VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 02.03.2011 - 11 K 4445/10.F - asyl.net: M18371
https://www.asyl.net/rsdb/M18371
Leitsatz:

Wenn die freiwillige Ausreise unmittelbar bevorsteht bzw. schon im Gange ist, darf eine Zurückschiebung nicht mehr erfolgen, denn sie wäre nicht mehr erforderlich und somit unverhältnismäßig. Die Wirkung der Zurückschiebung war daher wegen der rechtswidrigen Zurückschiebung vorliegend auf einen Tag zu befristen, denn das Einreiseverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG ist bloße Rechtsfolge einer vollzogenen Zurückschiebung und nicht deren Zweck (der Kläger befand sich nach einem EU-Binnenflug im Flughafentransitbereich und wurde von der Bundespolizei nach der Ausreisekontrolle nach Nigeria zurückgeschoben, obwohl er ohnehin dorthin ausreisen wollte).

Schlagwörter: Zurückschiebung, Bundespolizei, Befristung, Sperrwirkung, Einreisesperre, Schengen-Visum, Spanien, freiwillige Ausreise, Ermessen, Verhältnismäßigkeit, unerlaubte Einreise, Transitbereich,
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3, VwGO § 114 S. 1, AufenthG § 57 Abs. 1, AufenthG § 13
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist mit dem Hauptantrag begründet.

Die Verfügung der Beklagten vom 13.08.2010 und der Widerspruchsbescheid vom 11.11.2010, mit der das Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Bundesrepublik nach der Zurückschiebung des Klägers am 16.03.2010 bis zum 16.03.2012 befristet wurde, sind rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Wirkungen seiner Zurückschiebung bis zum 17.03.2010 befristet werden. [...]

Rechtsgrundlage für die Entscheidung über die Dauer der Frist hinsichtlich der Wirkung einer Zurückschiebung ist § 11 Abs 1 S. 3 AufenthG. Die Befristung einer Zurückschiebung ist danach eine Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde, die vom Gericht nach § 114 S. 1 VWGO nur eingeschränkt überprüft werden kann. Überprüft werden kann insoweit nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten sind, d.h. ob die Behörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausging, ob keine sachfremden Erwägungen angestellt wurden und ob die beiderseitigen Belange richtig gewichtet wurden.

Die Entscheidung der Beklagten, die Wirkung der Zurückschiebung auf zwei Jahre bis zum 16.03.2012 zu befristen, ist vorliegend rechtsfehlerhaft. Denn die Beklagte ging bei dieser Entscheidung davon aus, dass die Zurückschiebung rechtmäßigerweise erfolgt ist.

Tatsächlich erweist sich die Zurückschiebung des Klägers am 16.03.2010 jedoch als rechtswidrig. Dies hätte bei der Ermessensbetätigung jedenfalls insoweit einfließen müssen, dass eine Aufhebung der Wirkungen der Zurückschiebung hätte erfolgen müssen. Das Ermessen der Beklagten war insoweit reduziert, da eine rechtswidrige Zurückschiebung keine rechtlich nachteiligen weitergehenden Folgen für den betroffenen Ausländer rechtmäßigerweise haben darf.

Nach eingehender Überprüfung der Rechtslage ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zurückschiebung des Klägers am 16.03.2010 rechtswidrig gewesen ist.

Rechtsgrundlage für die Zurückschiebung ist § 57 Abs. 1 AufenthG Danach soll ein Ausländer, der unerlaubt eingereist ist, innerhalb von sechs Monaten nach dem Grenzübertritt zurückgeschoben werden.

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 AufenthG "soll" der Ausländer zurückgeschoben werden. Dies bedeutet, dass regelmäßig eine Zurückschiebung erfolgen muss, es sei denn, im konkreten Einzelfall liegt ein besonderer, eine Ausnahme rechtfertigender Umstand vor. Insoweit steht der Behörde ein Ermessensspielraum zu.

Abgesehen von der Frage, ob der Kläger, der offensichtlich den Transitbereich des Frankfurter Flughafens nicht verlassen hat, überhaupt im Sinne von § 57 Abs. 1 AufenthG eingereist ist bzw. ein Grenzübertritt vorliegt (vgl. § 13 AufenthG), ist im vorliegende Fall jedenfalls ein Ausnahmefall gegeben. Hierdurch war im Ergebnis das Ermessen der Behörde dahingehend reduziert, dass sie eine Zurückschiebung nicht hätte durchführen dürfen. Die Ausnahme ist im vorliegenden Fall darin begründet, dass der Kläger bei seinem Aufgreifen bereits selbst dabei war, seiner Verpflichtung zur Ausreise freiwillig nachzukommen.

Die Frage, ob bei einer feststehenden freiwilligen Ausreise eine Zurückschiebung erfolgen darf oder nicht, wird kontrovers beurteilt (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 15.07.2009 - 3 B 49/09 - (das die Frage offen gelassen hat), zitiert nach juris).

Das Gericht ist der Auffassung, dass eine Zurückschiebung in dem Fall, dass die freiwillige Ausreise unmittelbar bevorsteht bzw. schon im Gange ist, eine Zurückschiebung nicht mehr erfolgen darf, da die Zurückschiebung in diesem Fall nicht mehr verhältnismäßig, weil nicht erforderlich ist. Bei der Zurückschiebung, die eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung darstellt, ist generell der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und insbesondere dem Element der Erforderlichkeit Rechnung zu tragen. Danach kommt die Anwendung dieser Maßnahme nur dann in Betracht, wenn sie erforderlich ist, was nicht der Fall ist, wenn die Ausreise des Ausländers bereits unstreitig freiwillig erfolgt. Dies war hier der Fall, da der Kläger bei der Ausreisekontrolle seines gebuchten Fluges nach Lagos festgestellt wurde. Besteht - wie hier - kein Zweifel daran, dass der Ausländer freiwillig ausreist, dann ist aber eine Zurückschiebung nicht erforderlich und darf insoweit rechtmäßigerweise nicht erfolgen (Westphal in: Huber, AufenthG, Kommentar, 2010, § 57 Rz. 3; Westphal, Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 3. Auflage 2007, S. 562 ff.; VG München, Beschluss vom 22.11.2010 - M 10 K 10.185 -).

Demgegenüber kann die Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, dass in § 57 AufenthG nicht geregelt ist, dass eine (feststehende) freiwillige Ausreise einen Sonderfall darstellt, in dem von einer Zurückschiebung abzusehen ist. Denn es ist nicht erforderlich, dass dies ausdrücklich geregelt ist, da § 57 Abs. 1 AufenthG die Möglichkeit eröffnet, in bestimmten Fällen, je nach den Umständen des Einzelfalles, von der Zurückschiebung abzusehen und nach dem stets zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Fällen der feststehenden freiwilligen sofortigen Ausreise grundsätzlich eine Zurückschiebung nicht mehr erforderlich ist.

In diesen Fällen dient eine Zurückschiebung im Ergebnis letztlich nur dazu, die mit der Zurückschiebung verbundenen Rechtsfolgen, insbesondere das Einreiseverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG auszulösen. Das Einreiseverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG ist aber nach der Systematik und Intention des Gesetzes die bloße Rechtsfolge einer vollzogenen Zurückschiebung. Hingegen ist der Eintritt des Einreiseverbotes nicht der Zweck der Zurückschiebung selber und kann daher auch kein rechtfertigender Ermessensgrund für die Entscheidung über die Durchführung einer Zurückschiebung sein. Denn die Zurückschiebung dient der Beseitigung bzw. der Rückgängigmachung unerlaubter Einreisen. Dieser Zweck wird aber durch eine feststehende freiwillige Ausreise bereits erfüllt und in diesem Falle ist die Zurückschiebung nicht mehr notwendig. [...]