VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 17.02.2011 - 4 A 1/10 - asyl.net: M18421
https://www.asyl.net/rsdb/M18421
Leitsatz:

Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen gelungener Integration in Deutschland (Realschulabschluss, Ausbildung).

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Achtung des Privatlebens, faktischer Inländer, Verwurzelung, Integration, tatsächlicher Schulbesuch, Ausbildung, Sicherung des Lebensunterhalts, Kosovo, Serbien
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, EMRK Art. 8
Auszüge:

[...]

Der Bescheid des Beklagten vom 09.12.2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beanspruchen, so dass der Beklagte unter Aufhebung seines Bescheides vom 09.12.2009 zu deren Erteilung zu verpflichten ist (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger kann sich auf eine Schutzwürdigkeit nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK als sog. faktischer Inländer berufen. Er unterfällt dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK, da er sich seit dem 08.09.2005 bis zur Ablehnung seines Verlängerungsantrages mit Bescheid vom 09.12.2009 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen ist. Die Versagung eines Aufenthaltstitels stellt einen i.S.d. Art. 8 Abs. 2 EMRK rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens dar, wenn der Ausländer - in der Regel erst aufgrund längeren Aufenthaltes in dem anderen Staat - über starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte zum Aufnahmestaat verfügt und damit zum faktischen Inländer geworden ist (vgl. EMGR, Urteil vom 16.06.2005, InfAuslR 2005, 309 f.). Dem Kläger ist nach diesen Maßstäben unter Berücksichtigung der gebotenen Einzelfallprüfung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -) vor Art. 8 EMRK nicht zuzumuten, sein Privatleben außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu begründen und fortzuführen. Das Gericht hält an seiner Einschätzung nach summarischer Prüfung an dem im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschluss vom 26.04.2010 - 4 B 60/10 - bzgl. der Integrationsleistungen und der Zukunftsprognose bzgl. des Klägers ausdrücklich nicht mehr fest. Der im Alter von 5 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Kläger hat erfolgreich die Schule besucht und insbesondere in Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthaltes im Februar 2008 seinen Realschulabschluss erlangt. Trotz dieses Schulabschlusses ist es dem Kläger im Anschluss daran wohl noch nicht gelungen, zeitnah einen Ausbildungsplatz bzw. eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Allerdings ist dem Kläger positiv anzurechnen, dass er sich trotzdem immer wieder um einen Ausbildungsplatz bzw. ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis bemüht und an einer berufsqualifizierenden Maßnahme teilgenommen hat. So hat der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben auch überlegt, wegen der schwierigen Ausbildungsplatz- und Arbeitssuche weiter die Schule zu besuchen und sein Abitur zu machen. Seine positiven Integrationsleistungen haben zwischenzeitlich jedoch seinen Erfolg gezeigt. So hat der Kläger zum 01.08.2010 eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer begonnen, die sehr erfolgreich verläuft. So hat er in kurzer Zeit den LKW-Führerschein der Klasse C und CE sowie den Busführerschein der Klasse D erworben und wird ihm guter Ausbildungsverlauf bescheinigt (vgl. die Bewertung seines Ausbildungsbetriebes vom 24.01.2011). Mit Blick auf diese Ausbildungssituation und die daraus folgenden positiven beruflichen Zukunftsperspektiven kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, dass er nach seinem Schulabschluss zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes vorübergehend auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen gewesen ist. Seit Juli 2010 nimmt der Kläger keine öffentlichen Sozialleistungen mehr in Anspruch und bestreitet seinen Lebensunterhalt mit seiner momentanen Ausbildungsvergütung und einer günstigen Wohnraumunterbringung. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die gelungene Integration des Klägers aufgrund seiner positiven beruflichen Entwicklung auch zukünftig uneingeschränkt seine Fortführung finden wird (insbesondere auch bzgl. einer höheren wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit). Dem Kläger ist auch eine gute soziale Integration in die örtlichen Verhältnisse gelungen. Er ist seit 1994 im ... Sportclub aktiv und dort als helfender Übungsleiter im Jugendbereich tätig. Daneben war er auch im Jugendzentrum ... aktiv und dort eine wertvolle Hilfe für das Kinder- und Jugendbüro der Samtgemeinde .... Unter Berücksichtigung und Würdigung des konkreten Falles des Klägers steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass eine vollständige Verwurzelung des Klägers in die hiesigen Lebensverhältnisse eingetreten ist und es ihm nicht mehr zugemutet werden kann, in das Kosovo oder nach Serbien zurückzukehren. Angesichts dessen lässt das Gericht dahinstehen, ob der Kläger daneben auch eine rückwirkende Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 oder 2 AufenthG bzw. deren Verlängerung über den 01.01.20100 hinaus beanspruchen könnte. [...]