VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Beschluss vom 15.03.2011 - 4 L 316/11.DA.A(1) - asyl.net: M18357
https://www.asyl.net/rsdb/M18357
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Malta. Das Gericht hat berechtigte Zweifel, ob Malta noch die hinreichende Gewähr dafür bietet, dass Asylsuchende nicht von individueller Gefährdung bedroht sind.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Malta, einstweilige Anordnung, Zustellung, Konzept der normativen Vergewisserung, sichere Drittstaaten
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VwGO § 123 Abs. 1, AsylVfG § 31 Abs. 1 S. 4
Auszüge:

[...]

Unter Berücksichtigung des durch eidesstaatliche Versicherung vom 24. September 2010 bekräftigten Vorbringens des Antragstellers einerseits und der damit korrespondierenden allgemein bekannten Informationen zu der tatsächlichen Ausgestaltung des Asyl- und Flüchtlingsschutzes in Malta andererseits, insbesondere bezogen auf die humanitäre, vor allem wirtschaftliche, gesundheitliche und Wohnungssituation der auf Malta schutzsuchenden Drittstaatsangehörigen (vgl. u.a. Hannah Wadle, "Die Zeit", Ausg, v. 10. November 2010: "Sie gehen ihren Weg"; Fanny Dethloff, "WAR-Bulletin Ausg. 4/2009, S. 247; Andreas Meißner, "die zeitung - terre des hommes", Ausg. 3. Quartal 2010: "Die Situation von Flüchtlingskindern auf Malta"; Dominik Bender/Maria Bethke, "ASYLMAGAZIN", Ausg. 7-8/2010, S. 235) bestehen bei dem Gericht berechtigte Zweifel daran, ob der Staat Malta noch die hinreichende Gewähr dafür bietet, dass Ausländer wie etwa der Antragsteller, die dort einen Asyl- oder Schutzantrag gestellt haben, nicht von individueller Gefährdung bedroht sind. Hier ist nach allem in Betracht zu ziehen, dass sich Malta seiner in völkerrechtlichen Verträgen wie der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 685) oder des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559) eingegangenen Verpflichtungen gelöst hat und einem bestimmten Ausländer den Schutz dadurch verweigert, dass sich Malta seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen will oder nicht willens oder in der Lage ist, ihm gegenüber die vereinbarten europaweiten Mindeststandards zu gewährleisten.

Im Hinblick darauf kann dem Antragsteller deshalb der begehrte vorläufige Rechtsschutz nicht [von] vornherein unter Hinweis auf die Rechtsvorschrift des § 34a Abs. 2 AsylVfG verwehrt werden, ohne dadurch seine Grund- und Menschenrechte zu verletzen.

Der zureichende Grund für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung liegt darin, dass die Antragsgegnerin ihren Bescheid vom 1. Februar 2011, 5 435 326-273, mit dem sie den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig bewertet und die Abschiebung nach Malta anordnet, bereits der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde des Landkreises Bergstraße zur Zustellung an den Antragsteller nach § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG - "so weit möglich erst am Überstellungstag" - zugeleitet hat.

Der Antragsteller kann sich ferner auf den erforderlichen Anordnungsanspruch stützen. Das substantiierte und glaubhaft gemachte Vorbringen des Antragstellers, insbesondere .seine Schilderungen über die von ihm erlebten Zustände im maltesischen Asyl-/Schutzverfahren, die im allgemeinen von den oben (S. 3) genannten Erkenntnismitteln gestützt werden, lassen starke Zweifel daran aufkommen, dass sein Asyl- oder Schutzbegehren in Malta nach dem genannten (s.o. S. 3) normativen Vergewisserungskonzept in Übereinstimmung mit den einschlägigen europarechtlichen Konventionen bearbeitet und entschieden wird. Es sprechen gewichtige Aspekte und Gegebenheiten dafür, dass - jedenfalls der Antragsteller - nicht mehr von dem normativen Vergewisserungskonzept erfasst wird. Nicht nur das von ihm detailreich geschilderte und glaubhaft gemachte eigene Schicksal als Flüchtling auf Malta, sondern auch die zahlreichen Beschreibungen der dortigen Zustände, wie sie den oben (S. 3) bezeichneten Publikationen und allgemein bekannten Mediendarstellungen zu entnehmen sind, belegen dies zu der für das Eilverfahren gebotenen Erkenntnis des Gerichts ausreichend und deutlich.

Im Hinblick darauf dass hier insgesamt tatsächlich und rechtlich schwierige Fragen aufgeworfen sind, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend beantwortet werden können, muss die umfassende Prüfung, ob dem Antragsteller letztlich Schutz vor der angeordneten Abschiebung nach Malta zu gewähren ist, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. [...]