1. Die Frage, ob der einem jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in Folge einer Aufnahmezusage erteilte Aufenthaltstitel erloschen ist, ist nach § 51 AufenthG zu beurteilen (im Anschluss an BVerwG,
Urt. v. 22.03.2012 - 1 C 3/11 - , juris).
2. Zum Erlöschen des Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Die Feststellungsklage (Hauptantrag) ist zulässig. Der Kläger hat ein Feststellungsinteresse, weil die Beklagte, ohne einen entsprechenden Bescheid erlassen zu haben, der Ansicht ist, die dem Kläger erteilte Niederlassungserlaubnis sei erloschen. Die Klage ist aber nicht begründet, weil die Niederlassungserlaubnis tatsächlich erloschen ist.
Das Erlöschen richtet sich nach § 51 AufenthG. Dies folgt aus dem Urteil des BVerwG vom 22.03.2012 - 1 C 3/11 -, juris und InfAuslR 2012, 261. Danach ergibt sich aus den Übergangsregelungen des § 101 Abs. 1 S. 2 AufenthG und des § 103 AufenthG, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 23 Abs. 2 AufenthG die zukünftige Rechtsstellung auch der vor dem 01.01.2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion abschließend neu ausgestaltet hat, um die bisherige, aus der entsprechenden Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes resultierende unklare Rechtslage für die Zukunft zu bereinigen. Allein ein gesetzlich erworbener Kontingentflüchtlingsstatus besteht über den 01.01.2005 hinaus. Anders ist es dagegen beim Kläger, der "lediglich" infolge einer Aufnahmezusage nach Deutschland kam (vgl. zum Urteil vom 22.03.2012 Fricke in jurisPR-BVerwG 13/2012, Anm. 1). Seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, später Niederlassungserlaubnis galt als Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG fort (§ 101 Abs. 1 S. 2 AufenthG). Damit ist § 51 AufenthG anwendbar, denn die Vorschrift gilt für sämtliche Aufenthaltstitel des Aufenthaltsgesetzes.
Die Niederlassungserlaubnis dürfte allerdings nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen sein. Der Kläger hat die Sechs-Monatsfrist wohl nicht überschritten, und zwar auch nicht in der Zeit vom 02.04.2008 bis zum 21.03.2009. Aus der Kopie von Seite 8 des Passes des Klägers ergibt sich nämlich hinreichend deutlich, dass er am 20.09.2008 aus Russland ausgereist ist. Im Zusammenhang mit der vorgelegten Flugübersicht von Germanwings (Seite 89 der Gerichtsakte) dürfte nachgewiesen sein, dass er am 20.09.2008 von Moskau nach ... geflogen ist und damit die Sechs-Monatsfrist gewahrt hat.
Letztlich kommt es darauf aber nicht an; es war daher nicht erforderlich, das Original des Reisepasses des Klägers in Augenschein zu nehmen. Die Niederlassungserlaubnis ist nämlich nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen. Der Kläger hat die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2007 aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund verlassen (so schon Beschluss des Gerichts vom 27.05.2011 - 6 K 253/11 -). Vielmehr hielt er sich in Russland auf unabsehbare Zeit auf. Ob dies der Fall ist, ist nicht allein nach dem inneren Willen des Klägers zu beurteilen. Maßgebend sind vielmehr die gesamten Umstände des Einzelfalles. Ein wesentliches Indiz ist die Abwesenheitsdauer. Je länger sie währt und je deutlicher sie über einen bloßen Besuchs- und Erholungsaufenthalt im Ausland hinausgeht, desto mehr spricht dafür, dass der Auslandsaufenthalt nicht nur vorübergehender Natur ist. Weitere äußere Anhaltspunkte für die Beurteilung des Ausreisegrundes sind der Zweck der Abwesenheit sowie der Abbruch oder die Aufrechterhaltung von Beziehungen zu Deutschland (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2001 - 11 S 1822/01 -, juris und InfAuslR 2002, 234).
Hieran gemessen, hat der Kläger Deutschland aus einem nicht nur vorübergehenden Grund verlassen, auch wenn er den inneren Willen gehabt haben mag, nach Deutschland zurückzukehren. Hierfür spricht entscheidend die Länge des Auslandsaufenthaltes, nämlich - mit kurzen Unterbrechungen - von Juni 2007 bis Ende Mai 2010. Wie sein Prozessbevollmächtigter selbst vorträgt, ist der Kläger in dieser Zeit verschiedenen Arbeitstätigkeiten nachgegangen, was ebenfalls deutlich gegen eine bloße Besuchsreise spricht. Der Umstand, dass er, um das Erlöschen des Aufenthaltstitels zu vermeiden, vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist jeweils mehr oder weniger kurzfristig nach Deutschland zurückgekehrt ist, ist nicht geeignet, eine nur vorübergehende Abwesenheit bejahen zu können (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.01.2008 -11 ME 418/07 -, juris und InfAuslR 2008, 151). Zudem ist nicht nur der Kläger nach Russland gereist, sondern auch seine Lebensgefährtin und die gemeinsame Tochter, die in Moskau sogar die Schule besucht hat. Es ist kein Anzeichen für den Rückkehrwillen des Klägers, dass dies die "deutsche Schule" war, weil auch Kinder von russischen Staatsangehörigen, die dauerhaft in Russland leben, eine solche Schule besuchen. Im Übrigen handelte es sich nach der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung um eine Mittlere allgemeinbildende Schule mit erweitertem Deutschunterricht Nr. ..., also nicht etwa um eine Schule, an der ausschließlich auf Deutsch unterrichtet wurde. Richtig ist allerdings, dass die beiden - erwachsenen - Söhne des Klägers in Deutschland (...) zurückblieben. Auch dies spricht aber nicht für die Absicht des Klägers, sich nur vorübergehend in Russland aufhalten zu wollen, da die Söhne für sich selbst sorgen konnten und der Kontakt mit ihnen auch im Rahmen von bloßen Besuchsaufenthalten aufrecht erhalten werden konnte.
Zwar hat der Kläger dem Gericht einige Bewerbungsschreiben vorgelegt, die an Firmen in Deutschland gerichtet sind. Einen Nachweis, wann und wie er die Schreiben abgesandt hat, hat er aber nicht geführt; dies wäre aber umso notwendiger gewesen, als er kein einziges Antwortschreiben einer Firma beigefügt hat. Auch wenn eine Firma die Bewerbung nicht berücksichtigen wollte, hätte sie ihm in der Regel dennoch ein kurzes Ablehnungsschreiben zukommen lassen.
Bereits im Beschluss vom 27.05.2011 hat das Gericht ferner darauf hingewiesen, dass der Kläger sich auch nach Ende Mai 2010 in Russland aufhielt. Auch zur Zeit lebt er wieder in Russland, wie sich aus seinem Schreiben, das am 10.09.2012 beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangen ist, ergibt.
Schließlich folgt angesichts dieser eindeutig gegen den Erfolg der Feststellungsklage sprechenden Umstände auch nichts zugunsten des Klägers aus der "Rechtsstellung sui generis", die er nach dem Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 21.07.2011 - 11 S 1796/11 - erworben haben soll (vgl. dazu aber das bereits zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.2012). [...]