OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 19.12.2012 - 1 B 275/12 - asyl.net: M20283
https://www.asyl.net/rsdb/M20283
Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Ausweisersatz nach § 48 Abs. 2 AufenthG erteilt werden kann.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Ausweisersatz, Passbeschaffung, Fiktionsbescheinigung, Fiktionswirkung, Zumutbarkeit, Identitätsbescheinigung, Identitätsnachweis, Statusbescheinigung, Passersatz, Passersatzpapiere, psychische Erkrankung, psychische Beeinträchtigung,
Normen: AufenthG § 3 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 48 Abs. 2, AufenthVO § 55 Abs. 1, AufenthG § 81 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind erfüllt (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Zur Abwendung wesentlicher Nachteile ist es geboten, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einen Ausweisersatz nach § 55 Abs. 1 AufenthVO zu erteilen.

1. Ein Ausländer darf sich im Bundesgebiet nur aufhalten, wenn er einen gültigen Pass oder Passersatz besitzt (§ 3 Abs. 1 S. 1 AufenthG). Für den Aufenthalt im Bundesgebiet wird die Passpflicht auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes erfüllt (§ 3 Abs. 1 S. 2 AufenthG). Der Ausweisersatz wird in der Weise ausgestellt, dass die Bescheinigung über den Aufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen sowie ausdrücklich als Ausweisersatz bezeichnet wird (§ 48 Abs. 2 AufenthG, § 55 Abs. 1 AufenthVO). Er lässt die Pflicht zur Passbeschaffung (§ 48 Abs. 3 AufenthG) unberührt. Als behördliche Identitäts- und Statusbescheinigung ist er Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Sozialleistungen oder den Abschluss privater Rechtsgeschäfte (vgl. HKAuslR/Hoffmann, 2008, § 3 Rn. 13; Weichert in Huber, AufenthG, 2010, § 48 Rn. 9). Die Vorschriften über den Ausweisersatz sind auf die Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG entsprechend anzuwenden; hiervon ist die Antragsgegnerin im Falle des Antragstellers in der Vergangenheit auch zutreffend ausgegangen.

Voraussetzung für die Ausstellung eines Ausweisersatzes ist, dass der Ausländer weder einen Pass oder Passersatz besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann (§ 48 Abs. 2 AufenthG, § 55 Abs. 1 AufenthVO).

2. Der Antragsteller macht geltend, er habe die ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen, um einen bosnisch-herzegowinischen Reisepass zu erlangen; die Anstrengungen seien aber erfolglos geblieben. Die ihm angesonnene Reise nach Bosnien-Herzegowina sei ihm, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt, aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen nicht zumutbar. Dazu hat er Stellungnahmen seiner Bewährungshelferin vorgelegt (vgl. insbesondere die Stellungnahmen vom 30.06.2008 und 17.07.2012).

Im Rahmen der in diesem Eilverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung hat der Antragsteller damit hinreichend dargelegt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Ausweisersatzes erfüllt sind. Das Gericht berücksichtigt dabei, dass auch die Antragsgegnerin in der Vergangenheit davon ausgegangen ist, dass die Klärung der Staatsangehörigkeit des Antragstellers und die Beschaffung eines Passes aufgrund der persönlichen Verhältnisse des Antragstellers sowie der Situation im ehemaligen Jugoslawien ggf. mit Schwierigkeiten verbunden ist.

Das Gericht stellt weiter in Rechnung, dass es sich bei dem Ausweisersatz nach § 48 Abs. 2 AufenthG, § 55 Abs. 1 AufenthVO lediglich um eine Identitäts- und Statusbescheinigung handelt, mit der der Ausländer seiner Ausweispflicht nachkommen und die ihm die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglichen soll. Der Ausweisersatz unterscheidet sich in seinen Rechtswirkungen insoweit deutlich von den in § 48 Abs. 1 AufenthG, §§ 4 ff. AufenthVO genannten Passersatzpapieren.

Die Befristung der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnisantrag ermöglicht der Antragsgegnerin überdies, die Behauptung des Antragstellers, ihm sei eine Reise nach Bosnien-Herzegowina im gegenwärtigen Zeitpunkt unzumutbar, im Rahmen des laufenden Aufenthaltserlaubnisverfahrens und einer etwaigen Erheblichkeit der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG einer Überprüfung zu unterziehen.

Jedenfalls bis zum Abschluss dieser Überprüfung erscheint dem Gericht der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung geboten. Der Hinweis der Bewährungshelferin darauf, dass es dem Antragsteller zur Zeit nicht einmal möglich sei, ein Konto zu eröffnen (Schreiben vom 03.08.2012), verdeutlicht die Nachteile, die in der Zeit aus der Unmöglichkeit, sich auszuweisen, entstehen. [...]