VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 19.12.2011 - 4 V 1528/11 - asyl.net: M19684
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Leitsatz:

1. Das EU-Freizügigkeitsrecht kann nur im förmlichen Verfahren gem. § 5 Abs. 5 FreizG-EU durch Verlustfeststellung entzogen werden. Die bloße Aufgabe der das Freizügigkeitsrecht begründenden selbständigen Tätigkeit führt nicht zum Erlöschen des deklaratorischen Freizügigkeitsrechts.

2. Für die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht besteht ein Anordnungsgrund.

Schlagwörter: Unionsbürger, Freizügigkeitsbescheinigung, Verlust des Freizügigkeitsrechts,
Normen: FreizügG/EU § 5 Abs. 1, FreizügG/EU § 2 Abs. 1, FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

[...]

II.

Die Anträge sind zulässig und begründet. Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft gemacht.

1. Die Antragsteller haben einen Anspruch auf Ausstellung von Bescheinigungen über das Aufenthaltsrecht gem. § 5 Abs. 1 FreizügG/EU. Hiernach wird freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen mit Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union von Amts wegen unverzüglich eine Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht ausgestellt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Antragsteller ergibt sich aus ihrem Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, dessen Nichtvorliegen bzw. Verlust nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU von der Antragsgegnerin bislang nicht ordnungsgemäß festgestellt wurde.

a) Die Antragstellerin zu 1. war und ist freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Danach haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind insbesondere Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbstständige Erwerbstätige). Die Antragstellerin zu 1. ist als bulgarische Staatsangehörige Unionsbürgerin. Ihre vom 01.10.2009 bis zum 26.09.2011 ausgeübte selbstständige Tätigkeit in Deutschland als Büroreinigungsunternehmen stellt eine Niederlassung im Sinn von § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU dar.

In einem vergleichbaren Fall hat die Kammer mit Beschluss vom 04.05.2010 (4 V 105/10) einem Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz entsprochen und ausgeführt: "Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU ist unionsrechtskonform auszulegen. Die Freizügigkeitsberechtigung von selbstständigen Erwerbstätigen stellt eine Konkretisierung des Freizügigkeitsrechts der primärrechtlich verbrieften Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV (ex-Art. 43 EGV) dar. Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit ist der Begriff der Niederlassung weit auszulegen (EuGH, Urt. v. 07.09.2006, Rs. C-470/04, Almelo). Der Begriff wird als tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit definiert (EuGH, Urt. v. 25.07.1991, Rs. C-221/89, Factortame).

Hieraus ergeben sich drei Gesichtspunkte. In zeitlicher Hinsicht muss die Tätigkeit "auf unbestimmte Dauer" angelegt sein, in örtlicher Hinsicht muss es sich um eine "feste Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat" handeln und in qualitativer Hinsicht muss es sich um "eine wirtschaftliche Tätigkeit" handeln, die "tatsächlich" ausgeübt wird.

... Eine Tätigkeit ist dann eine wirtschaftliche im Sinne des Art. 49 AEUV, wenn zumindest auch ein Erwerbszweck verfolgt wird. Entscheidend hierfür sind die Entgeltlichkeit der Tätigkeit sowie die Teilnahme am Wirtschaftsleben. Keine Voraussetzung ist es, dass das erzielte Einkommen eine bestimmte Größenordnung erreicht (Böhmer in: Callies/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Auflage, Art. 43 EGV, Rn. 11). Die Niederlassungsfreiheit kann nicht von dem wirtschaftlichen Erfolg der Tätigkeit abhängig gemacht, werden, insbesondere ist nicht erforderlich, dass ein Erlös erwirtschaftet wird, der zur Deckung des Lebensunterhalts ausreicht (Randzelhofer/Forsthoff in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 43, Rn. 17, 38. EL-2009). Es ist grundsätzlich nicht einmal erforderlich, dass mit der Tätigkeit tatsächlich ein Gewinn erzielt wird (Schlag in: Schwarze, EU-Kommentar, Art, 43 EGV Rn. 18 und 22 mwN). Allerdings liegt nur dann eine schützenswerte selbstständige Tätigkeit vor, wenn die Tätigkeit auch tatsächlich ausgeübt wird. Die Niederlassungsfreiheit soll nicht durch eine nur zum Schein bestehende Niederlassung erschlichen werden können. Es ist daher im Einzelfall zu untersuchen, ob die von der Niederlassung ausgehenden Tätigkeiten so marginal sind, dass es an einer Niederlassung fehlt (Randzelhofer/Forsthoff in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 43, Rn. 21, EL-2009). Es muss eine wirtschaftlich relevante Tätigkeit ausgeübt werden; völlig untergeordnete, unwesentliche Tätigkeiten werden nicht begünstigt (OVG NRW, Beschl. v. 03.11.1995, 18 B 815/94; GK-AufenthG/Epe, § 2 FreizügG/EU Rn. 74).

Abstrakte Kriterien für die Frage, ob es sich um eine ausreichende selbstständige Tätigkeit handelt, gibt es nicht (Randzelhofer/Forsthoff in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 43, Rn. 17, 38. EL-2009). Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin erscheint die Übertragung der zur Frage der ausreichenden Erwerbstätigkeit von Arbeitnehmern (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allerdings als ungeeignetes Kriterium für die Frage einer ausreichenden tatsächlichen selbstständigen Tätigkeit. Denn im Bereich der selbstständigen Tätigkeit ist es nicht ungewöhnlich, dass häufig - gerade zu Beginn einer solchen Tätigkeit - kein oder nur ein marginaler Gewinn erzielt wird. Es würde dem Sinn der Niederlassungsfreiheit widersprechen, den Unionsbürgern, die sich in einem Land der Europäischen Union eine Niederlassung aufbauen wollen, angesichts des (noch) fehlenden Gewinns die Niederlassungsfreiheit abzusprechen. Dementsprechend ist eine tatsächliche Gewinnerzielung gerade nicht Voraussetzung für das Bestehen der Niederlassungsfreiheit (s.o.).

Nach Überzeugung der Kammer ist zur Beurteilung der Frage, ob eine tatsächliche selbstständige Tätigkeit vorliegt, vielmehr auf die gesamten Umstände des Falles abzustellen. Dabei sind insbesondere die Art und der tatsächliche Umfang der Tätigkeit sowie die betriebliche Organisation ins Blickfeld zu nehmen. Auch weitere Umstände, wie etwa der Weg der Kundenrekrutierung, sind zu berücksichtigen. Die Höhe des Umsatzes und eines eventuellen Gewinns stellen danach nur einen von vielen Gesichtspunkten dar, die bei der umfassenden Beurteilung zu berücksichtigen sind."

Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde hat das OVG Bremen mit Beschluss vom 21.06.2010 (1 B 137/10) zurückgewiesen und ausgeführt:

"Die Beschwerde ist nicht begründet. ...

1) Die Antragstellerin zu 1. genießt Freizügigkeit zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Diese Freizügigkeit kommt allen Personen zugute, die von ihrer Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV Gebrauch machen. Das Freizügigkeitsgesetz/EU dient nämlich der Umsetzung der Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG, die insoweit an die Stelle der Richtlinie 73/148 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs getreten ist. Zur Bestimmung des begünstigten Personenkreises ist deshalb auf den Schutzbereich dieser Grundfreiheit abzustellen.

Eine von Art. 49 AEUV geschützte Niederlassung liegt vor, wenn eine wirtschaftliche Tätigkeit auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (EuGH, Urt. v. 25.07.1991 - Rs. 221/89 -, Factortame - Slg. 1991, 1-3905, Rn 20). Streitig ist hier allein, ob die Antragstellerin zu 1. tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt eine wirtschaftliche Tätigkeit in diesem Sinne vor, wenn mit ihr zumindest auch ein Erwerbszweck verfolgt wird. Sie muss entgeltlich erbracht werden und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen. Unerheblich für die Eröffnung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit ist, ob die Tätigkeit einen bestimmten Gewinn abwirft, insbesondere, ob sie zur Deckung des Lebensunterhaltes ausreicht.

Die Sicherung des Lebensunterhaltes aus dem erzielten Gewinn ist nicht, wie die Beschwerde meint, Voraussetzung dafür, dass die wirtschaftliche Tätigkeit auch "tatsächlich" ausgeübt wird.

Das Merkmal der tatsächlichen Ausübung der Tätigkeit bedeutet zunächst nur, dass die bloße Registrierung eines Gewerbes oder einer Betriebsstätte allein nicht ausreicht, um den Schutz der Niederlassungsfreiheit zu begründen (vgl. für die Eintragung eines Fischereifahrzeugs in das Schiffsregister das zitierte Urteil des EuGH vom 25.07.1991, a.a.O., und dazu Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Rn 21 zu Art. 43 EGV <Stand: Mai 2001>).

Mit dem Verwaltungsgericht (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 03.11.1995, 18 B 815/94 - NVwZ-RR 1996,708) mag darüber hinaus in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitnehmerfreizügigkeit (jetzt Art. 45 AEUV) angenommen werden, dass solche Tätigkeiten außer Betracht bleiben können, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als "völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen" (EuGH, stRspr seit Urt. v. 23.03.1982 - Rs 53/81 - Levin - Slg. 1982, 1035, Rn 17). Nach der Rechtsprechung des EuGH hat die begrenzte Höhe der Vergütung aber keine Auswirkung auf die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts (z.B. Urt. v. 31.05.1989 - Rs. 344/87 - Bettray - Slg. 1989, 1621 Rn 15; Urt. v. 30.03.2006 - Rs. C-10/05 - Mattern u.a. -, Slg. 2006, I-3145 - Rn 22; Urt. v. 04.06.2009 - Rs. C-22/08 - Vatsouras u.a. - DVBl 2009, 972, Rn 27; Urt. v. 04.02.2010 - Rs. C-14/09 - Genc - NVwZ 2010, 367, Rn 20). Auch die Tatsache, dass die Bezahlung der Tätigkeit unter dem Existenzminimum liegt, hindert nicht, die Person, die diese Tätigkeit ausübt, als Arbeitnehmer im Sinne des Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) anzusehen (EuGH, z.B. Urt. v. 23.03.1982 - Rs. 53/81 - Levin -, Slg. 1982, 1035, Rn 15f.; Urt. v. 14.12.1995 - C-317/93 - Nolte - Slg. 1995, I-4625, Rn 19), selbst wenn der Betroffene die Vergütung durch andere Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts wie eine aus öffentlichen Mitteln des Wohnortsmitgliedstaats gezahlte finanzielle Unterstützung zu ergänzen sucht (EuGH, stRspr seit Urt. v. 03.06.1986 - Rs. 139/85 - Kempf - Slg. 1986, 1741, Rn 14; zuletzt Urt. v. 04.06.2009 - C-22/08 - Vatsauras u. a. - DVBl 2009, 972, Rn 28; Urt. v. 04.02.2010 - C-14/09 - Genc - NVwZ 2010, 367, Rn 20). Zwar kann der Umstand, dass nur sehr wenige Arbeitsstunden geleistet werden, "ein Anhaltspunkt" dafür sein, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind (EuGH, Urt. v. 26.02.1992 - C-357/89 - Raufin - Slg. 1992, I-1027, Rn 14), doch lässt es sich unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit nicht ausschließen, dass diese Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses als tatsächlich und echt angesehen werden kann (EuGH, Urt. v. 04.02.2010 - C-14/09 - Genc - NVwZ 2010, 367, Rn 26).

Zu Gunsten der Antragsgegnerin mag unterstellt werden, dass sich diese Rechtsprechung auch insoweit auf die Niederlassungsfreiheit übertragen lässt, als das Vorhandensein von nur sehr wenigen Aufträgen im Rahmen einer Gesamtbewertung ein Anhaltspunkt für eine nur untergeordnete und unwesentliche selbständige Erwerbstätigkeit sein kann. Bei der Frage der Unwesentlichkeit ist aber, wie das Verwaltungsgericht zu Recht hervorhebt, zu berücksichtigen, dass es bei der Niederlassung als selbständig Erwerbstätiger insbesondere dann, wenn ein Gewerbebetrieb nicht übernommen, sondern neu eröffnet wird, oftmals einer längeren Anlauf- und Aufbauphase bedarf, bis der Betrieb so viele Aufträge akquiriert hat, dass er sich trägt. Es ist deshalb schon zumindest fraglich, ob das aufgrund der Daten über Umsatz und Gewinn vermutete Auftragsvolumen im Jahre 2009 geeignet ist, einen Anhaltspunkt dafür abzugeben, dass die Tätigkeit der Antragstellerin zu 1. nur als "unwesentlich" einzustufen sein könnte. Das kann aber auf sich beruhen, denn der Betrieb der Antragstellerin zu 1. hat sich, wie die für 2010 vorgelegten Daten über Umsatz und Gewinn zeigen, offensichtlich stabilisiert und weiterentwickelt. Die inzwischen erreichten Betriebsergebnisse sprechen eher gegen als für die Annahme, die Tätigkeit sei "unwesentlich". Weitere Gesichtspunkte, aus denen sich im Rahmen der erforderlichen Gesamtbewertung auf eine nur "unwesentlichen" Tätigkeit schließen lassen könnte, hat die Antragsgegnerin nicht ermittelt. Auch Feststellungen, die dafür sprechen könnten, dass die Tätigkeit der Antragstellerin zu 1. einem anderen Aufenthaltszweck "untergeordnet" sein könnte, hat die Antragsgegnerin nicht getroffen. Sie stützt sich allein auf die Betriebsergebnisse und die Mitteilung der BAgIS, dass ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in nicht bezifferter Höhe bezogen würden. Das allein kann aber - wie dargestellt - nicht dazu führen, die Antragstellerin zu 1. vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit auszunehmen.

Der Bezug von ergänzenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts rechtfertigt auch nicht eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Die Auffassung der Beschwerde, die Niederlassungsfreiheit verfolge nicht den Zweck, einen Zuzug in die Sozialkassen der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten zuzulassen oder gar zu fördern, reicht dafür nicht aus. Das geltende Recht - das Freizügigkeitsgesetz/EU ebenso wie die Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG, deren Umsetzung das Gesetz dient - sieht eine Beschränkung der Freizügigkeit auf Personen, die über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen, für erwerbstätige Unionsbürger und deren Familienangehörige gerade nicht vor. Eine solche Beschränkung gilt vielmehr ausdrücklich nur für solche Unionsbürger, die nicht erwerbstätig sind, und deren Familienangehörige (§ 4 FreizügG/EU, Art. 7 Abs. 1 und 2 RL 2004/38/EG)."

Unter Beachtung dieser Grundsätze, an denen die Kammer festhält, ist im Fall der Antragstellerin zu 1., von einer selbstständigen Erwerbstätigkeit im Rechtssinn in der Zeit von Oktober 2009 bis September 2011 auszugehen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die 2009 begonnene Tätigkeit nicht auf unbestimmte Dauer angelegt war. Die spätere Beendigung der Tätigkeit ändert daran nichts. Die ordnungsgemäße Anmeldung als Gewerbe beim Magistrat der Stadt Bremerhaven mit Angabe eines Betriebsstättensitzes spricht für eine "feste Einrichtung" im o.g. Sinn. Dass Betriebssitz und Wohnsitz identisch waren, ist unerheblich, weil bei derartigen Kleinunternehmen durchaus üblich. Es lag nach Aktenlage auch eine tatsächlich ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit mit Erwerbszweck vor. Wie dargelegt, können eine bestimmte Größenordnung des Einkommens und eine dadurch erzielte Deckung des Lebensunterhalts nicht verlangt werden. In den Jahren 2009 und 2010 monatlich erzielte Einnahmen von ca. 800 Euro führen nicht zur Annahme einer völlig untergeordneten und unwesentlichen Tätigkeit. Es handelte sich erkennbar um ein Unternehmen mit nur einer tätigen Person, und es dürfte sich etwa eine Einsatzzeit von 50 bis 70 Stunden monatlich ergeben. Das ist nicht unbeachtlich. Angesichts der überschaubaren Art der Tätigkeit (Büroreinigung) erübrigt sich hier die weitere Aufklärung hinsichtlich der betrieblichen Organisation und Kundenwerbung, weil sie sich eigentlich von selbst ergibt. Anhaltspunkte, die gegen die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit im hier einschlägigen Sinn sprechen würden, hat auch die Antragsgegnerin weder ermittelt noch vorgetragen.

Dafür, dass es sich bei der ausgeübten Tätigkeit um eine scheinselbstständige Tätigkeit handelt, gibt es ebenfalls keine Anhaltspunkte.

Auf die tatsächliche Möglichkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts oder ausreichenden Krankenversicherungsschutz kommt es im Zusammenhang des § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU, wie sich im Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 4 FreizügG ergibt, nicht an (vgl. OVG Bremen, a.a.O., GK- AufenthG/Epe, § 5 Rn. 47).

b) Dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin zu 1. bisher keine Freizügigkeitsbescheinigung ausgestellt hat, schadet deren Freizügigkeitsrecht aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU nicht. Die Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 FreizüG/EU ist bloß deklaratorisch. Das elementare und persönliche Recht auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat erwächst den Unionsbürgern unmittelbar aus dem EG-Vertrag und hängt nicht von der Einhaltung von Verwaltungsverfahren ab.

Das entstandene Recht auf Freizügigkeit kann nur in einem förmlichen Verfahren wieder entzogen werden. Solange dies nicht geschehen ist, besteht auch das Recht aus § 5 Abs. 1 FreizügG/EU auf Ausstellung einer Bescheinigung weiter. Nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU kann der Verlust des Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen dieses Rechts innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet entfallen sind. Die Vorschrift ist - zumindest entsprechend - auch dann anzuwenden, wenn die Voraussetzungen von Anfang an nicht bestanden haben (vgl. OVG Bremen, a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 02.04.2009 - 7 A 11053/08 - <juris> m.w.Nwn.).

c) Auch die Antragsteller zu 2. und 3. haben einen Anspruch auf die begehrte Bescheinigung.

Die Antragsteller zu 2. und 3. sind Familienangehörige der Antragstellerin zu 1. i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU.

Das - abgeleitete - Freizügigkeitsrecht der Antragsteller zu 2. und 3. besteht gem. § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU trotz der Tatsache, dass sie über keine ausreichenden Existenzmittel und keinen Krankenversicherungsschutz im Sinne des § 4 S. 1 FreizügG/EU verfügen. Denn gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU findet die Vorschrift des § 4 FreizügG/EU nur auf Familienangehörige von nicht erwerbstätigen Unionsbürgem (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU) Anwendung. Die Antragsteller zu 2. und 3. sind jedoch derzeit Kinder einer Freizügigkeitsberechtigten im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU, da ihre Mutter, wie dargelegt, rechtlich noch als selbstständige Erwerbstätige im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist (vgl. OVG Bremen, a.a.O.).

2. Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund, also die Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Ihnen ist ein Abwarten des Ergebnisses eines Hauptsacheverfahrens nicht zuzumuten.

Das OVG Bremen hat in einem die Aufenthaltskarte gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU betreffenden vergleichbaren Fall ausgeführt:

"Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Zwar besteht das Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen eines Unionsbürgers unabhängig von der Ausstellung einer Aufenthaltskarte oder einer Bescheinigung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU, wenn die materiellen Voraussetzungen dafür vorliegen (vgl. Art. 25 Abs. 1 RL 04/38). Die bezeichneten Dokumente sind aber geeignet und dazu bestimmt, die Überprüfung der Rechtsstellung des Familienangehörigen durch die Behörden des Aufenthaltslandes und der übrigen Mitgliedstaaten zu erleichtern und dadurch den Familienangehörigen vor unberechtigten Maßnahmen dieser Behörden zu schützen. Auf diesen Schutz ist der Antragsteller gerade während des noch laufenden Hauptsacheverfahrens angewiesen."

Dies gilt im vorliegenden Fall entsprechend für die Antragsteller zu 2. und 3. und erst recht für die Antragstellerin zu 1.

Dem Erlass der einstweiligen Anordnung steht schließlich auch nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Nach diesem Grundsatz ist es dem Gericht verwehrt, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das auszusprechen, was in der Hauptsache erstrebt wird. Ausnahmsweise ist jedoch zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eine Vorwegnahme der Hautsache zulässig, wenn dem Antragsteller schwere, unzumutbare und anders nicht abwendbare Nachteile drohen. Hiervon ist vorliegend auszugehen. Der Aufenthalt der Antragsteller ist trotz Aufenthaltsrecht aus dem Freizügigkeitsrecht ohne Ausstellung einer Freizügigkeitsbescheinigung nach außen hin völlig ungeregelt, was für sie bei Behördenkontakt und im Alltag, etwa für eine Arbeitssuche der Antragstellerin zu 1., zu Erschwernissen führen kann. Für eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz spricht auch die hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in einem Hauptsacheverfahren. Auch die Formulierung "unverzüglich" in § 5 Abs. 1 FreizügG/EU spricht für die Zulässigkeit der Vorwegnahme der Hauptsache. [...]