OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.04.2012 - 18 B 1572/11 - asyl.net: M19641
https://www.asyl.net/rsdb/M19641
Leitsatz:

Familienangehörige von arbeitssuchenden Unionsbürgern oder von Deutschen, die nachhaltig von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht haben, benötigen für ihr Freizügigkeitsrecht keinen Nachweis von ausreichendem Krankenversicherungsschutz und ausreichenden Existenzmitteln.

Schlagwörter: Sicherung des Lebensunterhalts, Freizügigkeitsbescheinigung, Freizügigkeitsgesetz, Rückkehrerfälle, freizügigkeitsberechtigt, Familienangehörige, Krankenversicherung, arbeitssuchend, Unionsbürger, Arbeitssuche,
Normen: VwGO § 161 Abs. 2, FreizügG/EU § 5 Abs. 2 S. 2, FreizügG/EU § 5 Abs. 2 S. 1, FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 5, FreizügG/EU § § 3 Abs. 1 S. 2, FreizügG/EU § 3 Abs. 4 S. 1
Auszüge:

[...]

Gemäß § 161 Abs. 2 VwGO ist über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Danach hat der Antragsgegner die Verfahrenskosten zu tragen. Er hat den von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU mit der Forderung nach Vorlage eines Nachweises ausreichender Existenzmittel von zu weitgehenden Voraussetzungen abhängig gemacht.

Die Bestimmungen des Freizügigkeitsgesetzes finden in der vorliegenden Konstellation entsprechende Anwendunng. Denn die Antragstellerin macht als Familienangehörige ein von ihrem deutschen Ehemann abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht geltend, für welches das FreizügigG/EU unmittelbar nicht einschlägig ist, weil es nur nicht-deutsche Unionsbürger und ihre Familienangehörigen betrifft. In sog. Rückkehrerfällen, in denen deutsche Staatsangehörige sich erhebliche Zeit mit einem Familienangehörigen in einem anderen Staat der Union - hier Spanien - aufgehalten haben und sodann mit ihrem Familienangehörigen (hier am 15. Oktober 2011) in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind, ist aber eine entsprechende Anwendung des Freizügigkeitsgesetzes geboten (zur entsprechenden Anwendung des Freizügigkeitsgesetzes vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 23.09 -, BVerwGE 138, 353).

Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU - an diese Regelung knüpft § 5 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU an - wird freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen, die - wie hier - nicht Unionsbürger sind, von Amts wegen eine Freizügigkeitskarte ausgestellt innerhalb von sechs Monaten, nachdem sie die erforderlichen Angaben gemacht haben. Dass sie diese Angaben gemacht haben, wird ihnen - für den Übergangszeitraum bis zur Ausstellung der Freizügigkeitskarte - nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bescheinigt. Zu den insoweit erforderlichen Angaben zählte aber bereits vor Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung nicht der Nachweis ausreichender Existenzmittel. Denn das - mittlerweile vom Antragsgegner anerkannte - Freizügigkeitsrecht der Antragstellerin setzte ausreichende Existenzmittel nicht voraus. Dies gilt unabhängig davon, ob das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen in sog. Rückkehrerfällen überhaupt den wirtschaftlichen Anforderungen des FreizügG/EU unterworfen werden darf (dagegen sprechen dürfte EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2001 - C-291/05 (Eind) -, NVwZ 2008, 102).

Jedenfalls ist lediglich das Freizügigkeitsrecht von Familienangehörigen der in § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU genannten nicht erwerbstätigen Unionsbürger nach §§ 3 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 FreizügG/EU von ausreichendem Krankenversicherungsschutz und ausreichenden Existenzmitteln abhängig. Demgegenüber bedarf es dieser Nachweise nicht für Familienangehörige von arbeitssuchenden Unionsbürgern (vgl. §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU). Dass der Ehemann der Antragstellerin einen Arbeitsplatz suchte, hatte die Antragstellerin indes spätestens mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2011 und damit noch vor Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung mitgeteilt. Der Antragsgegner hat dies aber nicht zum Anlass genommen, auf den Nachweis von Existenzmitteln zu verzichten oder jedenfalls etwa für erforderlich gehaltene Belege für die behauptete - und offenbar auch tatsächlich erfolgte - Arbeitssuche zu fordern. Vielmehr hat er die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch erst als gegeben angesehen, nachdem die Antragstellerin den Arbeitsvertrag ihres Ehemanns vom 5. März 2012 vorgelegt hatte.

Nach alledem ist es für die nach billigem Ermessen vorzunehmende Kostenverteilung unerheblich, dass die Antragstellerin bislang nicht der Forderung des Antragsgegners nach Vorlage des Originals der spanischen Freizügigkeitsbescheinigung ihres Ehemannes nachgekommen ist. Zwar sind in der hier gegebenen Konstellation neben den im Rahmen der unmittelbaren Anwendung des § 5 Abs. 2 AufenthG erforderlichen Angaben insbesondere auch Angaben nötig, die die Prüfung ermöglichen, ob ein sog. Rückkehrerfall vorliegt. Die Vorlage der in Rede stehenden Bescheinigung dürfte zu diesen Angaben zählen. Ihr Fehlen war aber im vorliegenden Fall nicht der die Haltung des Antragsgegners bestimmende Umstand, zumal an der Existenz und Echtheit der in Kopie bereits überreichten Bescheinigung keine Zweifel bestehen dürften. [...]