FG Baden-Württemberg

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Zitieren als:
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.10.2012 - 14 K 4711/10 - asyl.net: M20362
https://www.asyl.net/rsdb/M20362
Leitsatz:

Für das Vorliegen einer Beschäftigung kommt es nicht auf den Abschluss eines wirksamen Arbeitsvertrags, sondern ausschließlich darauf an, ob eine Tätigkeit für einen Dritten aufgenommen und die Verfügungsgewalt des Unternehmers über die Arbeitskraft des Beschäftigten hergestellt wurde.

Schlagwörter: Kindergeld, Probearbeitsverhältnis, Arbeitgeber, Arbeitsverhältnis, Weisungsrecht, Weisungsrecht des Arbeitgebers, Eingliederung, Eingliederung in den Betrieb, Beschäftigungsverhältnis, Arbeitsvertrag,
Normen: EStG § 62 Abs. 2 Nr. 2 c, EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3, AufenthG § 23a,
Auszüge:

[...]

Demzufolge ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV Arbeitnehmer, wer von einem Arbeitgeber persönlich - nicht notwendig wirtschaftlich - abhängig ist. Die persönliche Abhängigkeit stellt das wesentliche, das charakteristische Merkmal des Arbeitsverhältnisses dar. Sie bedeutet Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsausführung. Unter einem Arbeitsverhältnis wird daher vor allem der wirksame Arbeitsvertrag verstanden. Wie schon der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV zeigt, ist der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses aber weiter als derjenige des arbeitsrechtlichen Arbeitsvertrags, wenn auch eine Beschäftigung stets anzunehmen ist, wenn nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen ein Arbeitsverhältnis besteht. Es kommt deshalb für das Vorliegen einer Beschäftigung nicht auf den Abschluss eines wirksamen Arbeitsvertrags, sondern ausschließlich darauf an, ob eine Tätigkeit für einen Dritten aufgenommen und die Verfügungsgewalt des Unternehmers über die Arbeitskraft des Beschäftigten hergestellt wurde (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts - LSG - vom 30. September 2011 - L 9 U 46/10, juris - zur Schwarzarbeit). Dies wird (auch mit Blick auf den Wortsinn) regelmäßig schon bei einem Probearbeitsverhältnis der Fall sein. Denn auch insoweit verfügt der Arbeitgeber - allerdings meist unentgeltlich - mit Einwilligung des zur Probe Arbeitenden über dessen Arbeitskraft (Urteil des LSG Hamburg vom 31. Januar 2012 L 3 U 21/11, juris).

Im Streitfall steht unter Anwendung der obigen Kriterien zur Überzeugung des erkennenden Senats aufgrund der Vernehmung des Zeugen Z. fest, dass der Kläger im Juli 2005 beim P., Y. im Sinne des § 7 SGB IV beschäftigt war. Zwar war zu diesem Zeitpunkt noch kein schriftlicher Vertrag zwischen dem Kläger und dem P. abgeschlossen worden, erst recht kein Arbeitsvertrag. Schließlich wollte der zukünftige Arbeitgeber nach der Bewerbung des Klägers ihn im Rahmen eines "Probeschaffens" kennenlernen (Abspielpunkte: 00:00:22 ff.). [...] Die Aussagen des Zeugen Z. differieren zwar von den Angaben des Klägers hierzu, der sich an eine Probearbeit vor dem 1. August 2005 nicht erinnern konnte. Für das Gericht sind die Ausführungen des Zeugen Z. allerdings glaubhaft, da er mehrfach angab, üblicherweise so zu verfahren [...] und es nicht erkennbar ist, warum er beim Kläger ausnahmsweise hätte anders verfahren sollen, zumal der Zeuge nachvollziehbar ausführte [...], den Kläger zuvor nicht gekannt zu haben [...]. Lediglich in den Fällen, in denen man jemanden aus einem festen Arbeitsverhältnis abwerben wolle, mache man das (Probeschaffen) nicht [...]).

Zwar erfolgte der Abschluss des Arbeitsvertrags erst am Montag, dem 1. August 2005. Jedoch war der Kläger bereits im Juli 2005, während seiner Probearbeit, in die Arbeitsorganisation des P.s eingegliedert und den Weisungen des künftigen Arbeitgebers unterworfen. [...] Im Hinblick auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung gab es konkrete Bestimmungen. Der Zeuge Z. führte aus, der Kläger habe grundsätzlich dieselbe Arbeitszeit gehabt, wie die anderen [...]. Den Weisungen seines künftigen Arbeitgebers hat sich der Kläger auch unterworfen. Zumindest ist er seit 1. August 2005 bis heute beim P., Y. beschäftigt.

Das Ergebnis, im Streitzeitraum von einer Erwerbstätigkeit des Klägers auszugehen, entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck des § 62 Abs. 2 EStG. Schließlich hat diese Norm zum Ziel, Kindergeld nur solchen ausländischen Staatsangehörigen zukommen zu lassen, die sich rechtmäßig und voraussichtlich dauerhaft in der Bundesrepublik aufhalten. In der Gesetzesbegründung ist hierzu ausgeführt, dass Indikator für einen solchen dauerhaften Verbleib vor allem die Ausübung einer Beschäftigung bzw. die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ist (BTDrucks 16/1368, S. 8). Die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ist auch während einer einwöchigen Probearbeit beim zukünftigen Arbeitgeber gegeben.

Anhaltspunkte, die gegen die Rechtmäßigkeit der Erwerbstätigkeit des Klägers im Streitzeitraum sprechen, ergeben sich weder aus den Akten noch aus dem Vortrag der Beteiligten. [...]