Eine mit der Aufenthaltserlaubnis verbundene Nebenbestimmung, wonach diese bei Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft erlösche, ist rechtswidrig.
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
Soweit der Eilantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers vom 28.07.2011 (Aktenzeichen: 5 K 1090/11.DA) gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 07.07.2011 erfolgte Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist, ist er gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Das Begehren des Antragstellers richtet sich auf die Sicherung seines vorläufigen Bleiberechts, das ursprünglich auf § 81 Abs. 4 AufenthG beruhte, und im Erfolgsfalle nach Maßgabe von § 84 Abs. 2 AufenthG weitergewährt werden würde. Nach § 81 Abs. 4 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Ausländer die Verlängerung dieses Aufenthaltstitels oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt. Ein vorläufiges Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 4 AufenthG war für den Antragsteller entstanden. Er hielt sich zuletzt aufgrund der ihm am 12.04.2010 bis zum 19.03.2011 befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf. Sein am 02.03.2011 gestellter Verlängerungsantrag hat die Fortbestehensfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG somit ausgelöst.
Das Gericht folgt nicht der Auffassung der Behörde, wonach die dem Antragsteller erteilte Aufenthaltserlaubnis vor dem 19.03.2011 erloschen war, weil die ihr beigefügte Bedingung "Der Aufenthaltstitel erlischt mit Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft." mit der Trennung des Antragstellers von seiner Ehefrau am 29.08.2010 eingetreten war. Die als auflösende Bedingung i. S. von § 36 Abs. 2 Nr. 2 HessVwVfG zu qualifizierende Nebenbestimmung dürfte einer gerichtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren nicht standhalten, weil sie rechtswidrig ist. Dies ergibt sich aus mehreren Gründen:
Das eigenständige familienunabhängige Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG setzt nach der gesetzlichen Systematik einen Verlängerungsantrag vor Ablauf des bisherigen Aufenthaltstitels voraus. Eine Verlängerung der bestehenden Aufenthaltserlaubnis als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig ausgeschlossen, wenn der entsprechende Verlängerungsantrag erst nach Ablauf der Geltungsdauer des bisherigen Aufenthaltstitels gestellt worden ist. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Norm erfasse § 31 AufenthG nämlich nur den Fall, dass der Ausländer sich noch im Besitz einer nicht abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis befinde, weil nur eine solche verlängert werden könne (BVerwG, Urt. v. 22.06. 2011 – 1 C 5.10 –, juris, Rdnr. 13 und 17). Die von der Behörde verwendete auflösende Bedingung bei Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft hätte demgemäß zur Folge, dass Ausländer vom gesetzlichen Anspruchstatbestand nach § 31 Abs. 1 AufenthG ausgeschlossen wären, weil der Anlass für das eigenständige Aufenthaltsrecht – die Trennung vom Ehepartner nach langjährigem Aufenthalt – zugleich dessen Ausschlussgrund (Antrag erst nach Trennung und damit nach Erlöschen der bisherigen Aufenthaltserlaubnis) bilden würde.
Die Bedingung "Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft" ist auch zu unbestimmt (§ 37 Abs. 1 HessVwVfG), um in jedem Einzelfall sicher feststellen zu können, ob und wann sie eingetreten ist (wie hier VG Stuttgart, Urt. v. 05.04.2001 – 7 K 3570/00 –, InfAuslR 2002, 123 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 11.07.2006 – Au 6 K 05.31 –, InfAuslR 2007, 11 ff.; Müller in Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 2008, § 12 Rdnr. 7). Ob eine eheliche Lebensgemeinschaft beendet ist, bedarf im Regelfall der wertenden Betrachtung einer Vielzahl von Faktoren. Von einem Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft ist auszugehen, wenn außer dem formalen rechtlichen Band der Ehe eine tatsächliche Verbundenheit der Eheleute vorliegt, die regelmäßig in der Pflege einer häuslichen Gemeinschaft zum Ausdruck kommt. Eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht hingegen nicht mehr, wenn die Ehegatten auf Dauer getrennt leben, d. h. wenn eine Trennung im Sinne des § 1566 Abs. 1 BGB vorliegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.09.1998 – 1 B 92.98 –, InfAuslR 1999, 72 [73]). Ob eine Trennung der Ehegatten als endgültig oder vorübergehend anzusehen ist, kann dabei nicht ohne weiteres bereits im Zeitpunkt einer im Streit erfolgten Trennung der Eheleute beurteilt werden. Vielmehr kann dies häufig erst rückblickend sicher festgestellt werden. Diese Feststellung muss nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der Erklärungen der Ehegatten sowie sämtlicher Umstände des Einzelfalls erfolgen (Bay. VGH, Urt. v. 06.03.2008 – 10 B 07.1316 – juris – und Beschl. v. 12.09.2007 – 24 CS 67.2053 – juris –). Maßgeblich für die Bestimmung des Trennungszeitpunktes ist, wann sich objektiv betrachtet der Wille zur Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft durch einen Ehepartner nach außen manifestiert hat. Hingegen kann es nicht darauf ankommen, ob und wie lange einer oder beide Ehepartner nach der durch eine Ehekrise bedingten räumlichen Trennung auf eine Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft gehofft haben oder ungeachtet der Trennung subjektiv vom Fortbestand der Lebensgemeinschaft ausgegangen sind. Würde man solche Zeiten des Bewusstwerdens der Trennung oder des Hoffens und Bangens um die Ehe auf die Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft anrechnen, ginge jede Rechtssicherheit und Rechtsklarheit verloren (Bay. VGH, Urt. v. 06.03.2008 – 10 B 07.1316 – juris).
Auch vorliegend ist ungewiss, ob die eheliche Lebensgemeinschaft, wie von der Ehefrau des Antragstellers behauptet, am 29.08.2010 endgültig beendet war. Abgesehen von den gegenteiligen Bekundungen des Antragstellers spricht dagegen, dass die Ehefrau in dem ihr übersandten Formblatt der Behörde vom 13.09.2010 ankreuzte, dass sie seit 29.08.2010 nicht mehr mit ihrem Ehemann zusammenlebe, hingegen weder das Feld "Ein erneutes Zusammenleben mit meinem Ehemann ist meinerseits nicht beabsichtigt" noch das Feld "Ich beabsichtige die Scheidung" ankreuzte (vgl. Bl. 55 d. Beh.-Akte). Das spricht dafür, dass die Ehefrau des Antragstellers in diesem Zeitpunkt die Ehe noch nicht als endgültig gescheitert ansah und eine Aussöhnung mit ihrem Ehemann noch für möglich hielt.
Soll die Aufenthaltserlaubnis in solchen Konstellationen vorzeitig enden, bedarf es aus Gründen der Rechtssicherheit eines das Aufenthaltsrecht aufhebenden Verwaltungsaktes (so auch VG Augsburg, Urt. v. 11.07.2006 – Au 6 K 05.31 –, InfAuslR 2007, 11 ff.). Erst ein solcher Verwaltungsakt schafft die erforderliche Zäsur und führt dem Betroffenen vor Augen, dass die Fortsetzung des Aufenthaltes strafbar ist (§ 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).
In Nr. 12.2.0 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (VwV-AufenthG) vom 26.10.2009 (GMBl. I S. 878) heißt es daher zutreffend:
"Nebenbestimmungen ... müssen hinreichend bestimmt sein und dürfen keine Unklarheiten darüber lassen, unter welchen Voraussetzungen ein Aufenthaltsrecht entsteht, fortbesteht oder entfällt."
In dieselbe Richtung weist ein drittes Argument, das die behördliche Vorgehensweise als unzulässig erscheinen lässt: Die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber muss wissen, ob die Beschäftigung erlaubt ist, da eine Beschäftigung ohne Erlaubnis ebenfalls die Strafbarkeit der Betroffenen nach sich zieht. Der Arbeitgeber setzt sich im Falle unerlaubter Beschäftigung zudem weiteren Haftungsrisiken (z. B. der Verpflichtung, die Abschiebungskosten zu tragen, § 66 Abs. 4 AufenthG) aus. Insbesondere dem Arbeitgeber kann es nicht zugemutet werden, das Fortbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft seines Arbeitnehmers täglich zu überprüfen – ganz abgesehen davon, dass sich die Frage stellt, auf welchem Wege dies ohne gleichzeitiges Eindringen in die Intimsphäre des Arbeitnehmers geschehen könnte.
Auch das Argument des Antragstellers, die Behörde entziehe sich mit ihrem Verhalten der sonst notwendigen Einzelfallentscheidung über eine nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis, bei der das von ihr auszuübende Ermessen (§ 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) eine dem Antragsteller mitunter günstige Entscheidung erlaube, ist nicht von der Hand zu weisen (vgl. auch Hess. VGH, Beschl. v. 31.07.2003 – 12 TG 1726/03 –, InfAuslR 2003, 418 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 11.07.2006 – Au 6 K 05.31 –, InfAuslR 2007, 11 ff.; VG Stuttgart, Urt. v. 05.04.2001 – 7 K 3570/00 –, InfAuslR 2002, 123 ff.). Zutreffend heißt es in Nr. 12.2.4. der VwV-AufenthG zur Parallelproblematik des Erlöschens eines Aufenthaltstitels im Falle von Ausweisungsgründen:
"Auch die Erfüllung von Ausweisungstatbeständen kann nicht zur auflösenden Bedingung erhoben werden, da hierdurch die Pflicht zur Ermessensausübung (§ 55 Abs. 1 AufenthG) umgangen bzw. ein besonderer Ausweisungsschutz nicht berücksichtigt würde."
All dies spricht eindeutig gegen die Zulässigkeit einer auflösenden Bedingung für den Fall der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft.
Die von der Behörde angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts stehen der vorstehenden Beurteilung nicht entgegen. In dem Beschluss vom 22.07.2005 – 1 B 61.05 –, Buchholz 402.240 § 14 Nr. 2, hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich auf eine frühere Entscheidung verwiesen. In dieser früheren Entscheidung (Urt. v. 16.06.2004 – 1 C 20.03 –, NVwZ 2005, 90 f.) hat es zur Anwendbarkeit der Verkürzung der Voraufenthaltszeit des § 19 AuslG 1990 von vier auf zwei Jahre im Hinblick auf Altfälle Stellung genommen und eher beiläufig der Ausländerbehörde den Rat gegeben, unberechtigte Aufenthaltsverfestigungen durch Auflagen oder Bedingungen zu verhindern. Namentlich angesprochen wurde die Möglichkeit einer auflösenden Bedingung für den Fall der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 16.11. 2010 – 1 C 20.09 –, InfAuslR 2011, 144 (145), Rdnr. 15, ausdrücklich offen gelassen, ob eine auflösende Bedingung "Aufenthaltserlaubnis erlischt mit dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II" rechtmäßig ist. Es tat dies in Kenntnis der vom Schrifttum mehrheitlich geäußerten Befürwortung (z. B. Huber in Huber, AufenthG, 2010, § 12 Rdnr. 5; Maor in Kluth/Hund/ Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rdnr. 50; Zeitler in HTK-AuslR, Stand: Oktober 2009, § 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, Anm. 2 f.; Wenger in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/ Harms, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 12 Rdnr. 5; a. A.: Hoppe, InfAuslR 2008, 292 [294]; Dienelt in Renner, Ausländerrecht Kommentar, 9. Aufl. 2011, § 12 Rdnr. 17). Das ist insofern bemerkenswert, als ein Leistungsbezug als singuläres Ereignis verhältnismäßig einfach und eindeutig festgestellt werden kann und die Inanspruchnahme von Leistungen auf ausschließlich eigenem Entschluss (Antrag) des Betroffenen beruhen, also nicht etwa durch Dritte ausgelöst werden können. Im Falle der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft ist die Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft dagegen – wie bereits dargestellt – viel schwerer feststellbar und zudem auch nicht vom ausschließlichen Verhalten des Ausländers abhängig; es genügt hier der einseitige Entschluss eines Ehepartners, die Scheidung zu wollen, was zur Folge hat, das die eheliche Lebensgemeinschaft auch in Unkenntnis des anderen Ehepartners als beendet anzusehen ist. Wenn schon ein leicht feststellbares Ereignis Zweifel an der Geeignetheit als Bedingung weckt, dann dürfte dies für einen komplexeren Sachverhalt erst recht gelten. All dies spricht dafür, dass das Bundesverwaltungsgericht den an die Ausländerbehörde gerichteten Rat heute nicht mehr wiederholen wird.
Die von der Behörde verfügte auflösende Bedingung ist nicht nichtig i. S. von § 44 HessVwVfG, sondern lediglich rechtswidrig, sodass sie grundsätzlich mangels Anfechtung bis zum regulären Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis am 19.03.2011 wirksam war (§ 43 Abs. 2 HessVwVfG). Das erkennende Gericht vermag aber – bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Verlängerungsantrags am 02.03.2011 – nicht sicher festzustellen, dass die auflösende Bedingung zu diesem Zeitpunkt bereits eingetreten war. Infolgedessen war der Verlängerungsantrag rechtzeitig gestellt und das vorläufige Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 4 AufenthG war entstanden.
Die am 28.07.2011 fristgerecht erhobene Klage gegen die am 11.07.2011 zugestellte Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis entfaltet gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Gleiches gilt hinsichtlich der im angefochtenen Bescheid vom 07.07.2011 enthaltenen Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. mit § 16 HessAGVwGO. [...]