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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 24.02.2011 - 10 C 3.10 [= ASYLMAGAZIN 2011, S. 256 ff.] - asyl.net: M18447
https://www.asyl.net/rsdb/M18447
Leitsatz:

1. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG i.V.m Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 124 ff.]).

2. Die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände ist nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG erheblich und nicht nur vorübergehend, wenn feststeht, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Dauerhaft ist die Veränderung in der Regel nur, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern.

3. Macht der Flüchtling im Widerrufsverfahren unter Berufung auf den gleichen Verfolgungsgrund wie den bei seiner Anerkennung als Flüchtling festgestellten geltend, dass nach dem Wegfall der Tatsachen, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden war, andere Tatsachen eingetreten seien, die eine Verfolgung aus dem gleichen Verfolgungsgrund befürchten ließen, ist dies normalerweise bereits bei Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG zu beachten.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Widerruf, Widerrufsverfahren, Irak, Wegfall der Umstände, Änderung der Sachlage, dauerhaft, Flüchtlingsanerkennung, EuGH, Ermessen, Verfolgungsgefahr, Verfolgungsgrund, subsidiärer Schutz, Frist, Unverzüglichkeit, richterliche Überzeugungsgewissheit, Demokratische Volkspartei,
Normen: RL 2004/83/EG Art. 11 Abs. 1 Bst. e, RL 2004/83/EG Art. 11 Abs. 2, RL 2004/83/EG Art. 7, AsylVfG § 73 Abs. 1, VwVfG § 49 Abs. 2 S. 2, VwVfG § 48 Abs. 4, RL 2004/83/EG Art. 2 Bst. c, RL 2004/83/EG Art. 2 Bst. e, RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4, RL 2004/83/EG Art. 8, GFK Art. 1 C Nr. 5, GFK Art. 1 C Nr. 6, AsylVfG § 73 Abs. 2a S. 4, AsylVfG § 73 Abs. 7, VwGO § 108 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Voraussetzungen für den Widerruf nach dieser Vorschrift sind deshalb im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 19).

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Widerrufe nicht an einem formellen Mangel leiden. Sie entsprechen insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG in der zum Zeitpunkt ihres Erlasses und im Übrigen auch jetzt noch unverändert geltenden Fassung des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes. Insbesondere begegnen die angefochtenen Entscheidungen weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit der Widerrufe im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt (Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 13 m.w.N.). Der Senat hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2a AsylVfG widerrufen wird (Urteil vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N.). Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

2. Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Die für die Zulassung der Revisionen ausschlaggebende Frage, ob der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung einer Ermessensentscheidung (bisher nach § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG; nunmehr nach § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG) bedurfte, ist durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG geklärt. Danach hat in Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für Altanerkennungen getroffen, die vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden sind, und festgelegt, bis wann diese auf einen Widerruf oder eine Rücknahme zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass es vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keiner Ermessensentscheidung bedarf (Urteil vom 25. November 2008 a.a.O. m.w.N.).

3. Die Berufungsentscheidung ist hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen aber nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der inzwischen umgesetzten Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG).

a) Die diesen Bestimmungen zu entnehmenden Vorgaben hat der Gerichtshof der Europäischen Union in der im vorliegenden Verfahren eingeholten Vorabentscheidung mit Urteil vom 2. März 2010 (a.a.O.) konkretisiert.

Danach erlischt die Flüchtlingseigenschaft, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 76 1. Spiegelstrich).

In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof klar, dass der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG angesprochene "Schutz des Landes" sich nur auf den bis dahin fehlenden Schutz vor den in der Richtlinie aufgeführten Verfolgungshandlungen bezieht (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 67). Gleiches gilt mithin für den in § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG erwähnten "Schutz des Staates". Unerheblich ist, ob dem Betroffenen im Herkunftsland sonstige Gefahren drohen. Das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft hängt insbesondere nicht davon ab, dass auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG nicht erfüllt sind. Die Richtlinie verfolgt insoweit zwei unterschiedliche Schutzregelungen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 78 ff.).

Dem Urteil des Gerichtshofs ist weiter zu entnehmen, dass die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland grundsätzlich das Spiegelbild zur Anerkennung ist. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG sieht ebenso wie Art. 1 Abschnitt C Ziff. 5 GFK vor, dass die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn die Umstände, aufgrund derer sie zuerkannt wurde, weggefallen sind, wenn also die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht mehr vorliegen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 65). Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes seiner Staatsangehörigkeit befindet, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr begründet, kann der Staatsangehörige es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 66). Die Umstände, die zur Zuerkennung oder umgekehrt zum Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führen, stehen sich mithin in symmetrischer Weise gegenüber (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 68).

Der Gerichtshof hebt aber zugleich hervor, dass für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG erheblich und nicht nur vorübergehend sein muss, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72). Dafür muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 73). Dauerhaft ist die Veränderung in der Regel nur, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 70 f.).

Sind die Umstände, aufgrund derer die Anerkennung als Flüchtling erfolgte, weggefallen, ist vor der Feststellung des Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft weiter zu prüfen, ob nicht andere Umstände vorliegen, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung haben kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 82). Dabei ist zu differenzieren, je nachdem, auf welchen der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten (Verfolgungs-) Gründe sich der Flüchtling beruft. Macht er im Widerrufsverfahren unter Berufung auf den gleichen Verfolgungsgrund wie den bei seiner Anerkennung als Flüchtling festgestellten geltend, dass nach dem Wegfall der Tatsachen, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden war, andere Tatsachen eingetreten seien, die eine Verfolgung aus dem gleichen Verfolgungsgrund befürchten ließen, ist dies normalerweise bereits bei Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG zu beachten (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 98). In diesem Fall hat die Behörde die geltend gemachte Verfolgungsgefahr also in der Regel schon bei der Frage mit zu berücksichtigen, ob überhaupt eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Umstände vorliegt, aufgrund derer die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Beruft sich der Flüchtling hingegen auf einen anderen Verfolgungsgrund als den bei der Anerkennung festgestellten, fehlt es an einem Bezug zu den seiner Anerkennung zugrunde liegenden Umständen. Dieses Vorbringen stellt daher nicht den Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände in Frage. In diesem Fall findet aber die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG Anwendung, wenn frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung eine Verknüpfung mit dem nunmehr geltend gemachten Verfolgungsgrund aufweisen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 96).

b) Mit dieser Grundsatzentscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Union die im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Vorgaben geklärt. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten haben, das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft setze stets - unabhängig von einer konkreten Verfolgungsgefahr - die Möglichkeit der Inanspruchnahme effektiven staatlichen Schutzes voraus, ist dies der Entscheidung des Gerichtshofs nicht zu entnehmen. Der Gerichtshof differenziert vielmehr zwischen den der Anerkennung zugrunde liegenden und anderen Verfolgungsgründen. Nur hinsichtlich der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgründe findet Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG in der Regel Anwendung. Hinsichtlich anderer Verfolgungsgründe verbleibt es hingegen bei der gleichen Prüfung wie im Anerkennungsverfahren (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 83 und 88). Damit hängt das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nicht davon ab, dass im Herkunftsland umfassender Schutz vor jeglicher Art von Verfolgung gewährt wird.

c) In Anwendung der sich aus Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebenden Vorgaben ist das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht von einem Wegfall der den Flüchtlingsanerkennungen der Kläger zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr ausgegangen. Die Kläger wurden vom Bundesamt mit Bescheid vom 26. Februar 2002 als Flüchtlinge anerkannt, weil das Bundesamt seinerzeit davon ausging, dass die irakischen Behörden schon die Asylantragstellung im Ausland als politische Gegnerschaft werten. Diese die Furcht der Kläger vor einer staatlichen Verfolgung begründende Tatsache ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dauerhaft beseitigt worden. Die Entmachtung des Diktators Saddam Hussein und seines Regimes ist nach diesen Feststellungen unumkehrbar. Eine Rückkehr des Baath-Regimes wird als ausgeschlossen angesehen. Weder die neue irakische Regierung noch sonstige Akteure knüpfen an die Asylantragstellung im Ausland Verfolgungsmaßnahmen (BA S. 7 f.). Steht damit fest, dass die Kläger wegen der Asylantragstellung von keiner Seite im Irak mehr Verfolgung zu befürchten haben, umfasst dies zugleich die Feststellung, dass mit der neuen irakischen Regierung ein staatlicher Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der die bisherigen staatlichen Sanktionen und Übergriffe aufgrund der Asylantragstellung abgeschafft hat und damit ausreichende geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern.

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung setzt neben dem Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr aber weiter voraus, dass der Betreffende auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung hat. Insoweit hat der Kläger im Berufungsverfahren schriftsätzlich geltend gemacht, dass ihm unabhängig von der seiner Anerkennung zugrunde gelegten Verfolgungsgefahr bei Rückkehr Verfolgung drohe. In diesem Zusammenhang hat er sich insbesondere auf seine aktive Mitgliedschaft in der "Demokratischen Volkspartei" berufen. Deren Führer habe inzwischen aus Furcht vor Verfolgung untertauchen müssen. Außerdem befürchtet der Kläger, dass er Schwierigkeiten mit einer mit dem Staat zusammenarbeitenden sunnitischen Gruppe namens "Bedr" hätte. Zu diesen anderen Umständen hat das Berufungsgericht den Kläger nicht angehört, sondern ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege festgestellt, dass sich aus diesem Vorbringen keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung ergäben (BA S. 11).

Diese Feststellung beruht auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage und wird den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) nicht gerecht. Nachdem sich der Kläger im Berufungsverfahren darauf berufen hat, er habe im Irak inzwischen wegen anderer Umstände Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG zu befürchten, hätte das Berufungsgericht ihm Gelegenheit geben müssen, hierzu - etwa im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - persönlich Stellung zu nehmen, und die Befürchtungen des Klägers sodann anhand der Erkenntnisquellen auf ihre Glaubhaftigkeit und Entscheidungserheblichkeit überprüfen müssen. Erst auf der Grundlage einer dergestalt aufgearbeiteten Tatsachengrundlage hätte zuverlässig beurteilt werden können, ob insoweit tatsächlich keine Anhaltspunkte

für eine Verfolgung bestehen.

Darin liegt hinsichtlich des Klägers eine Verletzung materiellen Rechts, da das Berufungsgericht die Anforderungen an einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insoweit verkannt hat. Dieser Rechtsfehler wirkt sich auch gegenüber der Klägerin aus. Diese hat im Widerrufsverfahren zwar keine eigenen Verfolgungsgründe geltend gemacht. Sollte ihrem Ehemann jedoch weiterhin Verfolgung drohen und der Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung daher keinen Bestand haben, hätte sie nach § 26 Abs. 4 AsylVfG einen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz. In diesem Fall dürfte aber auch ihre Flüchtlingsanerkennung nicht widerrufen werden.

4. Hinsichtlich des weiteren Vorgehens weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht insbesondere zu klären hat, ob dem Kläger nach Wegfall der seiner Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr im Irak wegen anderer Tatsachen oder Umstände Verfolgung droht. Hierzu hat es den Kläger zu den von ihm geltend gemachten anderen Verfolgungsgefahren anzuhören und festzustellen, inwieweit diese auf dem gleichen Verfolgungsgrund im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beruhen wie seine Anerkennung. Hiervon dürfte vor allem bei einer an die Mitgliedschaft in der "Demokratischen Volkspartei" anknüpfenden Verfolgungsgefahr auszugehen sein. Denn der Kläger hat im Anerkennungsverfahren geltend gemacht, dass er sich schon vor seiner Ausreise für diese - damals in Opposition zum Regime Saddam Husseins stehende - Partei engagiert habe. Seine Anerkennung beruhte zwar nicht auf diesem Vorbringen, knüpfte aber an die wegen der Asylantragstellung von den irakischen Behörden vermutete Gegnerschaft gegen das damalige Regime und damit an den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung an. Sollte dem Kläger mit Blick auf sein Engagement für die "Demokratische Volkspartei" Verfolgung drohen, wäre dies daher schon im Rahmen der Prüfung nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG bei der Frage zu berücksichtigen, ob die festgestellte Veränderung der Umstände, nämlich die Beseitigung der Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins und die Etablierung einer neuen Regierung als Schutzakteur im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG hinreichend erheblich ist, um die Furcht des Klägers vor Verfolgung als nicht mehr begründet ansehen zu können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 98 f.). Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass dem Kläger zumindest in Teilen des Irak Verfolgung droht, müsste es schließlich auch die Voraussetzungen für eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG prüfen. [...]