VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.05.2011 - A 11 S 1523/11 - asyl.net: M18698
https://www.asyl.net/rsdb/M18698
Leitsatz:

Zuständig für die Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse ist in Verfahren nach der Dublin II-VO nicht die Vollziehungsbehörde, sondern das BAMF.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Beschwerde, Bulgarien, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Kindeswohl, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Konzept der normativen Vergewisserung, Passivlegitimation, Abschiebungshindernis
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VwGO § 123
Auszüge:

[...]

In Fällen, in denen der Asylbewerber in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, hat das Bundesamt vor Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG (inzident) auch zu prüfen, ob Abschiebungshindernisse bzw. -verbote oder Duldungsgründe vorliegen. Anders als bei der Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG im Zusammenhang mit dem Erlass einer Abschiebungsandrohung (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 BVerwGE 105, 383, und vom 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) ist es nicht auf die Prüfung von so genannten "zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten", hier also solchen bezüglich Bulgariens, beschränkt. § 34a AsylVfG bestimmt ausdrücklich, dass das Bundesamt die Abschiebung anordnet, "sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann". Die Abschiebungsanordnung - als Festsetzung eines Zwangsmittels - darf damit erst ergehen, wenn alle Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Abschiebung nach § 26a oder § 27a AsylVfG i.V.m. § 34a AsylVfG erfüllt sind (vgl. GK-AsylVfG, a.a.O., § 34a Rn. 15 ff.; zu den außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung zu berücksichtigenden Umständen siehe auch BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2315/93 - BVerfGE 94, 49). Denn sie ist die letzte Voraussetzung für die Anwendung des Zwangsmittels, hier der Abschiebung (vgl. auch Sadler, VwVG - VwZG, 7. Aufl. 2009, § 14 VwVG, Rn. 23). Das bedeutet, dass das Bundesamt vor Erlass der Abschiebungsanordnung gegebenenfalls sowohl zielstaatsbezogene Aspekte als auch der Abschiebung entgegenstehende inländische Vollzugshindernisse zu berücksichtigen, mithin unter anderem zu prüfen hat, ob die Abschiebung in den Drittstaat aus subjektiven, in der Person des Ausländers liegenden Gründen - wenn auch nur vorübergehend - rechtlich oder tatsächlich möglich ist (GK-AsylVfG, a.a.O., § 34a Rn. 15; vgl. auch Hailbronner, AuslR, Stand: Okt. 2010, § 34a Rn. 16, 43, 45; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.11.2004 - 2 M 299/04 - juris; VG Weimar, Beschluss vom 11.12.2009 - 7 E 20173/09 We - juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 09.12.2008 - A 4 K 3916/08 - juris und Urteil vom 28.02.2001 - A 10 K 13155/98 - juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2007 - 21 K 3831/07.A - juris; VG Würzburg, Urteil vom 26.07.2007 - W 5 K 07.30121 - juris; VG Oldenburg, Urteil vom 28.09.2005 - 11 A 3134/04 - juris; a.A. VG Düsseldorf, Urteil vom 30.07.2010 - 13 K 3075/10.A - juris; VG Frankfurt, Beschluss vom 01.08.2002 - 5 G 2082/02.A(3) - AuAS 2002, 201).

Hat danach im vorliegenden Fall das Bundesamt die umfassende Prüfungs- und Entscheidungskompetenz bezüglich der Zulässigkeit der Abschiebung nach Bulgarien, sind eventuelle Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe nicht daneben auch von der mit dem Vollzug der Abschiebungsanordnung betrauten Ausländerbehörde zu prüfen. Der Antragsgegner als Träger der für die Abschiebung zuständigen Behörde ist damit insoweit nicht passivlegitimiert, so dass der gegen ihn gerichtete Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schon deshalb keinen Erfolg haben kann.

Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass vorliegender Antrag selbst dann abzulehnen wäre, wenn man annähme, dass die Ausländerbehörde (evtl. in Ausnahmefällen) doch inlandsbezogene Abschiebungsverbote bzw. Duldungsgründe, wie etwa eine bestehende Reiseunfähigkeit (so VG Düsseldorf, Urteil vom 30.07.2010, a.a.O.; a.A. VG Weimar, Beschluss vom 11.12.2009, a.a.O.; VG Oldenburg, Urteil vom 28.09.2005, a.a.O.), zu prüfen hätte. Denn solche Gründe sind hier nicht geltend gemacht worden. Soweit vorgetragen wird, der Antragsteller und seine Eltern seien in Bulgarien nicht hinreichend sicher vor Verfolgungsmaßnahmen seitens der iranischen Botschaft in Sofia bzw. des iranischen Staates, weil die bulgarischen Behörden "durch die Mafia infiltriert" und weder willens noch in der Lage seien, effektiven Schutz zu gewähren, wird damit allein die Zulässigkeit einer Abschiebung in den nach § 27a AsylVfG und der Dublin II-Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat - Bulgarien - in Frage gestellt. Diese Frage ist ebenso wenig "inlandsbezogen" wie die Frage, ob aufgrund der Verhältnisse in Bulgarien und der gesundheitlichen Verfassung des Antragstellers von einer dort drohenden Beeinträchtigung des Kindeswohls auszugehen und die Abschiebung gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen könnte. Erst recht kann nicht mit Erfolg gegenüber der die Abschiebungsanordnung lediglich vollziehenden Ausländerbehörde geltend gemacht werden, in Deutschland bestünde eine größere Sicherheit als in Bulgarien. [...]