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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 14.03.2013 - 1 B 17.12 (= ASYLMAGAZIN 6/2013, S. 214 f.) - asyl.net: M20595
https://www.asyl.net/rsdb/M20595
Leitsatz:

1. Hat die Ausländerbehörde die Wirkungen einer Ausweisung entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht zugleich mit dem Erlass der Ausweisungsverfügung befristet (Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 14.12), kann der Ausländer diesen Anspruch im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Ausweisung durch einen Hilfsantrag auf nachträgliche Befristung durchsetzen.

2. Im Revisionsverfahren kann dieser Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn die Revision bereits aus anderen Gründen zuzulassen ist.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Anfechtungsklage, Ausweisung, nachträgliche Befristung, nachträgliche Divergenz, Änderung der Rechtsprechung, neuere Rechtsprechung, Befristungsanspruch, Befristung, Wirkung der Ausweisung, Befristung der Wirkungen der Ausweisung,
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3,
Auszüge:

[...]

Allerdings hat die Beschwerde zu Recht eine - nachträgliche - Divergenz der angegriffenen Entscheidung zum Senatsurteil vom 10. Juli 2012 (BVerwG 1 C 19.11 - NVwZ 2013, 365 Rn. 22 - 25) aufgezeigt. Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift ist gegeben, wenn das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen hat, den eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Ein solcher Fall hat hier zwar nicht schon bei Erlass der Berufungsentscheidung, wohl aber im Zeitpunkt der Beschwerdebegründung vorgelegen. Denn nach der neueren Rechtsprechung des Senats haben Ausländer seit Inkrafttreten des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Urteile vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 30 ff., vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 - juris Rn. 38 ff. und - BVerwG 1 C 14.12 - juris Rn. 11 f.). Fehlt eine Befristung der Ausweisungsentscheidung, kann der Ausländer zugleich mit der Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung gerichtlich durchsetzen. In seinem Anfechtungsantrag ist deshalb zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung ihrer Rechtmäßigkeit ein Hilfsantrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung zu sehen, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist.

Im vorliegenden Fall waren die Wirkungen der Ausweisung im angegriffenen Bescheid vom 31. Mai 2007 zunächst nicht befristet, so dass die Anfechtungsklage des Klägers nach der vorzitierten Rechtsprechung einen Hilfsantrag auf nachträgliche Beifügung einer Befristung umfasste. Über diesen Antrag musste nach dem Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts in erster Instanz allerdings nicht entschieden werden, da das Verwaltungsgericht den Bescheid insgesamt aufgehoben hat. Das Berufungsgericht hätte jedoch über einen derartigen Hilfsantrag entscheiden müssen, da es die Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) als rechtmäßig eingestuft hat. Sein - der Entscheidung unausgesprochen zu Grunde liegender - Rechtssatz, dass dies nicht erforderlich sei, begründet die von der Beschwerde gerügte nachträgliche Divergenz.

Dennoch kommt eine Zulassung der Revision nicht in Betracht, da die Beschwerde insoweit inzwischen unzulässig geworden ist. Der Beklagte hat den angegriffenen Bescheid durch eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf 10 Jahre ergänzt. Dem Befristungsanspruch des Klägers ist damit Rechnung getragen, so dass sein im Anfechtungsantrag enthaltener Hilfsantrag auf Verpflichtung des Beklagten zur nachträglichen Befristung ins Leere geht und eine Entscheidung über seine Divergenzrüge zur Durchsetzung dieses Befristungsanspruchs nicht mehr erforderlich ist. Für eine Zulassung der Revision allein zur Prüfung der Frage, ob die Behörde die Befristung im Einzelfall fehlerfrei bemessen hat, besteht kein Rechtsschutzinteresse, da diesem Begehren auf andere, einfachere Weise Rechnung getragen werden kann.

Der Einwand der Beschwerde, mit einer solchen Handhabung bestehe die Gefahr, dass eine fehlerhafte Befristung bestandskräftig werden könne und dem Kläger das rechtliche Gehör im Hinblick auf die Gründe für die Befristung abgeschnitten sei, greift nicht durch. Eine Rechtsschutzlücke zu Lasten des Klägers entsteht nicht. Vielmehr kann er die - gerichtlich in vollem Umfang überprüfbare - nachträgliche Befristungsentscheidung vom 20. September 2012 gesondert durch einen Anfechtungsantrag angreifen, der - falls der Befristungsentscheidung (wie hier) eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht beigegeben war - innerhalb eines Jahres nach Zustellung der Entscheidung bei dem zuständigen Verwaltungsgericht anhängig gemacht werden muss. Das Revisionsverfahren kann nach der Rechtsprechung des Senats nur dann dazu genutzt werden, auch diesem Begehren Rechnung zu tragen, wenn ein Revisionsverfahren aus anderen Gründen ohnehin eröffnet ist. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG verlangt nicht, dass ein aus anderen Gründen nicht eröffnetes Revisionsverfahren allein zu dem Zweck durchgeführt wird, die nachträglich eingeführte Befristungsentscheidung zu überprüfen und - falls sich die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung ergeben sollte - mit diesem Ziel den Rechtsstreit ggf. sogar in die Berufungsinstanz zurückzuverweisen. Die vorgenannte Rechtsprechung des Senats, wonach das Revisionsverfahren ausnahmsweise auch für die Bescheidung des im Anfechtungsbegehren hilfsweise enthaltenen Verpflichtungsantrags genutzt werden kann, zielt lediglich auf Übergangsfälle einer nachträglichen Befristung von Bescheiden, die ohnehin in der Revisionsinstanz anhängig sind. Sie begründet jedoch nicht die Verpflichtung, die Revision in Fällen zuzulassen, in denen keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Ein solcher Fall liegt hier vor. Im Übrigen steht es dem Kläger ggf. zusätzlich frei, bei einer geltend zu machenden Veränderung entscheidungserheblicher Umstände seit der maßgeblichen Befristungsentscheidung jederzeit einen Antrag auf nachträgliche Verkürzung der zunächst festgesetzten Frist bei dem Beklagten zu stellen und ggf. gerichtlich durchzusetzen. [...]