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EuGH, Urteil vom 26.05.2011 - C-485/07 - asyl.net: M18880
https://www.asyl.net/rsdb/M18880
Leitsatz:

Zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses ARB 3/80 (Zusatzleistung zur Invalidenrente für in die Türkei zurückgekehrte türkische Wanderarbeitnehmer).

Schlagwörter: Vorabentscheidungsverfahren, türkische Staatsangehörige, Türkischer Arbeitnehmer, Diskriminierung, Unionsbürger, Sozialleistungen,
Normen: EG Art. 234, ARB 3/80 Art. 6 Abs. 1, ARB 1/80 Art. 4 Abs. 1 Bst. b, ZP Art. 39 Abs. 4, VO 1408/71/EG Art. 4 Abs. 2a Bst. a, VO 1408/71/EG Art. 10a, ZP Art. 59, ZP Art. 39 Abs. 4, ARB 3/80 Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

66 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung entfaltet.

67 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Gegenstand und die Natur des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Akts abhängen. Dasselbe gilt, wenn es um die Frage geht, ob die Bestimmungen eines Beschlusses des Assoziationsrates unmittelbare Wirkungen haben (vgl. insbesondere Urteil vom 4. Mai 1999, Sürül, C-262/96, Slg. 1999, I-2685, Randnr. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68 Aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 ergibt sich klar, eindeutig und unbedingt das Verbot für die Mitgliedstaaten, die in dieser Bestimmung aufgeführten Leistungen deshalb zu kürzen, zu ändern, zum Ruhen zu bringen, zu entziehen oder zu beschlagnahmen, weil der Berechtigte in der Türkei oder im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

69 Wie die Europäische Kommission zu Recht ausgeführt hat, begründet diese Vorschrift eine Ergebnisverpflichtung, nämlich das Verbot jeder Beschränkung des Exports von Leistungen, auf die die betroffenen türkischen Staatsangehörigen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einen Anspruch erworben haben. Eine solche Verpflichtung kann daher von einem Einzelnen vor einem nationalen Gericht zur Begründung seines Antrags geltend gemacht werden, diskriminierende Vorschriften der Regelung eines Mitgliedstaats unangewendet zu lassen, ohne dass es insoweit noch ergänzender Durchführungsvorschriften bedürfte (vgl. entsprechend Urteil Sürül, Randnr. 63).

70 Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 ist somit eindeutig anderer Natur als die technischen Vorschriften zur Koordinierung verschiedener nationaler Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit wie z. B. die Bestimmungen in den Art. 12 und 13 dieses Beschlusses, um die es in der dem Urteil vom 10. September 1996, Taflan-Met u. a. (C-277/94, Slg. 1996, I-4085), zugrunde liegenden Rechtssache ging und denen der Gerichtshof eine unmittelbare Wirkung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten abgesprochen hat, solange die für die Durchführung notwendigen ergänzenden Maßnahmen vom Rat noch nicht erlassen worden sind.

71 Die vorstehende Auslegung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 das Verbot der Wohnortklauseln gilt, "sofern in diesem Beschluss nichts anderes bestimmt ist". Hierzu genügt die Feststellung, dass dieser Beschluss keine Ausnahme oder Beschränkung bezüglich des in dieser Bestimmung festgelegten Verbots von Wohnortklauseln vorsieht.

72 Ferner wird aus den gleichen Gründen, wie sie in den Randnrn. 70 bis 72 des Urteils Sürül aufgeführt sind, die Feststellung, dass Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 die Situation des Einzelnen unmittelbar regeln kann, nicht durch die Prüfung des Gegenstands und der Natur des Assoziierungsabkommens, zu dem diese Bestimmung gehört, widerlegt.

73 Somit stellt Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 eine genaue und unbedingte Regel auf, die hinreichend konkret ist, um von einem nationalen Gericht angewandt zu werden, und somit die rechtliche Lage eines Einzelnen regeln kann.

74 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 dahin auszulegen ist, dass er unmittelbare Wirkung entfaltet, so dass die türkischen Staatsangehörigen, auf die diese Bestimmung anwendbar ist, sich vor den Gerichten der Mitgliedstaaten unmittelbar darauf berufen können, um die Anwendung entgegenstehender nationaler Rechtsvorschriften auszuschließen.

Zur zweiten Frage

75 Mit seiner zweiten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der in Art. 4a der TW entgegensteht, soweit sie die Zusatzleistung, die nach den nationalen Rechtsvorschriften gewährt wird, entzieht, wenn die Empfänger dieser Leistung nicht mehr im Hoheitsgebiet dieses Staates wohnen.

76 Wie gesagt verbietet Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 grundsätzlich Wohnortklauseln in Bezug auf die dort aufgeführten Leistungen der sozialen Sicherheit, zu denen auch Geldleistungen bei Invalidität gehören.

77 Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, erkennen die Parteien des Ausgangsverfahrens an, dass eine Sozialleistung wie die Zusatzleistung, die aufgrund einer Sozialversicherungsregelung wie der der WAO gezahlt wird, einer Leistung bei Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses Nr. 3/80 gleichzustellen ist und daher in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 dieses Beschlusses fällt.

78 Ferner steht fest, dass die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens türkische Staatsangehörige sind, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig aufgehalten und dort gearbeitet haben. Nach Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis über eine bestimmte Zeit haben sie Anspruch auf Sozialleistungen nach der Regelung des Aufnahmemitgliedstaats erworben. Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine Invaliditätsrente wegen Arbeitsunfähigkeit der Betroffenen und um die Zusatzleistung nach der TW, weil die Rente, auf die sie Anspruch hatten, geringer als der Mindestlohn war. Diese beiden Leistungen sind ihnen eine Zeitlang tatsächlich gewährt worden, und zwar auch noch nach ihrer Rückkehr in die Türkei gemäß Art. 39 Abs. 4 des Zusatzprotokolls, der die Möglichkeit der Ausfuhr von Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten vorsieht, auf die in den Mitgliedstaaten Anspruch erworben wurde.

79 Somit fallen die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens als türkische Arbeitnehmer, die Geldleistungen bei Invalidität beziehen, auf die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Anspruch erworben worden ist, und die jetzt in der Türkei wohnen, in den persönlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80.

80 Wie bereits in Randnr. 71 des vorliegenden Urteils ausgeführt, enthält der Beschluss Nr. 3/80 außerdem keine Ausnahme oder Beschränkung bezüglich des in seinem Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 festgelegten Verbots von Wohnortklauseln.

81 Nach alledem sind sämtliche Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende erfüllt.

82 Somit können türkische Staatsangehörige wie die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens zu Recht unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 verlangen, dass ihnen die Zusatzleistung nach der WAO auch weiterhin in der Türkei gezahlt wird.

83 Die vorstehende Feststellung wird nicht durch den Umstand berührt, dass im Fall einer Sozialleistung wie der Zusatzleistung die gegenwärtige Regelung der Verordnung Nr. 1408/71 von der Regelung des Beschlusses Nr. 3/80 abweicht.

84 Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde nämlich durch die Verordnung Nr. 1247/92 geändert. So wurden seit dem Inkrafttreten der letztgenannten Verordnung am 1. Juni 1992 beitragsunabhängige Sonderleistungen in Geld in der Art der Zusatzleistung nach Art. 4 Abs. 2a Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich in deren sachlichen Anwendungsbereich einbezogen. 85 Ferner wurde ab demselben Zeitpunkt durch die Verordnung Nr. 1247/92 ein neuer Art. 10a in die Verordnung Nr. 1408/71 eingeführt, der eine Ausnahme von der in Art. 10 Abs. 1 dieser Verordnung festgelegten Pflicht zum Export von Leistungen vorsieht.

86 Des Weiteren wurde durch die Verordnung Nr. 647/2005 die TW in der im Jahr 2000 durch die BEU geänderten Fassung in das in Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1247/92 geänderten Fassung enthaltene Verzeichnis nicht beitragsbezogener Sonderleistungen im Sinne von Art. 4a der Verordnung Nr. 1408/71 aufgenommen, für die die in Art. 10 dieser Verordnung vorgesehene Exportpflicht gemäß Art. 10a nicht gilt.

87 Auf dieser Grundlage entzieht das Königreich der Niederlande den Staatsangehörigen der Union die bisherige Zusatzleistung nach der TW, wenn die Leistungsempfänger nicht im niederländischen Hoheitsgebiet wohnen.

88 Allerdings kann unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Situation, in der ehemalige türkische Wanderarbeitnehmer, die in die Türkei zurückgekehrt sind, weiterhin gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 eine Sozialleistung wie die in Rede stehende Zusatzleistung erhalten, während diese den Angehörigen der Union entzogen wird, wenn sie nicht mehr im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats wohnen, der sie bewilligt hat, nicht als mit den Erfordernissen von Art. 59 des Zusatzprotokolls unvereinbar angesehen werden, wonach türkische Staatsangehörige nicht in eine günstigere Lage als Unionsangehörige versetzt werden dürfen (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil vom 19. Februar 2009, Soysal und Savatli, C-228/06, Slg. 2009, I-1031, Randnr. 61).

89 Zum einen sieht nämlich Art. 39 Abs. 4 des Zusatzprotokolls ausdrücklich die Ausfuhr bestimmter Leistungen der sozialen Sicherheit in die Türkei vor, zu denen die Alters- und Invaliditätsrenten gehören, die Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit aufgrund von Bestimmungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erworben haben.

90 Zum anderen fallen nach Art. 2 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 3/80 türkische Arbeitnehmer, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten "gelten oder galten", ohne Weiteres in den Anwendungsbereich dieses Beschlusses, während von den Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer nach Art. 2 zweiter Gedankenstrich verlangt wird, dass sie "im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen".

91 Außerdem würde eine Anwendung der gegenwärtig nach der Verordnung Nr. 1408/71 geltenden Regelung für beitragsunabhängige Sonderleistungen im Rahmen des Beschlusses Nr. 3/80 auf eine Änderung dieses Beschlusses hinauslaufen, für die gemäß den Art. 8 und 22 des Assoziierungsabkommens allein der Assoziationsrat zuständig ist.

92 Schließlich ist festzustellen, dass die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens in die Türkei zurückgekehrt sind, nachdem sie im Aufnahmemitgliedstaat arbeitsunfähig geworden waren.

93 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann ein türkischer Staatsangehöriger, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation angehört, diesem Beschluss kein Recht entnehmen, im Hoheitsgebiet dieses Staates zu verbleiben, nachdem er Opfer eines Arbeitsunfalls geworden ist, der zu einer dauernden Arbeitsunfähigkeit geführt hat, durch die er dem Arbeitsmarkt endgültig entzogen wird (vgl. Urteil vom 6. Juni 1995, Bozkurt, C-434/93, Slg. 1995, I-1475, Randnr. 42).

94 Unter diesen Umständen kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass die Betroffenen den Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Wunsch und ohne berechtigte Gründe verlassen und dadurch ihre aufgrund der Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei erworbenen Rechte verloren haben (vgl. insbesondere Urteil vom 4. Februar 2010, Genc, C-14/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 42).

95 Daher kann die Situation ehemaliger türkischer Wanderarbeitnehmer wie der Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens, wenn sie in die Türkei zurückgekehrt sind, nachdem sie ihr Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit verloren haben, für die Anwendung von Art. 59 des Zusatzprotokolls nicht mit derjenigen der Unionsangehörigen verglichen werden, da diese aufgrund ihres Rechts auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten das Recht behalten, in dem Mitgliedstaat, der die betreffende Leistung gewährt, zu verbleiben und somit zum einen sich dafür entscheiden können, das Hoheitsgebiet dieses Staates zu verlassen mit der Folge, diese Leistung zu verlieren, zum anderen aber das Recht haben, jederzeit in den betreffenden Mitgliedstaat zurückzukehren (vgl. entsprechend Urteile vom 18. Juli 2007, Derin, C-325/05, Slg. 2007, I-6495, Randnr. 68, und vom 22. Dezember 2010, Bozkurt, C-303/08, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 45).

96 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen im Ausgangsverfahren einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die wie Art. 4a der TW eine Leistung wie die nach den nationalen Rechtsvorschriften gewährte Zusatzleistung ehemaligen türkischen Wanderarbeitnehmern entzieht, wenn sie in die Türkei zurückgekehrt sind, nachdem sie ihr Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit verloren haben.

Zur dritten Frage

97 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, welche Bedeutung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens der Gleichbehandlungsgrundsatz hat, der in Art. 9 des Assoziierungsabkommens verankert ist und jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit "unbeschadet der besonderen Bestimmungen, die möglicherweise [vom Assoziationsrat] aufgrund von Art. 8" dieses Abkommens noch erlassen werden, verbietet.

98 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 die Umsetzung und Konkretisierung des allgemeinen Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, das in Art. 9 des Assoziierungsabkommens verankert ist, für den besonderen Bereich der sozialen Sicherheit (vgl. Urteile Sürül, Randnr. 64, vom 14. März 2000, Kocak und Örs, C-102/98 und C-211/98, Slg. 2000, I-1287, Randnr. 36, und vom 28. April 2004, Öztürk, C-373/02, Slg. 2004, I-3605, Randnr. 49).

99 Wie bereits aus seinem Wortlaut hervorgeht, gilt Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80, "soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt".

100 Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses stellt eine solche andere Bestimmung dar, über deren Tragweite der Gerichtshof bereits im Rahmen der ersten und der zweiten Frage entschieden hat.

101 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 9 des Assoziierungsabkommens auf eine Situation wie diejenige des Ausgangsverfahrens keine Anwendung findet.

Kosten

102 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige ist dahin auszulegen, dass er unmittelbare Wirkung entfaltet, so dass die türkischen Staatsangehörigen, auf die diese Bestimmung anwendbar ist, sich vor den Gerichten der Mitgliedstaaten unmittelbar darauf berufen können, um die Anwendung entgegenstehender nationaler Rechtsvorschriften auszuschließen.

2. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen im Ausgangsverfahren einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die wie Art. 4a des Gesetzes über Zusatzleistungen (Toeslagenwet) vom 6. November 1986 eine Leistung wie die nach den nationalen Rechtsvorschriften gewährte Zusatzleistung zur Invalidenrente ehemaligen türkischen Wanderarbeitnehmern entzieht, wenn sie in die Türkei zurückgekehrt sind, nachdem sie ihr Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit verloren haben.

3. Art. 9 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, unterzeichnet am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits, und im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963, findet keine Anwendung auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren.