VG Göttingen

Merkliste
Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 26.01.2012 - 2 A 31/11 - asyl.net: M19385
https://www.asyl.net/rsdb/M19385
Leitsatz:

Infolge freiwilliger Ausreise hat der Kläger, der aus Bhutan stammt und im Alter von 16 Jahren ausgereist ist, seine bhutanesische Staatsangehörigkeit verloren. Er hat Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG sowie Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose.

Schlagwörter: Bhutan, freiwillige Ausreise, bhutanesische Staatsangehörigkeit, Verlust der Staatsangehörigkeit, Staatenlosigkeit, Staatenloser, Reiseausweis für Staatenlose, Ausbürgerung
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, StlÜbk Art. 28
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat gegen den Beklagten sowohl einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG als auch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose. [...]

Der geduldete Kläger ist vollziehbar ausreisepflichtig. Seine Aufenthaltsbeendigung, sei sie freiwillig oder zwangsweise, ist mangels Personaldokumenten aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Mit dem Wegfall dieses Grundes ist nicht in absehbarer Zeit zu rechnen; vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger nie mehr in den Besitz von Personaldokumenten seines Heimatlandes erlangen wird. Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger aus Bhutan stammt und infolge seiner freiwilligen Ausreise von dort die bhutanesische Staatsangehörigkeit verloren hat. Er hat zur Überzeugung des Einzelrichters keine falschen Angaben gemacht und nicht über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht.

Bei den nachfolgenden Ausführungen ist zu bedenken, dass der Kläger sein Heimatland im Alter von 16 Jahren verlassen hat und nunmehr seit 14 Jahren in Deutschland lebt.

Bei seiner informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung vermochte der Kläger entgegen der Annahme des Beklagten durchaus Einzelheiten zu seinem Herkunftsdorf zu berichten. [...]

Im Jahre 1990 kam es zu den sog. September-Unruhen in Bhutan. Hierbei ging die bhuddistische Minderheit Bhutans, die jedoch an den Schalthebeln der Macht saß und sitzt, mit Gewalt gegen nepalistämmige Oppositionelle insbesondere der Bhutan People's Party vor. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und einer Massenflucht aus dem Land. Infolge dieser Unruhen wurden alle Schulen im Süden des Landes, von wo der Kläger stammt, zunächst auf unbestimmte Zeit geschlossen. Erst Mitte 1995 wurden einige Schulen und Krankenhäuser wieder geöffnet (vgl. zu diesen Informationen: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bhutan, Aktuelle Lage, Politische Verfolgung, Ethnische Konflikte, Stand: Februar 1997). Auch nachdem die Schulen wieder geöffnet waren, sind Berichte dokumentiert, nach denen Kinder von nepalistämmigen Einwohnern Bhutans in Bhutan nicht zur Schule gehen durften. Dies mit der Begründung, dass sie Verwandte in den Flüchtlingslagern hätten (vgl. amnesty international an den Bayrischen VGH, Stellungnahme vom 28. August 2000). Alles in allem ist damit gut vorstellbar, dass der Kläger ganz überwiegend, wenn nicht ausschließlich, sein Leben zu Hause verbracht hat. [...]

Schließlich haben auch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in dem gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren ... keinerlei Erkenntnisse dazu erbracht, dass der Kläger nicht aus Bhutan, sondern aus Nepal oder Indien stammt. [...]

Stellt man die Beweisnöte des als unbegleiteter Minderjähriger ausgereisten Klägers nach Ablauf von 14 Jahren seit der Ausreise aus seiner Heimat in Rechnung, dürfen an das Gelingen des Herkunftsbeweises keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist es nicht angezeigt, weitere Ermittlungen zur Herkunft des Klägers anzustellen. Soweit die ZAB Bielefeld meint, über den UNHCR eine Auskunft darüber erlangen zu können, ob es Familien mit dem Namen ... dem Dorf Tala gibt, hält das Gericht diesen Weg nicht für erfolgversprechend. Der UNHCR kann seinem internationalen Mandat entsprechend allenfalls Aussagen über die als Flüchtlinge registrierten, in Nepal oder Indien aufhältigen Flüchtlinge aus Bhutan, nepalesischer Herkunft, machen. Darüber, ob in Bhutan selbst eine bestimmte Familie lebt, vermag der UNHCR Auskünfte nicht zu geben. Da der Beklagte daneben auch nicht in der Lage gewesen ist, den Namen von Vertrauensanwälten und deren etwaige Anschrift in Bhutan zu nennen, scheidet auch dieser Weg, an Personaldokumente zu gelangen, aus. Im Ergebnis geht der Einzelrichter nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck, der Auswertung der Akten und der sonst zugänglichen Informationen davon aus, dass der Kläger aus Bhutan stammt. [...]

Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG stehen der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels nicht entgegen. Der Kläger hat einen Arbeitsvertrag vorgelegt, der seinen Unterhalt sicherstellt, wenn er im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist damit erfüllt. Gleiches gilt für § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG. Danach setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist.

Zur Überzeugung des Gerichts ist geklärt, dass der Kläger bhutanesischer Staatsangehöriger gewesen ist. Mit seiner freiwilligen Ausreise aus Bhutan hat er seine Staatsangehörigkeit verloren. Insoweit wird sowohl auf die Auskunft des ehemaligen Honorarkonsults des Königsreichs Bhutan, Dr. ... an den Kläger vom 12. August 2005 als auch die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel (vgl. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, a.a.O., S. 29 und 42 sowie die zitierte Stellungnahme von Amnesty International vom 28. August 2008) Bezug genommen. [...]

Der Kläger hat daneben einen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose gegen den Beklagten.

Gemäß Artikel 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen - Staatenlosenübereinkommen -, StlÜbk vom 28.09.1954, das durch Zustimmungsgesetz vom 12. April 1976 (BGBl. II, S. 473) am 24. Januar 1977 in Deutschland in Kraft getreten ist, stellen die Vertragsstaaten den Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen außerhalb dieses Hoheitsgebiets gestatten, es sei denn, dass zwingende Gründe der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Staatenloser im Sinne dieser Bestimmungen ist gemäß Artikel 1 Abs. 1 des Übereinkommens eine Person, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehöriger ansieht. Im Falle des Klägers liegt eine solche de jure Staatenlosigkeit infolge der Ausbürgerung seitens Bhutans, wie oben dargelegt, vor. Der Aufenthalt des Klägers ist zudem, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, rechtmäßig. Mit der Aufenthaltserlaubnis ist ihm daher vom Beklagten der begehrte Reiseausweis zu erteilen. [...]