VG München

Merkliste
Zitieren als:
VG München, Beschluss vom 25.02.2011 - M 11 E 11.30120 - asyl.net: M18313
https://www.asyl.net/rsdb/M18313
Leitsatz:

Ablehnung eines Eilantrags einer unbegleiteten Minderjährigen gegen eine Dublin-Überstellung nach Italien. Es kommt nicht darauf an, ob die Antragstellerin einen nach italienischem Recht wirksamen förmlichen Asylantrag gestellt hatte. Es ist auch nicht glaubhaft, dass Italien generell fehlerhaft in das Eurodac-System die Stellung eines Asylantrags einträgt, obwohl tatsächlich nur subsidiärer Schutz beantragt wurde.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Italien, unbegleitete Minderjährige, Vormundschaft, Somalia, Schweden, subsidiärer Schutz, Aufenthaltserlaubnis, Obdachlosigkeit, medizinische Versorgung, TBC, Asylantrag, sichere Drittstaaten, Konzept der normativen Vergewisserung, Asylgesuch, Handlungsfähigkeit,
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 16 Abs. 1 Bst. c, VO 343/2003 Art. 6, VO 343/2003 Art. 4 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 2 Bst. c, VO 343/2003 Art. 4 Abs. 2, VO 343/2003 Art. 6 S. 2, AsylVfG § 13, AsylVfG § 14, AsylVfG § 12
Auszüge:

[...]

Der von der Antragstellerin beim Bundesamt gestellte Asylantrag ist kraft Gesetzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG unzulässig, denn die nach Maßgabe des § 34a Abs. 1 AsylVfG vom Bundesamt angeordnete Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) darf nicht nach § 80 VwGO oder § 123 VwGO ausgesetzt werden.

§ 34a AsylVfG setzt nicht zwingend voraus, dass die Rückführung auch in denselben sicheren Drittstatt erfolgt, aus dem die Betreffenden eingereist sind (Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Fritz/Vormeier, Bd. 2, § 34a RdNr. 6). Die Antragstellerin reiste von Schweden nach Deutschland und soll nach Italien zurück überführt werden. Zwar beruht der Bescheid des Bundesamtes auf § 34a i.V.m § 27a AsylVfG, es wäre aber wohl auch § 34a i.V.m. § 26a AsylVfG einschlägig gewesen.

Sowohl Schweden als auch Italien sind als Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bereits kraft Gesetzes sichere Drittstaaten (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 und 2 AsylVfG). Es liegt auch keine Ausnahmefall vor, in dem nach der Rechtsprechung unbeschadet der Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gleichwohl in Betracht kommen könne (BVerfGE 94, 49 ff.). Trotz der Schwierigkeiten in Italien im Hinblick auf die überlastete Aufnahmekapazität besteht kein Anlass zur Annahme, Italien sei kein sicherer Drittstaat mehr oder gewähre dem Antragsteller keinen Schutz nach Maßgabe des einschlägigen Gemeinschaftsrechts.

Wie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Bescheid vom 23. November 2010, zugestellt am 25. Januar 2011, zutreffend dargestellt, ist der Asylantrag nach § 27a AsylVfG unzulässig. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist nach § 27a AsylVfG i.V.m. der Dublin-II-VO zuständig. Italien hat mit Schreiben vom 28. Oktober 2010 seine Zuständigkeit auch bejaht und einer Rücküberstellung zugestimmt.

Die Vorschriften über die Zuständigkeitsbestimmung (Kapitel II. und III. der Dublin-II-VO) dienen der raschen Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedsstaates mit dem Ziel der zügigen Bearbeitung des Antrags und damit dem Interesse des Asylbewerbers. Demnach wird der Antrag nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Dublin-II-VO von einem einzigen Mitgliedsstaat geprüft. Die Bestimmungen begründen jedoch kein schutzwürdiges subjektives Recht des Asylbewerbers, dass sein Asylantrag im zuständigen - nicht etwa in einem anderen - Mitgliedsstaat geprüft wird, da in allen Mitgliedsstaaten ein gleichwertiges Asylverfahren besteht (Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Fritz/Vormeier, Bd. 2, § 27a RdNr. 30, 123 ff.).

Nach Art. 4 Abs. 1 der Dublin-II-VO wird das Verfahren zur Bestimmung des gemäß dieser Verordnung zuständigen Mitgliedstaates eingeleitet, sobald ein Asylantrag erstmals in einem Mitgliedsstaat gestellt wurde. Als Asylantrag gilt demnach nach Art. 2 c der VO der von einem Drittstaatenangehörigen gestellte Antrag, der als Ersuchen um Internationalen Schutz eines Mitgliedsstaates im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention angesehen werden kann. [...]

Nach Art. 6 Satz 2 der Verordnung ist die Antragstellerin unbegleitete Minderjährige, so dass der Mitgliedsstaat zuständig ist, in dem sie ihren Asylantrag gestellt hat und zwar nach Art. 5 Abs. 2 zum ersten Mal. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Antragstellerin, kommt es dabei nicht darauf an, ob sie einen nach italienischem Recht wirksamen förmlichen Asylantrag in Italien gestellt hat.

Nach deutschem Recht ist bereits eine entsprechende Willensäußerung im Sinne des Art. 2 c der Dublin-II-VO gegeben, wenn ein Minderjähriger einen zu beachtenden Asylantrag im Sinne eines Asylersuchens nach § 13 AsylVfG gestellt hat. Der Minderjährige ist demnach an die zuständigen Aufnahmeeinrichtungen weiterzuleiten (Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Fritz/Vormeier, Bd. 2, § 13 RdNr. 24 ff.). Erst hinsichtlich der Stellung eines förmlichen Asylantrags nach § 14 AsylVfG spielt die Handlungsfähigkeit (§ 12 AsyIVfG) eine Rolle.

Selbst wenn mangels Vormundes kein nach italienischem Recht wirksamer förmlicher Asylantrag gestellt wurde, so hat die Antragstellerin nach ihren Aussagen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 04. Oktober 2010 dort zumindest ein Asylersuchen auf internationalen Schutz eines Mitgliedsstaates nach der Genfer Flüchtlingskonvention gestellt. Die Antragstellerin hat daher in Italien erstmals einen Asylantrag im Sinne von Art 2 c der Dublin-II-VO gestellt, wodurch Italien zuständig wurde (Art. 6 Satz 2 i.V.m. Art 5 Absatz 2).

Die Antragstellerin gibt in der Anhörung vom 04. Oktober 2010 selbst an, dass sie auch in Schweden und in Finnland Asylanträge gestellt hat. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte sie ebenfalls einen Asylantrag. Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass die Antragstellerin in Italien über ihre Rechte vor der Asylantragstellung hätte belehrt werden müssen, dass sie auch nur subsidiären Schutz hätte beantragen können, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt im März 2009 nicht ersichtlich, weswegen ein solche Belehrung, so sie nicht erfolgt sein sollte, damals dazu hätte führen sollen, dass sie anders als in den anderen Ländern nur subsidiären Schutz und keinen Asylantrag hätte stellen sollen.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Antrages im Jahre 2009 (Art. 5 Abs. 2 der Verordnung) hätte ein Vormund damals auch nur einen Asylantrag in Italien stellen können, da sich die Minderjährige zu diesem Zeitpunkt in Italien befand. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum der Vormund damals keinen Asylantrag, sondern nur einen subsidiären Schutzantrag in Italien hätte stellen sollen. Auch darin zeigt sich, dass es für das Vorliegen eines Asylantrages nach Art. 2 c der Verordnung nicht darauf ankommen kann, dass der Minderjährige zuerst einen Vormund erhält, der dann erst wirksam einen Antrag stellen kann, um die Zuständigkeit des Staates zu begründen und dem Antragsteller Schutz zu gewähren. Gerade unbegleitete Minderjährige bedürfen besonderen Schutzes, sie wären ansonsten schlechter gestellt als Volljährige, wenn sie zunächst das Verfahren der Vormundschaftsbestellung abwarten müssten, um wirksam Asyl nach Art. 2 c Dublin-II-VO beantragen und Schutz erhalten zu können.

Im Übrigen ist auch nicht glaubhaft, dass Italien generell fehlerhaft in das Eurodac-System die Stellung eines Asylantrags einträgt, obwohl tatsächlich nur subsidiärer Schutz beantragt wurde. [...]