Gilt für einen Ausländer aus einem früheren Asylverfahren noch eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf den Bezirk einer anderen Ausländerbehörde (§ 56 Abs. 3 AsylVfG), so dauert deren örtliche Zuständigkeit trotz der Regelung in § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) HmbVwVfG (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) VwVfG) grundsätzlich auch dann an, wenn sich der Ausländer tatsächlich überwiegend im Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde aufhält. Es besteht in diesen Fällen jedenfalls kein Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung gegenüber der Ausländerbehörde, in deren Bezirk der Ausländer wegen einer behaupteten familiären Lebensgemeinschaft mit einem Kind seinen Aufenthalt nehmen möchte, mit dem Ziel, diese zu verpflichten, seinen Aufenthalt in ihrem Zuständigkeitsbereich zu dulden.
Der Ausländer ist bis zur abschließenden Klärung der örtlichen Zuständigkeit für weitere ausländerrechtliche Entscheidungen darauf verwiesen, bei der bisher zuständigen Ausländerbehörde eine Duldung mit einer nach § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG abweichenden räumlichen Beschränkung ihres Geltungsbereichs oder eine Erlaubnis zum Verlassen des Geltungsbereichs der Duldung (§ 12 Abs. 5 AufenthG) zu beantragen.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen.
1. Es mag zweifelhaft sein, ob der vorliegende Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wirklich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielt. Der Antragsteller begehrt in der Hauptsache nicht nur eine Duldung, sondern die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Sowohl das bei der Antragsgegnerin gestellte Duldungsbegehren als auch der beim Verwaltungsgericht gestellte Antrag lassen sich dahingehend interpretieren, dass der Antragsteller bis zur Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnis-Antrag vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geschützt werden möchte.
Freilich wäre bei diesem Verständnis des einstweiligen Rechtsschutzantrags zweifelhaft, ob gegenüber der Antragsgegnerin ein Anordnungsgrund bestünde, da sie gemäß ihrer Stellungnahme vom 25. Juli 2012 eine Abschiebung des Antragstellers nicht beabsichtigt. Allerdings ist das Verhalten der Antragsgegnerin so zu verstehen, dass sie sich zur Zeit schon weigert, über den bei ihr gestellten Antrag überhaupt inhaltlich zu entscheiden, da sie sich für örtlich unzuständig hält. Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller bis zur endgültigen Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnis-Antrag zu dulden, würde aber jedenfalls insoweit eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten, als die Antragsgegnerin mit der Erteilung einer Duldung auch für deren mögliche Verlängerung und für eine inhaltliche Entscheidung über den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis örtlich zuständig würde (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.4.2006, 4 Bs 66/06, InfAuslR 2006, 369, 372; Beschl. v. 15.9.2004, 3 Bs 257/04, NordÖR 2005, 244, 245).
2. Nach dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegebenen Erkenntnisstand unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens des Antragstellers (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) spricht viel dafür, dass das Einwohner-Zentralamt der Antragsgegnerin jedenfalls derzeit noch nicht für die inhaltliche Entscheidung über den im Juli 2012 gestellten Antrag des Antragstellers örtlich zuständig ist. Ein "gewöhnlicher Aufenthalt" des Antragstellers im Sinn von § 3 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a HmbVwVfG dürfte in Hamburg gegenwärtig nicht bestehen, lässt sich jedenfalls derzeit nicht mit einer Sicherheit bejahen, die für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gegenüber der Antragsgegnerin erforderlich wäre.
a) Zwar hält sich der Antragsteller zur Zeit, möglicherweise auch schon seit längerem, tatsächlich in Hamburg auf. Das ist eine zwar notwendige, aber noch nicht ausreichende Bedingung für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Rechtssinn. Den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn von § 3 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a HmbVwVfG hat eine natürliche Person dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (BVerwG, Urt. v. 4.6. 1997, NVwZ-RR 1997, 751). Dies bestimmt sich aber nicht nach dem inneren Willen des Betroffenen, sondern setzt eine in die Zukunft gerichtete Prognose voraus, die alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt. Neben den tatsächlichen Verhältnissen gehören dazu auch ausländerrechtliche Regelungen, die den Verbleib eines Ausländers an einem bestimmten Ort beeinflussen (OVG Hamburg, Beschl. v. 26.4.2006, InfAuslR 2006, 369, 370 m.w.N.). Das sind beispielsweise räumliche Aufenthaltsbeschränkungen nach § 56 Abs. 1 und 2 AsylVfG und § 61 Abs. 1 AufenthG, aus denen sich unmittelbar ergibt, dass der Aufenthalt des Ausländers außerhalb des Bereichs seiner Aufenthaltsbeschränkung nur vorübergehend ist. Für ein grundsätzlich nur aus besonderem Anlass und für besondere Zwecke erlaubtes Verlassen des Bereichs der räumlichen Beschränkung seines Aufenthalts bedarf der Ausländer in der Regel einer besonderen Erlaubnis (§ 12 Abs. 5 AufenthG, §§ 57, 58 AsylVfG). Nach § 12 Abs. 3 AufenthG hat der Ausländer den Teil des Bundesgebiets, in dem er sich ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde einer räumlichen Beschränkung zuwider aufhält, unverzüglich zu verlassen.
b) Der Antragsteller war zunächst gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG verpflichtet, sich im Gebiet der Stadt T. aufzuhalten. Mit Bescheid vom 2. Oktober 2007 wurde er aufgrund § 50 AsylVfG landesintern in den Kreis K. verteilt. Zwar dürfte er den Zuweisungsbescheid nicht erhalten haben, da er seit 20. August 2007 "abgängig" war, doch muss er diese Zuweisung, die ihm persönlich zuzustellen war (§ 50 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG), gegen sich gelten lassen (§ 10 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG). Die hiermit verbundene räumliche Beschränkung auf den Kreis K. (§ 56 Abs. 2 AsylVfG) blieb gemäß § 56 Abs. 3 AsylVfG auch nach dem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung infolge Eintritts der Unanfechtbarkeit des Bundesamtsbescheids vom 16. Juli 2007 (§ 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG) in Kraft. Durch diese räumliche Beschränkung wurde zudem die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Kreises K. festgelegt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2010, 5 Bs 116/10; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 2.12.2009, OVG 3 S 120.08, juris, Rn. 9; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand Juni 2012, § 60a Rn. 63 und § 61 Rn. 25).
Diese Beschränkung ist weder ausdrücklich aufgehoben worden (§ 56 Abs. 3 Satz 1 am Ende AsylVfG) noch aufgrund des § 56 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG erloschen. Aber auch eine etwaige Erledigung der räumlichen Beschränkung durch Erteilung einer Duldung mit einer inhaltlich anderen räumlichen Beschränkung (vgl. hierzu OVG Koblenz, Urt. v. 15.2.2012, InfAuslR 2012, 234, 235; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, a.a.O.; Armbruster, HTK-AuslR/§ 61 AufenthG/ zu Abs.
1/Wohnsitzwechsel 05/2012 Nr. 1) ist nicht erkennbar. Zwar hat der Antragsteller gegenüber dem Verwaltungsgericht vorgetragen, er sei von der Ausländerbehörde K. zeitweilig wegen Passlosigkeit geduldet worden, doch spricht hierfür nichts. Nach der in der Ausländerakte befindlichen "Gesamtauskunft" aus dem Ausländerzentralregister hat die Ausländerbehörde des Kreises K. dem Register bezüglich des Antragstellers den "Fortzug nach Unbekannt am 23.10.2007" gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt lief das Asylverfahren noch, so dass der Aufenthalt des Antragstellers noch gestattet war (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG). Für die Erteilung einer Duldung hätte damals keinerlei Anlass bestanden. Es spricht im Grunde alles dafür, dass der Antragsteller niemals bei der Ausländerbehörde in K. vorgesprochen hat.
c) Falls zur Überwindung der fortbestehenden räumlichen Beschränkung und der daraus folgenden örtlichen Zuständigkeit der Kreisverwaltung K. zunächst – trotz Abschlusses des Asylverfahrens – eine länderübergreifende Verteilung nach § 51 Abs. 1 AsylVfG erforderlich sein sollte (so OVG Berlin-Bandenburg, Beschl. v. 2.12.2009, a.a.O., Rn. 12; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 60a Rn. 63 und § 61 Rn. 25 m.w.N. auch zur Gegenansicht), bestünde vorher in keinem Fall eine örtliche Zuständigkeit des Einwohner-Zentralamts der Antragsgegnerin. Es wäre auch nicht erforderlich, dessen örtliche Zuständigkeit unter dem Gesichtspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragstellers wegen eines Abschiebungshindernisses mit besonderer örtlicher Bindung (hierzu sogleich unter d aa) näher zu erörtern, da diesem Gesichtspunkt gerade im Rahmen der Verteilungsentscheidung nach § 51 Abs. 1 AsylVfG Rechnung zu tragen ist.
d) Aber auch dann, wenn eine Umverteilung auf asylverfahrensrechtlicher Grundlage nicht erforderlich wäre, würde dies hier nicht zu der vom Antragsteller begehrten Verpflichtung der Antragsgegnerin mittels einer einstweiligen Anordnung führen können. Am Bestehen eines Anordnungsanspruchs bestehen insoweit zumindest Zweifel; jedenfalls fehlt aber ein Anordnungsgrund.
aa) Bei der Prognose, die zur Beantwortung der Frage erforderlich ist, wo sich eine Person "gewöhnlich aufhält" (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a HmbVwVfG), können auch solche Umstände bedeutsam sein, die eine besondere örtliche Bindung mit sich bringen (eingehend hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 26.4.2006, InfAuslR 2006, 369, 370 f.). In diesem Fall mag der Aufenthalt des Ausländers am aktuellen Aufenthaltsort zwar in formaler Hinsicht unrechtmäßig sein, gleichwohl mag sein Aufenthalt dort zukunftsoffen sein, wenn er einen materiellen Anspruch darauf hat, sich gerade an diesem Ort aufhalten zu dürfen. Dies kann dazu führen, dass die örtliche Zuständigkeit (auch) von der materiellen Rechtslage abhängt (OVG Hamburg, Beschl. v. 26.4.2006, a.a.O.). Ob an dieser Rechtsprechung vor dem Hintergrund des mit Gesetz vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258) in § 61 Abs. 1 AufenthG eingefügten Satzes 4 (Möglichkeit der Abweichung von der in § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG geregelten räumlichen Beschränkung einer Duldung) hinsichtlich des dort geregelten Zwecks der Aufrechterhaltung der Familieneinheit festzuhalten ist - die Antragsgegnerin verneint dies –, braucht hier nicht vertieft zu werden. Denn es ist noch nicht sicher, ob hier die Voraussetzungen einer schützenswerten familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und dem Kind C. E. wirklich bestehen.
Es steht bisher noch nicht fest, ob der Antragsteller wirklich der biologische und/oder rechtliche Vater des Kindes C. E. ist. Zwar würde die vom Verwaltungsgericht vermisste Vaterschaftsanerkennung gegenwärtig wenig Sinn machen, da die Anerkennung wegen der noch bestehenden rechtlichen Vaterschaft von Herrn S. (§ 1592 Nr. 1 BGB) derzeit nicht wirksam wäre (§ 1594 Abs. 1 und 2 BGB). Insoweit muss erst der Ausgang des Vaterschaftsanfechtungsverfahrens abgewartet werden. Weiter bedarf es näherer Überprüfung, wie sich die behauptete familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und dem Kind angesichts der recht ungewöhnlichen "Patchwork-Familien-Situation" in der Praxis gestaltet. So ist bisher schon nicht vorgetragen, wo sich der Antragsteller mittelfristig aufhalten wird; von einer auf Dauer angelegten häuslichen Gemeinschaft mit dem Kind und der Kindesmutter (samt deren Ehemann) geht der Antragsteller laut seiner Antragsschrift selbst nicht aus.
bb) Für die begehrte einstweilige Anordnung fehlt es aber zumindest am Anordnungsgrund. Denn der Antragsteller ist für die Dauer der erforderlichen Überprüfung einschließlich der (abschließenden) Prüfung der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin, evtl. auch erst in der Folge einer Umverteilungsentscheidung, nicht schutzlos. Schwere und unzumutbare Nachteile für den Antragsteller ergeben sich nicht deshalb, weil er bei der örtlich aktuell noch zuständigen Ausländerbehörde des Kreises K. die Erteilung einer Duldung mit der Möglichkeit der Abweichung von der räumlichen Beschränkung ihres Geltungsbereichs (§ 61 Abs. 1 Satz 1 und 4 AufenthG) bzw. die Erlaubnis zum Verlassen des Geltungsbereichs der Duldung (§ 12 Abs. 5 i.V.m. § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) beantragen muss. Ob § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG auch dann gilt, wenn eine Familieneinheit nicht aufrechterhalten, sondern z.B. aufgrund der Geburt eines Kindes erst begründet werden soll (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2012, § 61 AufenthG Rn. 18; Deibel, ZFSH/SGB 2012, 189, 190), braucht hier nicht entschieden zu werden. Jedenfalls wären die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG im Rahmen der Entscheidung über die Verlassenserlaubnis nach § 12 Abs. 5 AufenthG zu beachten. In Anwendung dieser Vorschrift können enge Kontakte zwischen Familienmitgliedern bis zur Grenze der dauerhaften Verlassenserlaubnis ermöglicht werden (BVerfG, Beschl. v. 26.8.2008, 2 BvR 1942/07, juris, Rn. 11). Hiermit wird dem Interesse des Antragstellers bis zur Klärung der aufenthaltsrechtlichen Fragen in ausreichender Weise Rechnung getragen (BVerfG, a.a.O.; OVG Hamburg, Beschl. v. 15.9.2004, NordÖR 2005, 344, 345; Beschl. v. 20.5.2010, 2 Bs 84/10; Beschl. v. 16.6.2010, 5 Bs 83/10). Dies hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss zutreffend ausgeführt.
Entgegen der Darlegung des Antragstellers in der Beschwerdebegründung geht es nicht darum, ihn auf einen dauerhaften Aufenthalt in K. zu verweisen. Es ist ihm aber zuzumuten, sich überhaupt erst einmal mit der dortigen Ausländerbehörde in Verbindung zu setzen. Falls die dortige Ausländerbehörde nicht bereit sein sollte, ihm den Aufenthalt in Hamburg zu ermöglichen oder nur jeweils sehr kurzzeitig gültige Verlassenserlaubnisse erteilen oder sogar versuchen sollte, seinen Aufenthalt in Deutschland zu beenden, wäre der Antragsteller gehalten, ggf. hiergegen gerichtliche Hilfe beim dort örtlich zuständigen Verwaltungsgericht in Anspruch zu nehmen (OVG Hamburg, Beschl. v. 15.9.2004, NordÖR 2005, 344, 345). [...]