OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 04.07.2011 - 1 S 42/11 - asyl.net: M18751
https://www.asyl.net/rsdb/M18751
Leitsatz:

Für die Aussetzung eines Verfahrens auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist kein Raum mehr, wenn die Akten des strafrechtlichen Verfahrens auf dem Weg von der Staatsanwaltschaft zum Strafgericht verloren gegangen sind und das strafrechtliche Verfahren deshalb nicht mehr betrieben wird.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Anhörungsrüge, Untätigkeitsklage, Aussetzung des Verfahrens, Strafverfahren,
Normen: AufenthG § 79 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, VwGO § 152a, VwGO § 75 S. 3, AufenthG § 5 Abs. 3 S. 3
Auszüge:

[...]

Die nach § 152a VwGO erhobene Anhörungsrüge des Klägers ist zulässig und begründet. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 01.02.2011 beruht auf der Annahme, dass dem Kläger die Anklageschrift vom 26.01.2010 (Geschäftsnummer der Staatsanwaltschaft Bremen 540 Js 8117/07) zugestellt worden ist. Dies ist, wie der Kläger mit der Anhörungsrüge zutreffend geltend gemacht hat, aber nicht der Fall. Der Beschluss vom 01.02.2011 kann deshalb keinen Bestand haben.

Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 01.12.2010 gerichtete Beschwerde des Klägers ist begründet. Mit dem Beschluss hat das Verwaltungsgericht das Klageverfahren 4 K 1425/10, in dem der Kläger im Wege einer Untätigkeitsklage die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erstrebt, gemäß § 75 S. 3 VwGO ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass gegen den Kläger das o. g. Strafverfahren anhängig sei, was gemäß § 79 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG die Aussetzung des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens zur Folge habe.

Dass die in der Anklageschrift vom 26.01.2010 genannten Vorwürfe der Sache nach geeignet sind, eine Verfahrensaussetzung nach § 79 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG zu begründen, kann nicht ernstlich zweifelhaft sein.

Die Regelung in § 79 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG beruht allerdings auf der Prämisse, dass das Strafverfahren ordnungsgemäß betrieben wird. Die aufenthaltsrechtliche Verfahrensaussetzung erfolgt insoweit im Hinblick auf ein laufendes Strafverfahren.

Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben. Die Staatsanwaltschaft Bremen hat dem Oberverwaltungsgericht mitgeteilt, dass die Anklageschrift vom 26.01.2010 von der Staatsanwaltschaft gefertigt worden sei, die Akten dann auch bei der Staatsanwaltschaft ausgetragen und an das Amtsgericht gesandt worden seien, dort aber ein Eingang nicht feststellbar sei. Die Akten seien seitdem außer Kontrolle. Bisherige Nachforschungen seien ohne Erfolg geblieben; die Akte werde weiter gesucht.

Bei dieser Sachlage kann § 79 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG keine Anwendung finden. Denn der weitere Verlauf und der Ausgang des gegen den Kläger eingeleiteten Strafverfahrens sind zurzeit in jeglicher Hinsicht offen. Insbesondere kann im Hinblick auf den inzwischen verstrichenen Zeitraum nicht angenommen werden, dass die Aktensuche zu einem alsbaldigen Erfolg führen wird.

Welche Relevanz der von der Staatsanwaltschaft gegen den Kläger erhobene Tatvorwurf unter diesen Umständen für sein Aufenthaltserlaubnisbegehren hat, wird im aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu prüfen sein. Mit der Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Aussetzungsbeschlusses entfällt insoweit lediglich die bisherige Entscheidungssperre, das Ergebnis der Prüfung ist aber noch nicht präjudiziert. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass das Aufenthaltsgesetz durchaus die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bietet, ohne dass etwaige Ausweisungsgründe verbraucht werden (vgl. § 5 Abs. 3 S. 3 AufenthG). [...]