VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 08.02.2013 - 4 K 1731/12 - asyl.net: M20603
https://www.asyl.net/rsdb/M20603
Leitsatz:

Für die nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Befristung einer Aufenthaltserlaubnis kommt es nicht darauf an, ob dem Ausländer ein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG zusteht. Vielmehr ist die Frage, ob ein solcher eigenständiger Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis besteht, im Rahmen eines separaten Verfahrens zu beantworten.

Eine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt. AufenthG kann sich nur aus Beeinträchtigungen ergeben, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stehen.

Wenn die Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft auf die Initiative des Ehepartners des Ausländers zurückgeht, ist das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft für den Ausländer regelmäßig nicht unzumutbar im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. AufenthG.

Im Fall der Befristung der Aufenthaltserlaubnis kommt dem Ausländer nicht die Aufenthaltserlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG zugute, wenn er den Antrag auf Verlängerung/Neuerteilung seiner Aufenthaltserlaubnis erst nach der Befristung seiner Aufenthaltserlaubnis und damit zu einem Zeitpunkt gestellt hat, als er nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels war. In diesem Fall ist die Ausreisepflicht des Ausländers auch gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Befristung, Befristung der Aufenthaltserlaubnis, besondere Härte, eheliche Lebensgemeinschaft, Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft, Aufenthaltserlaubnisfiktion, Erlaubnisfiktion, Fiktionswirkung, nachträgliche Befristung,
Normen: AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 31 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

1. Soweit die Klage darauf gerichtet ist, die Verfügung der Beklagten unter I. in ihrem Bescheid vom 01.02.2012 über die Befristung der dem Kläger erteilten und bis zum 23.08.2012 verlängerten Aufenthaltserlaubnis aufzuheben, ist es bereits fraglich, ob die Klage überhaupt zulässig ist. Denn selbst eine insoweit stattgebende Entscheidung des Gerichts könnte an dem Umstand, dass der Kläger inzwischen nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels ist, nichts ändern. Die ihm erteilte und von der Beklagten später befristete Aufenthaltserlaubnis galt nur bis zum 23.08.2012. Ob der Kläger aus sonstigen Gründen ein Rechtsschutzbedürfnis an einer Aufhebung der Befristung seiner Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von Anfang Februar 2012 bis zum 23.08.2012 hat, wird von ihm nicht dargelegt, kann aber letztlich dahingestellt bleiben, da die Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers mit großer Wahrscheinlichkeit zu Recht in der geschehenen Form befristet hat, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.

Die von der Beklagten ausgesprochene Befristung der dem Kläger erteilten Aufenthaltserlaubnis beruht auf § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Danach kann die Geltungsdauer einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt werden, wenn eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen ist. Voraussetzung für die dem Kläger erteilte bzw. verlängerte Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG war das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner (früheren) Ehefrau A. R.-A.. Dadurch, dass diese Lebensgemeinschaft unstreitig spätestens am 29.10.2010 endete, ist diese Erteilungsvoraussetzung weggefallen und sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die nachträgliche zeitliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis erfüllt. Die von der Beklagten im Bescheid vom 01.02.2012 ausgesprochene Befristungsentscheidung ist danach rechtlich nicht zu beanstanden.

Fehler bei der Ausübung des der Beklagten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumten Ermessens sind nicht erkennbar. Daran ändert auch der Vortrag des Klägers nichts, mit dem er darlegt, die Beklagte hätte im Rahmen ihrer Ermessensausübung berücksichtigen müssen, dass er einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 und 2 AufenthG habe, weil es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich sei, ihm den weiteren Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Denn entgegen der Auffassung des Klägers (die ausweislich der Begründung des angefochtenen Bescheids offenbar auch von der Beklagten geteilt wird) kommt es seit dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 01.01.2005 - anders als nach dem davor geltenden Ausländergesetz - für die nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung nicht (mehr) darauf an, ob dem Kläger ein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG zusteht. Vielmehr ist die Frage, ob ein solcher eigenständiger Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis besteht, im Rahmen eines separaten Verfahrens zu beantworten. Dieses Begehren ist nicht anders zu beurteilen als ein Begehren auf Verlängerung oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Ablauf der regulären (nicht verkürzten) Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis (so BVerwG, Urteil vom 09.06.2009, NVwZ 2009, 1432; vgl. auch Armbruster, in: HTK-AuslR, Stand: 01.02.2013, Anm. 4 zu § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, m.w.N.).

2. Danach müsste der Kläger das Begehren, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 und 2 AufenthG zu erteilen bzw. seine (frühere) Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, in einer separaten Verpflichtungsklage verfolgen. Eine solche Klage hat er bislang nicht erhoben. Vielmehr beschränkt sich der im vorliegenden Klageverfahren gestellte Antrag des Klägers auf die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 01.02.2012 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 09.08.2012. Eine solche Anfechtungsklage hat nach den vorstehenden Ausführungen wenig Aussicht auf Erfolg.

Ob der Kläger die vorliegende Klage nach Maßgabe von § 91 VwGO um die zuvor beschriebene Verpflichtungsklage erweitern könnte, ist im Rahmen des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die bislang allein erhobene Anfechtungsklage wohl nicht zu prüfen. Aber selbst wenn man eine solche Möglichkeit berücksichtigte, würde dies an den fehlenden Erfolgsaussichten der (solchermaßen erweiterten) Klage nichts ändern, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt.

Zwar wäre eine solche Verpflichtungsklage voraussichtlich nicht unzulässig. Der prozessual (und nach § 81 Abs. 1 AufenthG auch materiell-rechtlich) erforderliche Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis dürfte wohl in dem Vorbringen des Klägers über seinen Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 01.02.2012 zu sehen sein, den er vor allem mit seinem (vermeintlichen) Anspruch aus § 31 Abs. 1 und 2 AufenthG begründet hat (zur wohlwollenden Auslegung eines solchen Vorbringens als Antrag auf Erteilung/Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.2009, a.a.O.). Auch das fehlende Vorverfahren dürfte einer solchen Klage nicht entgegenstehen. Denn wenn man den Antrag des Klägers auf Erteilung/Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG in seinem Vorbringen zur Begründung seines Widerspruchs im Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 16.03.2012 sieht, wären inzwischen mehr als zehn Monate vergangen, in denen die Beklagte diesen Antrag nicht beschieden hätte, so dass die Klage gemäß § 75 VwGO wohl auch ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig wäre.

Eine solche Verpflichtungsklage wäre aber aller Voraussicht nach unbegründet. Denn dem Kläger stünde nach § 31 AufenthG kein Anspruch auf Verlängerung seiner (früheren) Aufenthaltserlaubnis zu. Zunächst erfüllt er unstreitig nicht die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 AufenthG, weil die eheliche Lebensgemeinschaft mit seiner (früheren) Ehefrau keine 13 Monate im Bundesgebiet Bestand hatte. Bei ihm liegt aber auch keine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 AufenthG vor, die es erforderlich machte, den weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet zu ermöglichen. Eine (solche) besondere Härte liegt nach § 31 Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht (1. Alt.) oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist (2. Alt.); dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist. Zu den schutzwürdigen Belangen zählt auch das Wohl eines mit dem Ehegatten in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindes.

Eine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2, 1. Alternative AufenthG (in Form einer erheblichen Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung) kann sich, wovon die Beklagte zu Recht ausgeht, nur aus solchen Beeinträchtigungen ergeben, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung, hier also mit der Ehe des Klägers mit seiner (früheren) Ehefrau und deren Auflösung, in Zusammenhang stehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.2009, a.a.O.; VG Aachen, Beschluss vom 04.02.2010 - 9 L 379/09 -, juris, m.w.N.). Dementsprechend kommt es für die Annahme eines Härtefalls nach dieser Alternative nur auf das Wohl eines Kindes aus der aufgelösten ehelichen bzw. familiären Lebensgemeinschaft an und nicht auf das Wohl eines Kindes aus einer neuen Verbindung, das keinen Bezug zur aufgelösten ehelichen Lebensgemeinschaft aufweist (VG Gießen, Beschluss vom 09.12.2008, AuAS 2009, 62, m.w.N.). Danach sind die Bindungen des Klägers zu seiner neuen Lebensgefährtin und den gemeinsamen Kindern aus dieser Beziehung keine im Rahmen von § 31 Abs. 2 Satz 2, 1. Alternative AufenthG zu berücksichtigenden schutzwürdigen Belange.

Diese Belange vermögen aber auch keine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative AufenthG (in Form der Unzumutbarkeit des weiteren Festhaltens des Ausländers an der ehelichen Lebensgemeinschaft wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange) zu begründen. Wenn die Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft auf die Initiative des Ehepartners des nachgezogenen Ausländers zurückgeht, ist das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft für den Ausländer regelmäßig nicht unzumutbar. Vielmehr ist ihm das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft schon gar nicht möglich, weil der andere Ehepartner ihn verlassen hat (vgl. hierzu Saarl. OVG, Beschluss vom 24.02.2011 - 2 B 17/11 -, m.w.N.; Bayer. VGH, Beschluss vom 13.08.2009 - 10 ZB 09.1020 -, juris; Hess VGH, Beschluss vom 10.10.2005, AuAS 2005, 266; VG Münster, Beschluss vom 09.07.2012 - 8 L 293/12 -, juris; VG Freiburg, Beschluss vom 02.09.2005 - 1 K 1534/05 -, juris). Da die Trennung von der (früheren) Ehefrau des Klägers ausging, die es, wie sich aus ihren mehrfachen Vorsprachen von ihr bei der Ausländerbehörde, zuletzt am 28.10.2010, ergibt, nicht mehr ausgehalten hat, mit dem Kläger zusammenzuleben, scheidet für den Kläger mit größter Wahrscheinlichkeit auch die Annahme einer besonderen Härte nach § 31 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative AufenthG aus. Im Übrigen kann aus dem Umstand, dass es der Kläger war, der u. a. durch außereheliche Beziehungen zu seiner jetzigen Lebensgefährtin zur Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft beigetragen hat, nach dem mit der Regelung in § 31 Abs. 2 Satz 2, 1. Alternative AufenthG verfolgten Zweck (vgl. hierzu Armbruster, a.a.O., Anm. 3.2 zu § 31 Abs. 2 AufenthG; Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 1, A 1-Aufenthaltsgesetz, § 31 RdNrn. 17 und 26 f.) für ihn keine Unzumutbarkeit des weiteren Festhaltens an der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsen. [...]