VG Bremen

Merkliste
Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 13.01.2012 - 2 K 2625/08 - asyl.net: M19487
https://www.asyl.net/rsdb/M19487
Leitsatz:

Wenn die - angenommene - Einwilligung der Wohnungsinhaberin zur Durchsuchung darauf beruht, dass bei ihr die Vorstellung erweckt wurde, die Polizeibeamten wären ohnehin zur Durchsuchung befugt, liegt keine freiwillige Zustimmung zur Wohnungsdurchsuchung vor.

Schlagwörter: Hausdurchsuchung, Unverletzlichkeit der Wohnung, Durchsuchung, polizeiliche Durchsuchung, Wohnungsdurchsuchung
Normen: GG Art. 13 Abs. 1, BremPolG § 21
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet.

1. Ein Feststellungsinteresse gemäß § 43 VwGO liegt im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG vor (VG Bremen, Urteil vom 01.10.2009 - 2 K 561/08).

2. Am 21.08.2008 hatte es eine polizeiliche Durchsuchung der damaligen Wohnung der Klägerin gegeben, ohne dass die formellen Voraussetzungen hierfür eingehalten worden waren.

2.1 Es entspricht allerdings der ständigen Rechtsprechung der erkennenden Kammer, dass eine Durchsuchung im Sinne des § 21 BremPolG nicht vorliegt, wenn sich ein Wohnungsinhaber freiwillig dazu bereit erklärt, Polizeibeamte in seiner Wohnung suchen zu lassen (vgl. VG Bremen, Urteil vom 01.10.2009 - 2 K 561/08).

Eine polizeiliche Wohnungsdurchsuchung im Sinne des § 21 BremPolG liegt nämlich nur vor bei einem ziel- und zweckgerichteten Suchen nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber des Raumes von sich aus nicht offen legen oder herausgeben will (Schmidt, Komm. z. BremPolG, 1. Aufl. 2006, zu § 21, Rdnr. 13 m.w.N.).

Wenn ein Wohnungsinhaber in das Betreten einer Wohnung einwilligt und zum Aufenthalt einer Person freiwillig Auskünfte gibt, liegt regelmäßig weder eine Durchsuchung im polizeirechtlichen Sinne noch ein Verstoß gegen Art. 13 GG vor. Denn nicht jedes Aufsuchen einer Wohnung u.a. zwecks Befragung des Wohnungsinhabers durch die Polizei ist gleichzeitig als Durchsuchung anzusehen. Wenn der Wohnungsinhaber von sich aus alles offen legt und angibt, was die Polizei erfahren will, fehlt das Moment der Überwindung oder Nichtbeachtung eines entgegengesetzten Willens des Wohnungsinhabers. Eine Wohnungsdurchsuchung im polizeirechtlichen Sinne setzt daher nach § 21 Abs. 1 BremPolG immer die fehlende Einwilligung des Wohnungsinhabers und damit regelmäßig die Unfreiwilligkeit voraus (VG Bremen, Urteil vom 01.10.2009 - 2 K 561/08). [...]

2.4 Im Ergebnis gibt es keinen relevanten Widerspruch zwischen den Aussagen der Zeugen und den Angaben der Klägerin. Sie hatte den Polizeibeamten Einlass gewährt, weil sie aufgrund des ihr gezeigten "Papiers" den Eindruck hatte, die Polizisten hätten aufgrund dieses Dokuments ein Recht zur Durchsuchung gehabt. Das war aber nicht der Fall.

Es lag am 21.08.2008 weder eine richterliche Durchsuchungsanordnung noch ein Haftbefehl gegen ihren Mann oder ein gerichtlicher Abschiebungshaftbeschluss vor. Ausgelöst war die polizeiliche Aktion an diesem Tag durch eine von der Ausländerbehörde Herford veranlasste Personenfahndung nach ..., dem Ehemann der Klägerin. Die Ausländerbehörde Herford war seinerzeit für ihren Mann zuständig. Er sollte abgeschoben werden. Die Personenfahndung zum Zwecke seiner Festnahme war in der Fahndungsdatei von INPOL registriert. Das "Papier", das die Polizeibeamten der Klägerin zeigten, war der Ausdruck der INPOL-Fahndung. So hatte es PK ... in seinem Tätigkeitsbericht zum Einsatz am 21.08.2008 selber ausgeführt.

2.5 Wenn aber die von der Beklagten angenommene Einwilligung der Klägerin in das Durchsuchen der Wohnung im Ergebnis darauf beruhte, dass bei ihr die Vorstellung erweckt wurde, die Polizeibeamten wären ohnehin zur Durchsuchung befugt, lag keine Freiwilligkeit vor. Denn nach dem bei der Klägerin entstandenen Eindruck hatte sie gar keine zulässige Möglichkeit, den Polizeibeamten den Zutritt zur Wohnung zu verweigern. Die Klägerin stammt nicht aus Deutschland. Sie hatte nach ihrer Einlassung in der Verhandlung am 20.01.2011 den Polizeibeamten gesagt, dass sie nicht richtig Deutsch sprechen könne. Welche Bedeutung das ihr gezeigte Schriftstück hatte, konnte sie sprachlich nicht voll erfassen. Es bestanden bei ihr ersichtlich auch keine rechtlichen Kenntnisse darüber, was die Polizei in einem solchen Fall darf und was nicht.

Daraus folgt, dass die Klägerin im Ergebnis nicht in freiwilliger Entscheidung die Polizeibeamten in ihre Wohnung gelassen hatte und sie dort suchen ließ. In einer für die Klägerin bestehenden Drucksituation erfolgte dieses vielmehr aufgrund der von den Polizeibeamten letztlich bewirkten Annahme, sie hätte gar keine Alternative. Willigt ein Wohnungsinhaber aber nur unter Druck in das Betreten der Wohnung und die Durchsuchung durch die Polizei ein, liegt keine Freiwilligkeit vor (Schmidt, a.a.O., zu § 21, Rdnr. 7). So lag es hier.

3. Wegen fehlenden Vorliegens einer freiwilligen Einwilligung der Klägerin ist davon auszugehen, dass von den Polizeibeamten am 21.08.2008 eine Durchsuchung ihrer Wohnung im Sinne des § 21 Abs. 1 BremPolG vorgenommen wurde.

3.1 Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Durchsuchung lagen vor.

Am 21.08.2008 hielt sich der Ehemann der Klägerin illegal in Deutschland auf. Er war aufgrund eines Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19.12.2006, mit dem sein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, und der sofort vollziehbaren Ausreiseaufforderung des Kreises Herford als Ausländerbehörde vom 02.08.2007 seinerzeit nicht befugt, sich in Deutschland weiter aufzuhalten, nachdem die bis zum 12.03.2008 befristete Duldung durch den Kreis Herford abgelaufen war. Die Ausländerbehörde Herford hatte deshalb am 04.04.2008 eine Personenfahndung zum Zwecke der Festnahme des Ehemanns der Klägerin veranlasst. Die Rechtmäßigkeit dieser Vorgehensweise ist durch gerichtliche Entscheidung bestätigt worden (VG Minden, Beschluss vom 01.09.2008 - 7 L 431/08). Der beabsichtigten Aufenthaltsbeendigung standen damals auch nicht Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK entgegen (VG Minden, Beschluss vom 29.09.2008 - 7 L 499/08).

Der Ehemann der Klägerin war seinerzeit untergetaucht (OVG Münster, Beschlüsse vom 24.10.2008 - 18 B 1422/08 und vom 17.11.2008 - 18 B 1624/08). Es bestanden allerdings Anhaltspunkte, dass der Ehemann sich wiederholt kurzzeitig in der Wohnung der Klägerin in Bremen aufhielt.

Die Polizei darf nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 BremPolG eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine Person befindet, die nach § 12 Abs. 3 BremPolG vorgeführt werden darf. Das ist der Fall bei einer Person, die zum Zwecke der Identitätsfeststellung gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 8 BremPolG zur Dienststelle gebracht werden darf. Wäre in der Wohnung der Klägerin seinerzeit ein erwachsener Mann angetroffen worden, wäre nicht von vornherein klar gewesen, um wen es sich dabei gehandelt hätte. Zur Abwehr einer Gefahr darf nach § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 8 BremPolG eine Identitätsfeststellung erfolgen. Eine Gefahr liegt nach § 2 Nr.2 und Nr.3 a) BremPolG vor, wenn in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird, zu der die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung gehört. Der damalige Verstoß gegen die Ausreisepflicht durch den Ehemann der Klägerin war eine Verletzung der Rechtsordnung.

3.2 Formell setzte aber eine Wohnungsdurchsuchung eine Anordnung durch das Amtsgericht Bremen nach § 22 Abs. 1 BremPoIG voraus. Eine solche richterliche Anordnung hatte es hier nicht gegeben. Sie war von der Polizei auch nicht beantragt worden.

3.3 Ohne richterliche Anordnung durfte gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 BremPolG eine Durchsuchung nur bei Gefahr im Verzug vorgenommen werden. Dieses hätte in Betracht gezogen werden können, wenn die Polizei am 21.08.2008 einen konkreten Hinweis bekommen hätte, dass der gesuchte ... gerade die Wohnung der Klägerin betreten habe, und die Gefahr bestanden hätte, dass bei Abwarten einer richterlichen Durchsuchungsanordnung Herr ... von der Polizei in der Wohnung nicht mehr anzutreffen gewesen wäre. Die Aussagen der Zeugen waren aber in dieser Beziehung völlig unergiebig. Der im August 2008 von PK ... erstellte Tätigkeitsbericht gab keinen Grund an, warum gerade am 21.08.2008 die Wohnung der Klägerin aufgesucht wurde. Und eine spätere Stellungnahme der Direktion Bereitschaftspolizei vom 24.11.2008 führte als Anlass an, von PK ... sei am 21.08.2008 bei einer Überprüfung der von ihm zu bearbeitenden Vorgänge festgestellt worden, dass eine INPOL-Speicherung des Herrn ... mit dem Ziel der Festnahme vorlag. Es gab demzufolge am 21.08.2008 kein aktuelles Ereignis, das eine Gefahr im Verzug hätte begründen können. [...]