Die Rückführungsrichtlinie differenziert nicht nach dem Grund der Rückführung, sondern stellt auf die tatsächliche Verbringung ab. Es ist nicht einleuchtend, dass die Rückführungsrichtlinie unbegleitete Minderjährige, die im Dublin II-Verfahren überstellt werden sollen, hinsichtlich ihres Schutzes schlechter stellen wollte als sonstige Drittstaatsangehörige, die aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbracht werden sollen.
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Der materielle Verfahrensausgang stellt sich unter Anlegung der für die Gewährung von Prozesskostenhilfe anzulegenden Maßstäbe als offen hinsichtlich der Frage dar, ob die Überstellung des Klägers am 28. Juli 2011 in die Niederlande rechtmäßig gewesen ist.
Dies hat zunächst für die Frage zu gelten, ob der durch Bezugnahme auf seinen Beschluss vom 28. Juli 2011 - 5 L 1076/11.DA - vertretenen Auffassung des Verwaltungsgerichts, Art. 10 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABL L 348 vom 24.12.2008, S. 98 ff.) habe der Überstellung des Klägers in die Niederlande nicht entgegengestanden, zu folgen ist. Soweit das Gericht ausführt, Art. 10 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie habe der Überstellung nicht entgegen gestanden, da ein besonderes Unterstützungsverfahren für unbegleitete Minderjährige nur vor Ausstellung einer Rückkehrentscheidung, die im vorliegenden Fall jedoch gerade entbehrlich sei, gefordert werde, mag dahinstehen, ob dies zutreffend ist. Zumindest wäre jedoch Art. 10 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie in den Blick zu nehmen gewesen, wonach sich die Behörden vor der Abschiebung von unbegleiteten Minderjährigen aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates vergewissern müssen, dass die Minderjährigen einem Mitglied ihrer Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Rückkehrstaat übergeben werden. Dabei versteht die Richtlinie nach den in Art. 3 vorgenommenen Begriffsbestimmimgen unter "Abschiebung" die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d. h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedsstaat. Wird auf die tatsächliche Verbringung abgestellt - aus welcher Rückkehrverpflichtung herrührend auch immer - wären in allen Abschiebe- oder Überstellungsfällen unbegleiteter Minderjähriger die Vorgaben des Art. 10 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie zu beachten. Es spricht einiges dafür, dass die Auffassung des Beklagten, in Rückführungsfällen nach der Dublin II-Verordnung, bei der es sich um ein reines Zuständigkeitsbestimmungsverfahren handele, fänden die Vorschriften der Rückführungsrichtlinie und die in ihr enthaltenen besonderen Vorschriften zum Schutz unbegleiteter Minderjähriger keine Anwendung, nicht zutrifft. Zum einen differenziert die Rückführungsrichtlinie nicht nach dem Grund der Rückführung, sondern stellt auf die tatsächliche Verbringung ab, wobei dem Senat nicht einleuchtend erscheint, dass die Rückführungsrichtlinie unbegleitete Minderjährige, die im Dublin II-Verfahren überstellt werden sollen, hinsichtlich ihres Schutzes schlechter stellen wollte als sonstige Drittstaatsangehörige, die aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates verbracht werden sollen. Zum anderen stellte sich, sollte man die Rückführungsrichtlinie für nicht anwendbar halten, die Frage, ob die dort enthaltenen Regelungen zum Schutz unbegleiteter Minderjähriger, die der Umsetzung höherrangigen Rechts (Kinderschutzkonvention, EMRK, Art. 24 Abs. 2 Grundrechte-Charta) dienen dürften, materiell Geltung entfalten bzw. entsprechend anzuwenden sind.
Die Tatsache, dass der Kläger bei seinem Voraufenthalt in den Niederlanden ein anderes Geburtsdafum angegeben hatte, nach dem er die Volljährigkeitsgrenze bereits erreicht gehabt hätte, ändert nichts daran, dass sich die für die Rückführung oder Überstellung zuständigen Behörden bei geänderten Altersangaben mit der Problematik der Minderjährigkeit befassen müssen, dies insbesondere dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, sowohl das Jugendamt als auch das Familiengericht von der Minderjährigkeit des Klägers ausgegangen sind. [...]