1. Ein langfristig Aufenthaltsberechtigter i.S.v. § 38 a Abs. 1 AufenthG ist nur derjenige Drittstaatsangehörige, dem in einem anderen Mitgliedstaat die Rechtstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten i.S.v. Art. 4 - 7 der Richtlinie 2003/109/EG förmlich verliehen wurde.
2. Im Eintragungsfeld "Art des Aufenthaltstitels" des Aufenthaltstitels muss die gemäß Art. 8 Abs. 3 Satz 3 Richtlinie 2003/109/EG vorgesehene Bezeichnung vermerkt sein.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift, die der Umsetzung von Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthaltsrichtlinie) dient, wird einem Ausländer, der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten will. Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragstellerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht. Die Kammer teilt die Auffassung der Antragstellerin, maßgeblicher Zeitpunkt sei der Tag der Stellung ihres Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 AufenthG, d.h. der 16. März 2009, nicht. Nach den allgemeinen Grundsätzen bei Verpflichtungsbegehren, insbesondere bei Anträgen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 -, juris, Rn. 37) ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, hier der Beschlussfassung, maßgeblich. Anhaltspunkte, die ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung rechtfertigen könnten, folgen weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck des § 38a Abs. 1 AufenthG oder der Daueraufenthaltsrichtlinie, deren Umsetzung er dient.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat die Antragstellerin nicht die Rechtsstellung einer langfristig Aufenthaltsberechtigten inne. Gemäß der Legaldefinition des § 2 Abs. 7 AufenthG ist ein langfristig Aufenthaltsberechtigter ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Art. 2 Buchstabe b Daueraufenthaltsrichtlinie verliehen und nicht entzogen wurde. Nach dieser Vorschrift ist "langfristig Aufenthaltsberechtigter" jeder Drittstaatsangehörige, der die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten i.S.d. Art. 4 bis 7 Daueraufenthaltsrichtlinie besitzt. Diesen Status hat die Antragstellerin nicht. Die Präfektur B. N. hat den französischen Aufenthaltstitel der Antragstellerin mit der Bezeichnung "titre de séjour" am 22. April 2011 bis zum 21. April 2021 verlängert. Mit diesem Aufenthaltstitel ist der Antragstellerin jedoch nicht der Status einer Daueraufenthaltsberechtigten eingeräumt worden. Dies folgt daraus, dass gemäß Art. 8 Abs. 3 Satz 3 Daueraufenthaltsrichtlinie ein solcher Aufenthaltstitel entsprechend zu bezeichnen ist (vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 20. Dezember 2010 - 3 Bs 235/10, 3 So 168/10 -, juris, Rn. 16).
Aus der französischen Fassung der Richtlinie ergibt sich, dass auf dem Aufenthaltstitel "résident de longue durée - CE" zu vermerken ist (vgl. auch die Hinweise des Bundesministeriums des Innern zum Richtlinienumsetzungsgesetz - PGZU-128 406/1 - S. 9).
Diese Bezeichnung findet sich auf dem von der Antragstellerin vorgelegten Aufenthaltstitel nicht. Vielmehr deutet der Vermerk "motif du séjour: toute profession en France métropolitaine dans le cadre de la législation en vigueur" darauf hin, dass der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nach nationalem französischen Recht erteilt wurde. Von einer solchen ist die Zuerkennung eines Daueraufenthaltsrechts i.S.d. Art. 4 bis 7 Daueraufenthaltsrichtlinie zu unterscheiden. Da es bei § 38a Abs. 1 AufenthG auf den formalen Charakter des Aufenthaltstitels ankommt, ist nicht maßgeblich, ob der der Antragstellerin gestattete Aufenthalt von zehn Jahren nach allgemeinem Sprachgebrauch "langfristig" ist oder ob ihr in Frankreich ein unbefristeter Aufenthaltstitel hätte ausgestellt werden können.
Selbst wenn man mit der Antragstellerin auf den Zeitpunkt der Stellung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 16. März 2009 abstellte, ergäbe sich im Übrigen kein anderes Ergebnis. Auch zu diesem Zeitpunkt war sie lediglich im Besitz des ihr am 22. April 2001 erteilten Aufenthaltstitels, der ebenfalls den Vermerk "résident de longue durée - CE" nicht enthielt und auch nicht enthalten konnte, da die Daueraufenthaltsrichtlinie erst vom 25. November 2003 datiert.
Ohne Bedeutung ist auch, ob die Antragstellerin gegenüber der zuständigen französischen Stelle einen Anspruch auf Zuerkennung des Status einer Daueraufenthaltsberechtigten hat oder zu einem früheren Zeitpunkt gehabt hat, so dass die inhaltliche Richtigkeit der Auskunft der Ausländerbehörde der Stadt O. - vgl. die Auskunft des französischen Generalkonsulats Frankfurt vom 23. Juni 2009 - offenbleiben kann. Denn bereits der Wortlaut des § 38a Abs. 1 AufenthG ("die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat"), des § 2 Abs. 7 AufenthG ("die Rechtsstellung ... verliehen und nicht entzogen wurde") und des Art. 14 Abs. 1 Daueraufenthaltsrichtlinie ("... der ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat", Hervorhebung jeweils hinzugefügt) verdeutlicht, dass die Rechtsstellung im Herkunftsmitgliedstaat förmlich verliehen worden sein muss. Den Behörden im Aufnahmemitgliedstaat die Prüfung abzuverlangen, ob ein Ausländer im Herkunftsstaat einen Anspruch auf Zuerkennung des Status eines Daueraufenthaltsberechtigten hat, würde die praktische Handhabbarkeit der Regelungen erheblich einschränken und stünde nicht im Einklang mit Sinn und Zweck der Daueraufenthaltsrichtlinie, ein effizientes und angemessenes Verfahren zur Regelung der Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu schaffen. So heißt es im 10. Erwägungsgrund der Richtlinie:
"Für die Prüfung des Antrags auf Gewährung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sollte ein System von Verfahrensregeln festgelegt werden. Diese Verfahren sollten effizient und angemessen sein, wobei die normale Arbeitsbelastung der mitgliedstaatlichen Verwaltungen zu berücksichtigen sind; sie sollten auch transparent und gerecht sein, um den betreffenden Personen angemessene Rechtssicherheit zu bieten."
Ferner kann der Antragstellerin keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erteilt werden, da diese nur zu vorübergehenden Aufenthaltszwecken erteilt werden kann, die Antragstellerin hingegen einen Daueraufenthalt beabsichtigt.
Schließlich hat die Antragstellerin auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nach § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist.
Die Antragstellerin ist indes nicht im Sinne dieser Vorschrift an der Ausreise gehindert. Ein tatsächliches Ausreisehindernis liegt nicht vor. Dass sie nicht über einen gültigen Pass verfügt, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, zumal sie bei ihrer Vorsprache am 6. Mai 2010 der Antragsgegnerin einen neuen tunesischen Pass vorgelegt hat.
Auch ein rechtliches Ausreisehindernis besteht nicht. Ein solches ergibt sich insbesondere weder aus Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) noch aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Der Schutz des Artikels 6 Abs. 1 GG und des Artikels 8 EMRK umfasst namentlich die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein familiäres Zusammenleben. Diese Bestimmungen begründen aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufenthalt. Indes verpflichten die in Art. 6 Abs. 1, 2 GG und 8 EMRK enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznormen die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigten und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 -, juris, Rn. 86 ff; und vom 11. Mai 2007 - 2 BvR 2483/06 -, InfAuslR 2007, 336 (337)).
Für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich dieser Rechte ist die Frage, ob es anderen Familienmitgliedern zumutbar ist, den Ausländer ins Heimatland zu begleiten, von erheblicher Bedeutung. Wenn die familiäre Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland gelebt werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist - etwa weil ihm dort flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht -, drängt die Pflicht des Staates, die familiären Bindungen zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81 (95); BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 3.08 -, juris, Rn. 18).
Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liegt dagegen fern, wenn die Lebensgemeinschaft zumutbar auch im gemeinsamen Herkunftsland geführt kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, juris, Rn. 27).
Denn Artikel 6 Abs. 1 GG gewährleistet nicht das Recht, die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, wenn dies auch in einem anderen Land zumutbar ist. Auch für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Frage erhebliche Bedeutung zu, ob das Familienleben ohne Hindernisse auch im Herkunftsland möglich ist (vgl. EGMR, Urteile vom 19. Februar 1996 - 53/1995/559/645 - Gül, InfAuslR 1996, 245 und vom 28. November 1996 - 73/1995/579/665 - Ahmut, InfAuslR 1997, 141), oder ob der Nachzug, das einzige adäquate Mittel darstellt, in familiärer Gemeinschaft zusammenzuleben (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2001 - 31465/96 - Sen, InfAuslR 2002, 334).
Die Antragstellerin kann die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihren Kindern zumutbar auch in Frankreich oder Tunesien führen. Der Antragstellerin ist eine Ausreise sowohl nach Frankreich als auch nach Tunesien zuzumuten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die am 20. November 1974 geborene Antragstellerin bis zu ihrer Ausreise nach Frankreich im April 1993 in Tunesien gelebt und daher ihre Kindheit und prägende Jahre ihrer Jugend dort verbracht hat. Zudem lebt ihr Vater noch in Tunesien, der ihr, obwohl er nach ihren Angaben bereits im Rentenalter ist, zumindest eine erste Anlaufstelle sein könnte. Auch eine Ausreise nach Frankreich ist der Antragstellerin zumutbar. Dort hat sie von April 1993 bis zu ihrer Ausreise nach Deutschland am 17. September 2005 gelebt. Nach eigenen Angaben hat sie auch von einem nicht näher bekannten Zeitpunkt um die Jahreswende 2008/2009 bis zum 25. Juni 2009 in Frankreich gelebt. Zudem ist die Antragstellerin seit dem 22. April 2001 im Besitz eines französischen Aufenthaltstitels mit zehnjähriger Gültigkeit, der am 22. April 2011 bis zum 21. April 2021 verlängert worden ist. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Antragstellerin nicht in der Lage sein sollte, sich und ihren Kindern in Frankreich mit Hilfe des zuständigen Sozialhilfeträgers eine neue Existenz aufzubauen. Dass ihr geschiedener Ehemann in der Lage ist, sie in einem Flächenstaat wie Frankreich aufzuspüren, erscheint unwahrscheinlich, wenn sie entsprechende Vorkehrungen trifft und sich aus Kreisen mit Bezug zu ihrem ehemaligen Ehemann fernhält.
Auch den Kindern ist eine Ausreise nach Frankreich zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die älteren beiden Kinder der Antragstellerin, die 14-jährige B. und der elfjährige O. in Frankreich geboren sind. Dort haben sie auch bis zu ihrem 7. bzw. 5. Lebensjahr gelebt. Die Tochter T. ist zwar in Deutschland geboren. Angesichts ihres Alters von fünf Jahren ist jedoch damit zu rechnen, dass sie sich in die Lebensverhältnisse in Frankreich ggfs. mit Hilfe der Vorschule ("école maternelle") integrieren können wird. Dabei werden ihr auch ihre Familienmitglieder, insbesondere die Antragstellerin, aufgrund ihres Voraufenthalts Hilfestellungen bieten können.
Den Kindern kann auch eine Ausreise nach Tunesien zugemutet werden. Sie sind bei ihren Eltern und damit in einem vom tunesischen Kulturkreis geprägten Haushalt aufgewachsen. Daher ist davon auszugehen, dass sie zumindest über ausbaufähige Grundkenntnisse der Landessprache und der Lebensverhältnisse in Tunesien verfügen. Im Übrigen ist für Kinder im Alter der Kinder der Antragstellerin in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Unzumutbarkeit der Abschiebung nicht allein von der Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland und ihrer Integration in die hiesigen Verhältnisse abgeleitet werden kann. Ihr rechtliches und tatsächliches Schicksal ist weitgehend an das ihrer Eltern und deren Entscheidungen gebunden. Die Eltern sind für die minderjährigen Kinder sorgeberechtigt und haben auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht inne. Sie sind bis zum Alter von 16 Jahren gem. § 80 Abs. 1 AufenthG auch ausländerrechtlich nicht handlungsfähig und es kann ihnen auch ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gem. § 35 AufenthG nicht gewährt werden (vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 11. Juni 2006 - 18 B 44/06 -). [...]