Eine Person, die an Diabetes mellitus erkrankt ist, hat einen Anspruch auf Mehrbedarf an kostenaufwändiger Ernährung.
[...]
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 6 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Danach können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall u.a. zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Die Leistungen sind als Sachleistungen, bei Vorliegen besonderer Umstände als Geldleistung zu gewähren. [...]
Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 AsylbLG sind gegeben. Der Kläger gehörte im streitgegenständlichen Zeitraum zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem AsylbLG. Die Leistungen waren in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang im Einzelfall auch zur Sicherung der Gesundheit des Klägers unerlässlich. Dies hat der Beklagte rechtsfehlerhaft verkannt.
Der Kläger leidet ausweislich der ärztlichen Stellungnahmen des Dipl.-Med. ... vom 24. April 2007 und 12. Mai 2009 unstreitig an Diabetes mellitus Typ II. Damit bedarf er grundsätzlich einer besonderen Ernährung in Form von Vollkosternährung; die Erkrankung verlangt eine ausgewogene Mischkost, möglichst mit Vollkornprodukten (so LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Oktober 2010 - L 23 SO 130/06). Zudem hat Dipl.-Med. … in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 12. Mai 2009 ausgeführt, dass der Kläger zuckerarme und fettarme Nahrungsmittel benötigt. Sowohl die medizinische Behandlung als auch die Einhaltung der dargestellten diätetischen Ernährung sei zur Vermeidung erhöhter Blutzuckerwerte mit der Gefahr des Auftretens von Komplikationen, wie z.B. Nierenerkrankungen, Augenerkrankungen oder Durchblutungsproblemen von Herz-, Kopf- oder Beingefäßen und somit zur Sicherung der Gesundheit des Klägers unerlässlich.
Der Beklagte hat nach der Überzeugung der Kammer rechtsfehlerhaft verkannt, dass der Kläger mit dem ihm im streitgegenständlichen Zeitraum zur Verfügung stehenden Barbetrag von 158,50 Euro diese Ernährung nicht finanzieren konnte. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass sowohl nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. - diese sind als antizipiertes Sachverständigengutachten zu berücksichtigen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.) - als auch nach der ganz überwiegenden oder gar einhelligen Rechtsprechung der Gerichte, insbesondere auch der erkennenden Kammer, zur Problematik des ernährungsbedingten Mehrbedarfs bei Diabetes mellitus (Typ IIa) zwar das Erfordernis einer besonderen Ernährung besteht, jedoch damit keine besonderen Kosten verbunden sind, weil davon auszugehen ist, dass der auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 (EVS 2003) bemessene Regelsatz den notwendigen Aufwand für eine Vollkost deckt (vgl. Ziffer 11.2 Nr. 4.1 der Empfehlung).
Anknüpfungspunkt für diese Überlegungen ist aber die Höhe des Regelsatzes bzw. des darin enthaltenen Anteils für Nahrungs- und Genussmittel betreffend die Leistungsberechtigten nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) XII bzw. II. Ob der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber (hier: Festsetzung nach dem Runderlass des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg vom 3. März 1994 zur Durchführung des AsylbLG in den Landkreises und kreisfreien Städten) bei Festsetzung der Regelsätze für Asylbewerber im Jahre 1994 eine gesunde Misch-/Vollkost in den auf Lebensmittel entfallenden Anteil der Regelleistung rechnerisch einbezogen hat, lässt sich nicht feststellen. Irgendwelche Berechnungen oder auch nur im Ansatz nachvollziehbare Angaben dazu liegen unstreitig nicht vor. Weitere Ermittlungen von Amts wegen dazu sieht die Kammer nicht als erfolgversprechend oder zielführend an. Sie hat daher bei ihrer Entscheidung vor allem berücksichtigt, dass dem Kläger in der maßgeblichen Zeit deutlich geringere Beträge als der genannten Personengruppe zur Deckung seines Bedarfes an Nahrungsmitteln zur Verfügung gestanden hat. Geht man - wie aktuell das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfsermittlungsgesetz - RBEG) von einem Anteil von 35,5 % (128,46 Euro x 100, geteilt durch 361,81 Euro, vgl. zu den Beträgen § 5 Absätze 1 und 2 RBEG) des Regelsatzes für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke aus, so haben dem Kläger unter Zugrundelegung dieses Anteils bei insgesamt 158,50 Euro an Barleistungen 56,27 Euro monatlich bzw. 1,88 Euro täglich für Nahrungsmittel zur Verfügung gestanden. Dieser Betrag würde sich unter vollständiger Außerachtlassung der Bedarfe der Abteilungen 3 (Bekleidung und Schuhe - diese wurden dem Kläger extra gewährt), 4 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung - dieser Posten war in dem Betrag von 158,50 Euro nicht enthalten, weil ihm der Energiekostenanteil von 25,57 Euro gar nicht erst ausgezahlt wurde, vgl. Bl. 43 VV) und 5 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände) zwar auf 94,85 Euro monatlich = 3,16 Euro pro Tag (59,84 % von 158,50 Euro) erhöhen, aber damit noch immer um 1,36 Euro täglich (4,52 Euro minus 3,16 Euro = 1,36 Euro) unter der Mindestgrenze des Betrages von 4,52 Euro für allein Lebende unterer Einkommensschichten liegen, von dem der Deutsche Verein in seiner Stellungnahme aus Oktober 2008 ausgeht.
Da - wie dargestellt - belastbare Rechengrößen hinsichtlich der in den Betrag von 158,50 Euro eingestellten Bedarfe gänzlich fehlen, war die Kammer in entsprechender Anwendung von § 287 ZPO nicht gehindert, den unterdeckten Bedarf des Klägers, der nach den allgemeinen Erkenntnissen für an Diabetes mellitus Erkrankten nicht nur einer gesunden Mischkost/Vollkost bedarf, sondern ausweislich der ärztlichen Stellungnahme des Dipl.-Med. ... vom 12. Mai 2009 auch zuckerarme und fettarme Nahrungsmittel zu sich nehmen muss, zu schätzen. Dabei geht die Kammer ebenso wie der Arzt ... davon aus, dass zucker- und fettarme Lebensmittel, insbesondere fettarmer Fisch und Käse, fettarme Wurst und fettarmes Fleisch jeder Art sowie zuckerarme Produkte (z.B. Kekse, Schokolade etc.) selbst in großen Supermärkten deutlich teurer sind als solche Lebensmittel, die gerade diese Merkmale nicht aufweisen. Dabei ist die Kammer - bei allen Unsicherheiten hinsichtlich des angenommenen Betrages für Lebensmittel in dem gewährten "Regelsatz" von insgesamt 158,50 Euro davon ausgegangen, dass ein geschätzter Mehrbedarfsbetrag von 1,50 Euro täglich, somit 45,00 Euro monatlich, ausreichend, aber auch nötig war, um den Bedarf des Klägers an den ärztlich als erforderlich angesehenen Lebensmitteln zu decken. Der Kläger hat sich mit dem Vorgehen der Kammer, einen angemessenen Betrag notfalls auch im Wege einer Schätzung zu bestimmen, ausdrücklich einverstanden erklärt.
Dieser Betrag war dem Kläger auch für den gesamten Zeitraum von März 2009 bis einschließlich 30. April 2010, somit für 14 Monate, als Geldleistung zu gewähren, weil der Kläger im gesamten Zeitraum unstreitig an Diabetes mellitus Typ IIa erkrankt war. [...]