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SG Berlin

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Zitieren als:
SG Berlin, Urteil vom 30.03.2012 - S 208 KR 1643/09 WA - asyl.net: M19971
https://www.asyl.net/rsdb/M19971
Leitsatz:

1. Die in § 5 Abs. 11 SGB V genannten Nicht-EU-Ausländer unterfallen dann nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, wenn nach ihrem Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz besteht, sondern die Erteilung der Erlaubnis an die Voraussetzung knüpft, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG 2004).

2. Ausschließlich die einmal erteilte Aufenthaltserlaubnis ist entscheidend, ob der Ausländer durch § 5 Abs. 11 SGB V von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erfasst wird: Die Regelung in § 5 Abs. 11 SGB V sieht nicht vor, dass durch die Krankenkasse jeweils zu ermitteln ist, ob der Ausländer die Sicherung seines Lebensunterhalts nachweisen kann. Dass diese vereinfachende Regelung - wie vorliegend - auch zur Folge haben kann, dass Ausländer, die zwar eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, für deren Erteilung die Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 Abs. 1 AufenthG bestand, aktuell jedoch ihren Lebensunterhalt nicht sichern können, ebenfalls nicht von § 5 Abs. 11 SGB V erfasst werden, muss vor dem Hintergrund des klaren Wortlauts in Kauf genommen werden.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Drittstaatsangehörige, Krankenversicherung, Versicherungspflicht, rückführende Durchführung einer versicherungspflichtigen Mitgliedschaft, türkische Staatsangehörige, Sicherung des Lebensunterhalts, Niederlassungserlaubnis,
Normen: SGB V § 5 Abs. 11, SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 13, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 9 Abs. 2 Nr. 2, AufenthG § 26 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 25. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Für die Klägerin bestand keine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ab dem 1. Oktober 2007.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben Versicherungspflicht. Nach § 5 Abs. 11 (zwischenzeitlich wortgleich Abs. 10) Sozialgesetzbuch Fünf (SGB V) werden Ausländer, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr. 13 erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes besteht. Damit sieht § 5 Abs. 11 SGB V eine Sonderregelung zur Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vor und knüpft diese an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. Nach Auffassung der Kammer ist die Regelung in § 5 Abs. 11 SGB V so zu verstehen, dass die dort genannten Ausländer dann nicht unter Nr. 13 fallen, wenn für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes besteht. Dies ist bei der Klägerin, die als türkische Staatsangehörige zu den in § 5 Abs. 11 SGB V genannten Ausländern gehört, der Fall.

Der Klägerin wurde mit Datum vom 14. August 2007 eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG erteilt. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Damit handelt es sich bei der der Klägerin erteilten Niederlassungserlaubnis um eine Aufenthaltserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG, der die Erteilung der Erlaubnis in Nr. 2 an die Voraussetzung knüpft, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist. Dabei ist die Regelung in § 9 Abs. 2 AufenthG (Lebensunterhalt muss gesichert sein) als Spezialnorm zur allgemeinen Norm des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG anzusehen. Die Kammer geht davon aus, dass von § 5 Abs. 11 SGB V nicht nur die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geregelte Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts, sondern auch die wortgleichen spezielleren Normen des AufenthG umfasst sind.

Letztlich kommt es hier entscheidend darauf an, ob der Ausländer lediglich bei Erteilung des Aufenthaltstitels die Sicherung seines Lebensunterhaltes nachweisen, oder ob dies – um nicht § 5 Abs. 11 SGB V zu unterfallen – auch weiterhin der Fall sein muss. Für Letzteres könnte angeführt werden, dass § 5 Abs. 11 SGB V dazu dienen soll, die Ausländer, die die Sicherung ihres Lebensunterhaltes (wozu nach § 2 Abs. 3 AufenthG auch ein ausreichender Krankenversicherungsschutz zählt) nachweisen können, nicht zusätzlich über § 5 Abs. 13 SGB V zu versichern. Daraus könnte abgeleitet werden, dass eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V aber dann erforderlich wird, wenn der Lebensunterhalt (einschließlich des Krankenversicherungsschutzes) nicht mehr gesichert ist. Diese Auslegung würde jedoch dazu führen, dass die Regelung des § 5 Abs. 11 S. 1 SGB V letztlich obsolet wäre, da die Personen, die über einen gesicherten Krankenversicherungsschutz verfügen, ohnehin nicht § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V unterfallen. Zudem steht dieser Auffassung der eindeutige Wortlaut des § 5 Abs. 11 SGB V entgegen. Dieser stellt darauf ab, ob "für die Erteilung" der Aufenthaltserlaubnis keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht. Damit stellt die Norm ausschließlich auf die Form der Aufenthaltserlaubnis ab. Die einmal erteilte Aufenthaltserlaubnis ist entscheidend für die Frage, ob der Ausländer durch § 5 Abs. 11 SGB V von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erfasst wird. Dies entspricht auch den Vorgaben der Gesetzesbegründung, nach der eine für die gesetzlichen Krankenkassen möglichst leicht handhabbare Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen gewollt war (vgl. BT-Drucks, 16/3100, S. 95). Die Regelung in § 5 Abs. 11 SGB V erleichtert der Krankenkasse die Prüfung dahingehend, dass sie lediglich die Form der Aufenthaltserlaubnis ermitteln muss. Die Regelung sieht gerade nicht vor, dass durch die Krankenkasse jeweils zu ermitteln ist, ob der Ausländer die Sicherung seines Lebensunterhalts nachweisen kann. Dass diese vereinfachende Regelung – wie vorliegend – auch zur Folge haben kann, dass Ausländer, die zwar eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, für deren Erteilung die Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 Abs. 1 AufenthG bestand, aktuell jedoch ihren Lebensunterhalt nicht sichern können, ebenfalls nicht von § 5 Abs. 11 SGB V erfasst werden, muss vor dem Hintergrund des klaren Wortlauts in Kauf genommen werden.

Auch die Tatsache, dass die Klägerin Leistungen in Anspruch genommen hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Inwieweit die Klägerin der Beklagten die Kosten für die Leistungen zu erstatten hat, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Ob die Klägerin – wie von der Beklagten wohl zu Recht angezweifelt – im fraglichen Zeitraum die Sicherung ihres Lebensunterhaltes nachweisen konnte, kann nach Auffassung der Kammer vorliegend dahinstehen. Die entsprechende Prüfung ist nach den obigen Ausführungen keine Tatbestandsvoraussetzung des § 5 Abs. 11 SGB V.

Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass mit Datum vom 2. April 2009 eine Übertragung der Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG durch die Beigeladene zu 2) erfolgt ist. Mit der Übertragung des Aufenthaltstitels wurde die Niederlassungserlaubnis vom 14. August 2007 nicht aufgehoben. Es handelt sich bei der Übertragung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um eine neue Niederlassungserlaubnis. Dies wurde auch von Seiten der Beigeladenen zu 2) bestätigt. Obgleich die Niederlassungserlaubnis zunächst auf den falschen Namen ausgestellt worden war, bestehen nach Auffassung der Kammer an der Wirksamkeit keine Zweifel. Mit Schreiben vom 24. Februar 2009 hatte die Beigeladene zu 2) der Klägerin ("Frau …, geb. ….1984 in ..., bzw. …, …, ….1984, K…") das Vorliegen einer wirksamen Niederlassungserlaubnis bestätigt. [...]