Eine Prüfungsphobie kann eine Krankheit im Sinne von § 10 Abs. 6 StAG sein.
(Amtlicher Leitsatz)
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne des erstgenannten Zulassungsgrundes sind dann gegeben, wenn der die Zulassung des Rechtsmittels unter Hinweis auf diesen Zulassungstatbestand begehrende Beteiligte einen die Entscheidung tragenden Rechtssatz oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellt (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 163).
Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin stattgegeben, indem es den Beklagten unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheids verpflichtet hat, die Klägerin in den deutschen Staatenverband einzubürgern. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Voraussetzungen einer Anspruchseinbürgerung nach § 10 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz – StAG – lägen vor, obwohl die Klägerin nicht vollständig, nämlich in Bezug auf schriftliche Kenntnisse, nachgewiesen habe, dass sie im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG über ausreichende Deutschkenntnisse verfüge. Der Beklagte müsse von dieser Voraussetzung gemäß § 10 Abs. 6 StAG absehen, weil nach dem eingeholten Sachverständigengutachten fest stehe, dass die Klägerin aus Krankheitsgründen gehindert sei, die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG zu erfüllen. Da auch die übrigen Voraussetzungen vorlägen, sei der Beklagte unter Aufhebung des angegriffenen Versagungsbescheids zu verpflichten, die Klägerin einzubürgern.
Die hiergegen vom Beklagten erhobenen Einwendungen wecken beim Senat keine Zweifel im zuvor bezeichneten Sinne. Der Beklagte führt aus, § 10 Abs. 6 StAG ordne ein Absehen von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG nur für den Fall an, dass ein Antragsteller aus Krankheitsgründen gehindert sei, Deutschkenntnisse zu erwerben, nicht aber für den Fall, dass ein Antragsteller aus Krankheitsgründen nur gehindert sei, diese Kenntnisse zu beweisen. So verhalte es sich aber bei der Klägerin, der in dem vom Verwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten eine Prüfungsphobie bescheinigt werde.
Dies veranlasst den Senat zu keiner anderen Bewertung als im angegriffenen Urteil. In der fraglichen Norm § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG, von deren Voraussetzungen gemäß § 10 Abs. 6 StAG abzusehen ist, wird zwischen dem Erwerb und dem Nachweis der Deutschkenntnisse nicht unterschieden. Nach Auffassung des Senats umfasst der verwendete Begriff "verfügt" vielmehr sowohl den Erwerb als auch den Nachweis, denn um über Sprachkenntnisse zu verfügen, sich ihrer also zum Beispiel im Rahmen einer Antragstellung zu bedienen, bedarf es regelmäßig nicht nur der Kenntnisse selbst, sondern auch der Fähigkeit, sie nachzuweisen. Sprachkenntnisse, die man aus Gesundheitsgründen in einer Prüfungssituation nicht abrufen kann, stehen einem insoweit nicht zur Verfügung, man kann also zum Nachweis der Voraussetzungen einer Einbürgerung nicht über sie verfügen im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG (in diesem Sinne bereits die Beschlüsse des erkennenden Senats vom 05. August 2010 – 5 D 1554/10 – und vom 16. September 2011 – 5 D 1626/11 -; anders noch VG Frankfurt am Main, Urteil vom 23. März 2010 – 11 K 2336/09.F - und VG Darmstadt, Beschluss vom 06. Juli 2010 – 5 K 544/10.DA –; alle Entscheidungen unveröffentlicht).
Der Senat hielte es auch für widersinnig, von der viel weitergehenden Forderung des Erwerbs von Deutschkennissen abzusehen, nicht aber von der Forderung, diese nachweisen zu müssen. Wenn also – auch nach Ansicht des Beklagten – die Vorschrift des § 10 Abs. 6 StAG die Einbürgerungsbehörde verpflichtet, gegebenenfalls von der Voraussetzung von Deutschkenntnissen abzusehen, muss dies erst recht gelten, wenn ein Antragsteller über diese Kenntnisse verfügt, aber aus Krankheitsgründen lediglich gehindert ist, diese in einem Prüfungsverfahren nachzuweisen. [...]