SG Hamburg

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Zitieren als:
SG Hamburg, Urteil vom 23.01.2012 - S 47 AL 36/10 - asyl.net: M19799
https://www.asyl.net/rsdb/M19799
Leitsatz:

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach SGB III dürfen nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Betroffene lediglich im Besitz einer aufenthaltsrechtlichen Duldung ist. Es besteht bei den Teilhabeleistungen keine Beschränkung auf Ausländer mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus.

Schlagwörter: Arbeitsförderung, SGB III, Duldung, psychische Erkrankung, Teilhabe am Arbeitsleben, Schwerbehinderung, Eingliederung, Leistungsausschluss, berufliche Eingliederung, berufliche Rehabilitierung, gesicherter Aufenthalt, Aufenthaltserlaubnis,
Normen: SGB III § 97 (a.F.),
Auszüge:

[...]

3. Die Klage ist in der geänderten Fassung auch erfolgreich. Antragsgemäß war festzustellen, dass Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht mit der Begründung abgelehnt werden dürfen, dass der Kläger lediglich im Besitz einer aufenthaltsrechtlichen Duldung ist.

Gemäß § 97 Abs. 1 SGB III in der im streitgegenständlichen Zeitraum anwendbaren Fassung vom 19. Juni 2001 (im Folgenden: a.F.) können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern.

Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht für die Bewilligung von Teilhabeleistungen keine Beschränkung auf Ausländer mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus. Eine solche Einschränkung ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des § 97 SGB III a.F.; er enthält hierfür keinerlei Anhaltspunkte.

Soweit die Beklagte ihre Rechtsansicht auf § 63 SGB III in der Fassung vom 20. Dezember 2008 (im Folgenden: a.F.) stützt, folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Diese Bestimmung ist im hier zu entscheidenden Fall nicht einschlägig.

Im SGB III war für den streitgegenständlichen Zeitraum der förderungsfähige Personenkreis für die Berufsausbildung nichtbehinderter Menschen in § 63 SGB III a.F. festgelegt. Diese Bestimmung enthielt auch Aussagen über die Förderung ausländischer Personen. Für den Kreis behinderter Personen ist § 63 SGB III a.F. indes nicht unmittelbar anwendbar.

§ 63 SGB III a.F. ist auch nicht im Wege einer Verweisung anwendbar.

Eine Anwendbarkeit des § 63 SGB III a.F. ergibt sich nicht aus § 99 SGB III in der Fassung vom 21. Dezember 2008 (im Folgenden: a.F.). Diese Bestimmung enthält zwar eine Anwendungsverweisung auf die Vorschriften des ersten bis siebten Abschnitts des SGB III, zu dem auch § 63 SGB III a.F. gehört. Allerdings gilt sie nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur für den Inhalt der zu gewährenden Leistungen; die Überschrift der Bestimmung spricht insoweit von "Leistungsrahmen". Für die - hier allein in Rede stehende - Frage nach dem Kreis der anspruchsberechtigten Personen gilt der Verweis auf die vorangegangenen Abschnitte des SGB III dagegen nicht (Keller in: Mutschler/Bartz/Schmidt-de Calouwe, Sozialgesetzbuch III Arbeitsförderung Großkommentar, 3. Auflage 2008, § 97 Rnr. 12).

Eine Anwendbarkeit des § 63 SGB lII ergibt sich auch nicht über die Verweisungsnorm des § 104 Abs. 2 SGB 111 in der Fassung vom 20. Dezember 2008 (im Folgenden: a.F.). Die Bestimmung betrifft das Ausbildungsgeld, das gemäß § 103 SGB III in der Fassung vom 27. Dezember 2003 (im Folgenden: a.F.) eine von mehreren besonderen Leistungen ist, die behinderten Menschen im Rahmen der Teilhabe gewährt werden können. § 104 Abs. 2 SGB III a.F. ordnet eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe -- d.h. die §§ 59 bis 76 SGB III a.F. - für das Ausbildungsgeld an.

Nach Überzeugung des Gerichts kann die Beklagte ihre Rechtsauffassung zum Leistungsausschluss ausländischer Personen mit nicht gesichertem Aufenthalt schon deshalb nicht auf diese Bestimmung stützen, weil ihr Regelungsgegenstand - das Ausbildungsgeld - gar nicht streitgegenständlich ist. Für die anderen besonderen Leistungen der Teilhabe gilt die Verweisungsnorm des § 104 Abs. 2 SGB III a.F. ausdrücklich nicht; die Bestimmungen zu den anderen besonderen Leistungen enthalten auch keine eigenständigen Verweisungsnormen auf die Regeln der Bundesausbildungsbeihilfe.

Unabhängig davon ist der § 63 SGB III a.F. nach Auffassung des Gerichts im Bereich der Teilhabeleistungen schon grundsätzlich nicht anwendbar: In systematischer Hinsicht bedarf es seiner Anwendung nicht, da § 97 SGB IIl a.F. für den Kreis der Personen, die Teilhabeleistungen erhalten können, eine abschließende Sondervorschrift darstellt. Gegen eine Anwendung des § 63 SGB III spricht auch, dass der nach dieser Vorschrift förderungsfähige Personenkreis jedenfalls zu einem erheblichen Teil ein anderer ist als der nach §§ 97 ff. SGB III a.F. zu fördernde. Insbesondere können die Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben ohne Rücksicht auf die Nationalität allen behinderten Menschen gewährt werden, die ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des SGB III haben (zum Ganzen; Laubach in: Gagel, SGB II/SGB III Grundsicherung Arbeitsförderung, Kommentar, Stand: 44. EL 2011, § 104 Rnr. 8; Großmann in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch III Arbeitsförderung, § 104 Rnr. 29: "Passt nicht"; Keller in: Mutschler/Bartz/Schmidt-de Calouwe, a.a.O., § 104 Rnr. 14). [...]