1. Bei der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband wird Mehrstaatigkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG nur dann hingenommen, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit generell nicht vorsieht.
2. Macht das ausländische Recht die Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit vom Erreichen der Volljährigkeit abhängig, stellt dies grundsätzlich eine zumutbare Bedingung im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG dar.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
3. Die Klägerin kann keine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit beanspruchen. Denn § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG billigt einem Ausländer grundsätzlich nur dann einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung zu, wenn er seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert.
a) § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG gebietet von diesem Grundsatz zwar eine Ausnahme, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht. Dieses Merkmal ist aber nur erfüllt, wenn das jeweilige nationale Staatsangehörigkeitsrecht das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit generell ausschließt (vgl. Berlit, in: GK-StAR, Stand Juli 2012, § 12 StAG Rn. 35 ff.; Geyer, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl. 2008 § 12 StAG Rn. 10 f.; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, StAngR, 5. Aufl. 2010, § 12 StAG Rn. 13; a.A. Marx, Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, 1997, § 87 AuslG Rn. 26).
In diese Richtung weist bereits der Wortlaut der Bestimmung. Die Wendung, dass "das Recht" ein Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit "nicht vorsieht" deutet darauf hin, dass es allein auf das Vorliegen einer objektiven Voraussetzung ankommt. Bei einem solchen Verständnis liegt es aber fern, den Anwendungsbereich der Bestimmung auch in den Fällen als eröffnet anzusehen, in denen das Recht des ausländischen Staates zwar die Möglichkeit des Ausscheidens vorsieht, im Einzelfall hingegen - wie hier - die subjektiven Voraussetzungen für ein Ausscheiden nicht vorliegen.
Aus der Systematik des Gesetzes ergibt sich deutlich, dass § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nur unter der Voraussetzung zulässt, dass das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit generell ausschließt. Dies folgt insbesondere aus dem systematischen Zusammenhang mit § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG. Diese Bestimmung gebietet die Hinnahme von Mehrstaatigkeit, wenn der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht. Sie setzt mithin voraus, dass der ausländische Staat das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit grundsätzlich zulässt und dass er daran Bedingungen knüpft. Die insoweit in Betracht kommenden Entlassungserfordernisse beziehen sich auf alle Fälle, in denen der ausländische Staat das Ausscheiden aus seinem Staatsverband grundsätzlich zulässt, aber von einem bestimmten Verhalten oder von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig macht (vgl. zur Bedingung der Volljährigkeit Berlit, a.a.O. Rn. 166). Dies schließt es aus systematischen Gründen aus, auch diese Fallgestaltungen als von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG erfasst anzusehen und gebietet zugleich die Annahme, dass die Bestimmung auf die Fälle beschränkt ist, in denen das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit ausnahmslos nicht vorgesehen ist.
Dieser Befund steht mit Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG im Einklang. Die Bestimmung verfolgt das Ziel, dass in dem in ihr geregelten Fall der rechtlichen Unmöglichkeit des Ausscheidens aus der ausländischen Staatsangehörigkeit die Mehrstaatigkeit hingenommen wird. Dies lässt es zu, den Anwendungsbereich auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen das Ausscheiden generell ausgeschlossen ist. [...]
b) Die Klägerin kann aber auch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG keine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit verlangen. Eine vom ausländischen Staat gestellte Bedingung ist im Sinne dieser Vorschrift unzumutbar, wenn sie schon abstrakt-generell betrachtet nach den Wertungen der deutschen Rechtsordnung nicht hinnehmbar ist. Nach verbreiteter Ansicht ist sie darüber hinaus unzumutbar, wenn sie sich konkret-individuell betrachtet für den Einbürgerungsbewerber in nicht hinnehmbarer Weise auswirkt (vgl. Berlit, a.a.O. Rn. 108 bis 110; Geyer, a.a.O. Rn. 18; Hailbronner, a.a.O. Rn. 24). Der Wortlaut der Norm lässt eher auf das Erfordernis einer abstrakt-generellen Prüfung schließen. Ob die darüber hinaus erforderliche individuelle Prüfung des Vorliegens besonders schwieriger Bedingungen ebenfalls von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG gefordert wird oder als gesonderter Prüfungsschritt im Rahmen des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG zu erfolgen hat, kann der Senat auch im vorliegenden Fall offenlassen (vgl. Urteil vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 9.10 - BVerwGE 137, 237 Rn. 37 = Buchholz 130 § 12 StAG Nr. 2 Rn. 37).
Denn es kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass das nach türkischem Recht bestehende Volljährigkeitserfordernis abstrakt oder konkret betrachtet unzumutbar wäre. Bei einer generalisierenden Betrachtungsweise ist zunächst festzustellen, dass auch verschiedene andere Staaten (z.B. Slowenien und die Schweiz) Minderjährige nur gemeinsam mit ihren Eltern ausbürgern und ansonsten die Entlassung aus ihrer Staatsangehörigkeit vom Erreichen des Volljährigkeitsalters abhängig machen (Geyer, a.a.O. Rn. 10 Fn. 37). Für eine solche Regelung können auch sachliche Gründe angeführt werden, insbesondere die mangelnde Reife Minderjähriger und die im familiären Umfeld nicht völlig abgeschlossene Loslösung von der nationalen Identität des Herkunftslandes. Auch wirkt sich das mit der Altersbeschränkung verbundene Entlassungshindernis im Regelfall nur vorübergehend und nicht dauerhaft und gravierend aus, wenn den Betroffenen nach Erreichen der Volljährigkeitsschwelle die staatsangehörigkeitsrechtliche Entscheidungsfreiheit gewährt wird. Da auch das nationale Recht die Entscheidungsfreiheit Minderjähriger und ihrer Erziehungsberechtigten bei rechtsgeschäftlichen Fragen von besonderer Tragweite z.B. nach §§ 1641 und 1643 BGB eingrenzt, kann eine solche Einschränkung nicht nach den Maßstäben des nationalen Rechts als unzumutbar angesehen werden.
Schließlich sind vom Berufungsgericht auch keine Tatsachen festgestellt worden, die das Volljährigkeitserfordernis im konkreten Einzelfall als unzumutbare oder besonders schwierige Bedingung erscheinen ließen. Ist eine Entlassungsvoraussetzung generell betrachtet zumutbar, dann hat dies zur Folge, dass die betroffenen Ausländer in der Regel die Bedingung erfüllen müssen, um nach Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverband aufgenommen zu werden. Schon aus Gleichbehandlungsgründen muss für die Annahme einer hiervon befreienden individuell-konkreten Unzumutbarkeit eine vom Regelfall abweichende atypische Belastungssituation vorliegen, die bei wertender Betrachtung nach nationalem Recht nicht hinzunehmen ist.
Dass die Klägerin wie andere Kinder, die schon in jungen Jahren einen Antrag stellen, vergleichsweise lange auf die Einbürgerung warten muss, stellt keine atypische Belastung dar. Auch können Umstände, die rechtspolitisch eine vorzeitige Einbürgerung erwägenswert erscheinen lassen, wie z.B. die vorangegangene Einbürgerung des Vaters und der volljährigen Geschwister der Klägerin, ihr Aufwachsen in Deutschland und ihre weitgehende Integration ins deutsche Gesellschaftsleben, für die Annahme einer besonderen Belastungssituation nicht ausreichen. Diese Umstände können auch nicht deswegen eine die Hinnahme der Mehrstaatigkeit rechtfertigende Sondersituation begründen, weil viele vergleichbare Kinder ausländischer Eltern, die wie die Klägerin in Deutschland aufgewachsen und integriert sind, nach § 4 Abs. 3 StAG kraft Gesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Zum einen liegen die weiteren Voraussetzungen der Norm in der Person der Klägerin nicht vor. Zum anderen ist dieser Staatsangehörigkeitserwerb mit der Optionspflicht nach § 29 Abs. 1 StAG belastet und führt daher anders als § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG nicht zur dauerhaften Hinnahme der Mehrstaatigkeit.
4. Die Versagung der Einbürgerung steht auch mit Völkerrecht im Einklang.
Etwas anders folgt nicht aus Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte der Kinder (KRK) vom 20. November 1989 (BGBl 1992 II S. 99, 121). Das dort genannte Recht des Kindes, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, dient vorrangig dem Schutz staatenloser Kinder (vgl. BTDrucks 12/42 S. 37; Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, 1. Aufl. 2012, Art. 8 Rn. 21). Es gewährt daher grundsätzlich keinen Anspruch auf Entlassung aus einer bestehenden Staatsangehörigkeit oder auf den Hinzuerwerb einer zweiten Staatsangehörigkeit.
Es mag zwar zutreffen, dass eine vorzeitige Einbürgerung unter Hinnahme dauerhafter Mehrstaatigkeit - wie vorgetragen - dem Kindeswohl der Klägerin im Sinne des Art. 3 Abs. 1 KRK dienen würde. Die in dieser Vorschrift enthaltene vorrangige Berücksichtigungspflicht führt jedoch nicht dazu, dass dem Kindeswohlaspekt in jedem Einzelfall gegenüber divergierenden öffentlichen Interessen ein absoluter Vorrang einzuräumen ist (BTDrucks 12/42 S. 35; Schmahl, a.a.O. Art. 3 Rn. 7). Vielmehr kann im Rahmen der einzelfallbezogenen Rechtsanwendung - d.h. bei der Prüfung der Zumutbarkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG - dem staatlichen Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit der Vorrang gebühren, wenn die Wartefrist bis zum Erreichen der Volljährigkeit - wie hier - nicht zu einer Gefährdung des Kindeswohls und damit zu einer besonderen Belastung führt.
Die Klägerin vermag auch aus dem Europäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (EuStAngÜbk) vom 6. November 1997 (BGBl 2004 II S. 578) nichts zu ihren Gunsten herzuleiten. Nach dessen Artikel 1 richtet sich das Übereinkommen an die Vertragsstaaten und erzeugt deshalb grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Einzelnen. Bereits aus diesem Grund kann sich die Klägerin nicht auf die Verpflichtung der Vertragsstaaten berufen, den Erwerb der Staatsangehörigkeit von Kindern nach Art. 6 Abs. 4 Buchst. c EuStAngÜbk und den Erwerb der Staatsangehörigkeit von im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates geborenen Personen nach Art. 6 Abs. 4 Buchst. e EuStAngÜbk zu erleichtern. Entsprechendes gilt für das Verbot, u.a. den Erwerb der Staatsangehörigkeit von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängig zu machen, wenn die Aufgabe oder der Verlust unmöglich oder unzumutbar ist (Art. 16 EuStAngÜbk). Davon abgesehen erkennt das Übereinkommen das Recht der Vertragsstaaten an, die Einbürgerung von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängig zu machen (vgl. Art. 15 Buchst. b EuStAngÜbk). Dem Erleichterungsgebot hat der deutsche Gesetzgeber insbesondere mit dem Anspruch auf Miteinbürgerung nach § 10 Abs. 2 StAG und der Möglichkeit der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG Rechnung getragen, dem Verbot des Art. 16 EuStAngÜbk mit § 12 StAG.
5. Der Klägerin steht - wie vom Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt - auch kein Anspruch auf Einbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG zu, da bei der Ermessenseinbürgerung für die Hinnahme der Mehrstaatigkeit nach den einschlägigen ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften, die nicht zu beanstanden sind, die gleichen Maßstäbe gelten wie bei der Anspruchseinbürgerung. [...]