VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 15.03.2002 - 2 K 1018/00.A - asyl.net: M1911
https://www.asyl.net/rsdb/M1911
Leitsatz:

Verfolgungsgefahr für Falun Gong Anhänger

n in der Volksrepublik China.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: China, Falun Gong, Glaubwürdigkeit, Religiös motivierte Verfolgung, Strafverfolgung, Vorverfolgung
Normen: ChinStGB § 300
Auszüge:

Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a des Grundgesetzes - GG - und auf die Feststellung, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) vorliegt.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger Falun Gong Anhänger ist und (...) eine Falun Gong Gruppe in seinem Heimatort (...) gegründet hat. Er traf sich mit den (...) Mitgliedern der Gruppe täglich morgens, um in dem Park der Stadt die Übungen von Falun Gong zu praktizieren. Als Leiter der Gruppe hatte er Kontakt zu anderen führenden Falun Gong Mitgliedern. Nach den Vorfällen im (...) ist er von der Propagandaabteilung des Kreiskomitees und von der Organisationsabteilung der Kommunistischen Partei unter Androhung seiner Festnahme aufgefordert worden, seine Gruppe aufzulösen. Am Tag nach dem Verbot von Falun Gong am 20. Juli 1999 hat sich der Kläger aus Furcht vor einer Festnahme in (...) bei einem Freund versteckt und sich bis zu seiner Ausreise in der Öffentlichkeit nicht mehr als Falun Gong Anhänger zu erkennen gegeben.

Der Kläger hat die Volksrepublik China aufgrund der Ereignisse im (...) vorverfolgt verlassen. Zwar hat er Verfolgungsmaßnahmen, etwa einen Festnahmeversuch, noch nicht unmittelbar erlitten. Einer bereits erlittenen Verfolgung steht jedoch eine unmittelbar drohende politische Verfolgung gleich, wenn sich eine Gefährdung so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt rechnen musste (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 1991 - 9 C 91.90 -, NVwZ 1992, 270, 271).

Dies ist bei dem Kläger der Fall. Er ist als Begründer und Leiter der Falun Gong Gruppe in seinem Heimatort ein exponiertes Mitglied der Falun Gong Bewegung. Als Mitglied der Kommunistischen Partei ist er in besonderer Weise von staatlichen Stellen unter Druck gesetzt worden, sich von Falun Gong loszusagen.

Nach der derzeitigen Erkenntnislage über die Verfolgung von Falun Gong Anhängern in China haben diejenigen, die den chinesischen Behörden bekannt geworden sind, mit politischer Verfolgung zu rechnen (vgl. VG Meinigen, Urteil vom 14. Dezember 2000 - 5 K 20111/00.Me -, VG Stuttgart, Urteil vom 5. März 2001 - A 8 K 11993/00 -, VG Cottbus, Urteil vom 28. Juni 2001 - 6 K 406/00.A -). Am 22. Juli 1999 wurde die Falun Gong Bewegung von der chinesischen Regierung zur "illegalen Organisation" erklärt und damit faktisch verboten. Am 30. Oktober 1999 erließ der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses eine Entscheidung, in der die Notwendigkeit des Verbots "häretischer Organisationen" betont wurde. Zuvor beschlossen das Oberste Volksgericht und die Oberste Volksstaatsanwaltschaft am 8. bzw. 9. Oktober "Erläuterungen", wie Fälle des Organisierens "häretischer Organisationen" zu handhaben sind. Diese Maßnahmen eröffneten den Weg zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Anhänger von Falun Gong auf der Grundlage des § 300 des chinesischen Strafgesetzbuches von 1997 (ChinStGB). Danach kann u.a. derjenige, der die Durchführung staatlicher Gesetze oder Verwaltungsvorschriften sabotiert, indem er religiöse Sekten und Organisationen, die Irrlehren oder abwegige Doktrinen verbreitet, organisiert und sich ihrer bedient, mit Freiheitsstrafe von drei bis zu sieben, bei besonders schweren Tatumständen nicht unter sieben Jahren bestraft werden (vgl. amnesty international, Auskunft an VG Karlsruhe vom 17. Juli 2000). Seither wurden zehntausende Mitglieder von Falun Gong bei gewaltfreien Demonstrationen verhaftet (vgl. PNN vom 13. Juli 2001; Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 11).

Dem demnach vorverfolgt ausgereisten Kläger ist eine Rückkehr in sein Heimatland nicht zumutbar, weil keine hinreichende Sicherheit vor erneuter politischer Verfolgung besteht. Nach wie vor wird in der Volksrepublik China mit größter Härte gegen Falun Gong Anhänger vorgegangen. Ein Abflauen der Verfolgungsmaßnahmen gegen die Gruppe, die sich ungeachtet der über zwei Jahren andauernden Kampagne als äußerst widerstandsfähig erwiesen hat, ist nicht zu erkennen.