei Monate lagen. Die knappe und allgemein gehaltene Stellungnahme des Bewährungshelfers vom 1. November 20... - weitere Stellungnahmen liegen nicht vor - gibt ebenfalls zu keiner anderen Bewertung Anlass.

Unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers und der aufgezeigten general- und spezialpräventiven Aspekte hält der Senat eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf sechs Jahre für grundsätzlich gerechtfertigt.

b) Die nach § 11 AufenthG erforderliche Befristung muss sich an höherrangigem Recht, d. h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher in einem zweiten Schritt gegebenenfalls zu relativieren. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300, juris, v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 -, ZAR 2007, 243, juris; BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 - 1 C 14.12 -, InfAuslR 2013, 141 = juris, v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 -, juris). Danach war die Frist auf vier Jahre herabzusetzen.

(1) Auf einen Eingriff in sein Privatleben (Art. 8 EMRK, Art. 2 GG) kann sich der Kläger allerdings nicht berufen, weil mangels einer zureichenden Integration in die Verhältnisse im Bundesgebiet (vgl. dazu oben) schon der Schutzbereich dieser Normen für ihn nicht eröffnet ist. Offen bleiben kann daher, ob der Schutzbereich auch wegen des fehlenden rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet gar nicht betroffen sein kann (vgl. hierzu Sen. Beschl. v. 2.3.2011 - 2 PA 287/10 -, Urt. v. 11.11.2010 - 2 LB 582/08 -, jeweils mwN.).

(2) Zugunsten des Klägers waren dagegen seine familiären Bindungen (Art. 8 EMRK, Art. 6 GG) an seine Frau F. und die gemeinsamen drei Kinder zu berücksichtigen, was zu einer Herabsetzung der Befristung auf vier Jahre führt.

Eine Befristung auf "Null" oder zumindest auf einen unter vier Jahren liegenden Zeitraum vermögen diese familiären Bindungen dagegen nicht zu rechtfertigen. Der Senat hat bereits in seinem Zulassungsbeschluss im vorliegenden Verfahren (v. 17.10.2012 - 2 LA 82/12) bezogen auf die Ausweisung ausgeführt:

"Im Übrigen ist in der Rechtsprechung geklärt, dass selbst etwaige gewichtige familiäre Belange sich in Ausweisungsverfahren nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durchsetzen Dies gilt vor allem für sicherheitsrechtliche Belange, weil die Pflicht des Staates, seine Bürger vor (Gewalt-, Vermögens- oder) Betäubungsmitteldelikten zu schützen, gleichfalls verfassungsrechtlichen Rang besitzt und in Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 GG wurzelt (vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682, v. 22.8.2000 - 2 BvR 1363/00 -, juris; EGMR, Urt. v. 6.12.2007 - 69735/01 -, InfAuslR 2008, 111; Sen., Beschl. v. 14.4.2010 - 2 LA 434/09 -, erk. Gericht, Beschl. v. 20.5.2009 - 11 ME 110/09 -)."

Entsprechendes gilt für die hier im Streit befindliche Befristungsentscheidung. Angesichts der erheblichen Verstrickungen des Klägers in Betäubungsmitteldelikte und seine über Jahre gezeigte und weiterhin zu befürchtende Missachtung der Rechtsordnung im Bundesgebiet verliert der Schutz des Familienlebens gegenüber den gegenläufigen öffentlichen Interessen an Gewicht. [...]