VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 15.02.2011 - 6 K 3708/09 - asyl.net: M18361
https://www.asyl.net/rsdb/M18361
Leitsatz:

1. Zieht die Ausländerbehörde bei einer Sammelabschiebung vorsorglich einen Arzt hinzu, können die dadurch entstandenen Kosten anteilig von den Abgeschobenen verlangt werden, auch wenn sie eine ärztliche Behandlung letztlich nicht benötigt haben.

2. Zu weiteren Abschiebungskosten (Flugkosten, Polizeikosten).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebungskosten, Sammelabschiebung, begleitete Abschiebung, Kosten, Kostenerstattung, Flugkosten, Personalkosten, Passersatz, Ermessen
Normen: AufenthG § 67 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 67 Abs 1, AufenthG § 66 Abs 1, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 67 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Leistungsbescheid über Abschiebungskosten in Höhe von 941,17 EUR ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Ermächtigungsgrundlage für den Leistungsbescheid ist § 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 67 Abs. 1 AufenthG. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebung hat das Gericht keine Bedenken. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Schriftsatz vom 19.08.2010 ausführt, es habe keine wirksame Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung vorgelegen, ist dem entgegenzuhalten, dass der VGH Baden-Württemberg durch Urteil vom 09.10.2000 - A 14 S 773/98 - das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29.11.1995 - A 8 K 15639/94 - geändert hat und u. a. die Klage der Klägerin gegen die Abschiebungsandrohung vom 30.06.1994 abgewiesen hat. Dieses Urteil ist seit 17.11.2000 rechtskräftig.

§ 66 Abs. 1 AufenthG bestimmt, dass der Ausländer die Kosten der Abschiebung zu tragen hat. Unerheblich ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung, ob der Abgeschobene bei seiner Abschiebung volljährig oder minderjährig war. Mithin ist die Klägerin richtige Adressatin des Leistungsbescheides. Ihre Eltern leben ohnehin im Kosovo und können daher nicht zu den Abschiebungskosten herangezogen werden.

Auch die Höhe der von der Klägerin verlangten Abschiebungskosten ist rechtlich nicht zu beanstanden; ein Verstoß gegen § 67 Abs. 1 AufenthG liegt nicht vor.

Die entstandenen Flugkosten wurden vom Beklagten ordnungsgemäß und ausreichend belegt. Sie können von der Klägerin nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG anteilig verlangt werden. Aus dem "Bearbeitungsblatt/Vollzug", welches die Vertreterin des Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat, aus der Bestätigung der Macedonian Airlines sowie der Rechnung dieser Fluggesellschaft ergibt sich, dass der Flug am 02.08.2005 nach Pristina stattgefunden hat. Der Beklagte hat darüber hinaus eine Liste vorgelegt, aus der sich ergibt, dass für den 02.08.2005 ursprünglich 66 Personen zur Abschiebung vorgesehen waren; nach den Angaben der Vertreterin des Regierungspräsidiums Karlsruhe hatten zudem andere Regierungspräsidien weitere abzuschiebende Personen gemeldet. Von den 66 gemeldeten Personen konnten bei weitem nicht alle abgeschoben werden, wie sich aus dem Status der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Liste ergibt. Dies hält das Gericht für ohne weiteres nachvollziehbar und glaubhaft, weil es aus seiner langjährigen Erfahrung mit Sammelabschiebungsfällen weiß, dass Abzuschiebende oft nicht auffindbar sind, dass kurzfristig Asylfolgeanträge gestellt werden oder dass Personen wegen Krankheit oder sonstiger privater Gründen nicht abgeschoben werden können. Dass insgesamt 46 Personen in Pristina angekommen sind, ergibt sich aus der Mail des German Liaison Office Pristina vom 03.08.2005 (S. 83 der Gerichtsakte).

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass vom Regierungspräsidium Karlsruhe ein Flugzeug mit 144 Sitzplätzen gechartert worden ist, denn es stand bei der Erteilung des Auftrages an die Fluggesellschaft noch nicht fest, wie viele Personen, die zur Abschiebung anstanden, auch tatsächlich abgeschoben werden konnten. Wie die Vertreterin des Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung überzeugend erklärt hat, schwankt die Zahl der "Ausfälle" von Flug zu Flug beträchtlich, so dass es einer sinnvollen Planung entsprach, von der Zahl der voraussichtlich Abzuschiebenden auszugehen. Wenn demgegenüber der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einwendet, das Regierungspräsidium hätte erst ermitteln müssen, wie viele Personen tatsächlich abgeschoben werden könnten, um dann eine entsprechende Maschine zu ordern, ist dies weltfremd, da es erst kurz vor Start des Flugzeuges endgültig feststeht, wie viele Personen tatsächlich an Bord gehen können, die Planungen für eine Sammelabschiebung aber beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen, zumal wenn die Ausländerbehörden verschiedener Bundesländer sich an der Maßnahme beteiligen. Unter diesen Umständen erscheint ein Flugzeug mit 144 Sitzplätzen nicht überdimensioniert, selbst wenn letztlich viel weniger Plätze benötigt worden sind.

Rechtlich unerheblich ist es auch, dass die Maschine nicht nur Pristina im Kosovo anflog, sondern dass eine Person auch nach Skopje in Mazedonien befördert wurde. Die Vertreterin des Regierungspräsidiums Karlsruhe hat in der mündlichen Verhandlung dazu einleuchtend dargelegt, dass das beste Angebot unter verschiedenen Angeboten ausgesucht worden ist, und dies war eben das Angebot der Macedonian Airlines zu einem Pauschalpreis, der unabhängig davon galt, dass neben Pristina auch Skopje angeflogen wurde, zumal der Heimatflughafen der Macedonian Airlines Skopje ist. Es hätte der Klägerin nichts genutzt, wenn das Regierungspräsidium Karlsruhe eine Fluggesellschaft beauftragt hätte, die zwar nur Pristina angeflogen hätte, dafür aber einen höheren Preis verlangt hätte.

Erforderlich war auch die Begleitung der abzuschiebenden Personen auf dem Flug durch einen Arzt, was laut Rechnung der Fluggesellschaft vom 03.08.2005 200,00 EUR gekostet hat. Diese Kosten können gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG anteilmäßig verlangt werden, da es sich um Kosten für die "sonstige Versorgung des Ausländers" handelt. Rechtlich unerheblich ist dabei, dass die Klägerin letztlich keine ärztliche Behandlung benötigte. Eine Abschiebung bedeutet nämlich stets eine erhebliche Stresssituation für die Betroffenen, bei der es z. B. zu Kreislaufschwächen oder Panikattacken kommen kann. Es entspricht daher einer verantwortungsvollen, menschenwürdigen Verwaltungspraxis, dass bei Sammelabschiebungen ein Arzt hinzugezogen wird, der im Notfall eingreifen kann. Wie die Vertreterin des Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, sind die Ausländerbehörden bei Sammelabschiebungen durch Verwaltungsvorschrift sogar dazu verpflichtet, einen Arzt bereitzustellen.

Dieselbe Erwägung gilt auch für die Arztkosten in Höhe von 715,32 EUR (anteilig 15,22 EUR), die für die ärztliche Betreuung am Baden-Airpark bis zum Abflug entstanden sind (vgl. Rechnung von Dr. B. vom 02.08.2005).

Die Kosten für die "Security" konnten anteilig gemäß § 67 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 AufenthG verlangt werden; hiergegen wendet sich die Klägerin auch nicht substantiiert.

Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin konnten anteilig auch die Kosten der Polizeidirektion L. und des Polizeireviers B. in Höhe von 240,72 EUR bzw. 61,45 EUR verlangt werden. Rechtliche Grundlagen hierfür ist § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, wobei hinsichtlich der Berechnung der Personalkosten die allgemeinen Grundsätze zur Berechnung von Personalkosten der öffentlichen Hand gelten (§ 67 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Der Beklagte hat aufgrund der durch das Gericht erlassenen Aufklärungsverfügung sorgfältig und überzeugend belegt, dass und welche Kosten insoweit entstanden sind (vgl. Anlagen zum Schriftsatz des Beklagten vom 29.12.2010). Die Einwendungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin dagegen gehen fehl. Es ist zu berücksichtigen, dass von der Abschiebegruppe L. insgesamt 23 Personen nach Söllingen transportiert worden sind, wobei zunächst noch ein Transport der Klägerin und ihrer Familie von B. nach L. durchgeführt werden musste. Angesichts dieser Aufgaben ist die Anzahl der insgesamt eingesetzten Beamten nicht zu hoch. Bei den eingesetzten Fahrzeugen ist auch zu berücksichtigen, dass die abzuschiebenden Personen häufig umfangreiches Gepäck mit sich führen, das ebenfalls transportiert werden muss.

Schließlich hat die Vertreterin des Beklagten auch einleuchtend erklärt, dass es im Vollzugsdienst, der mit der Abschiebung befasst sei, ausschließlich Beamte gebe, also keine Angestellten des öffentlichen Dienstes.

Die Kosten für die Beschaffung des Passersatzpapiers in Höhe von 20,00 EUR wurden seitens der Klägerin nicht bestritten; auch das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Kosten unrichtig angesetzt wären.

Der Leistungsbescheid leidet auch nicht an Ermessensfehlern. Im Regelfall ist der Verpflichtete zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es entsprechender Ermessenserwägungen bedürfte (vgl. BayVGH, Urt. v. 15.12.2003 - 24 B 03.1049 -, InfAuslR 2004, 252). Es wurde weder vorgetragen noch ist es für das Gericht ersichtlich, dass hier ein Ausnahmefall vorläge, welcher das Regierungspräsidium veranlasst haben müsste, vom Erlass eines Leistungsbescheides abzusehen. Das Alter der Abgeschobenen spielt, wie bereits ausgeführt wurde, rechtlich keine Rolle. Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin wurden durch Stundung der Forderung berücksichtigt. Auch das Auswahlermessen hinsichtlich des Adressaten des Bescheides wurde fehlerfrei ausgeübt. [...]