VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 13.12.2010 - 11 A 270/10 - asyl.net: M18302
https://www.asyl.net/rsdb/M18302
Leitsatz:

Die in § 40c StAG vorgesehene tatbestandliche Rückanknüpfung ist jedenfalls insoweit verfassungsgemäß, als es um Einbürgerungsanträge geht, die nach dem 14. Juni 2007 gestellt wurden.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einbürgerung, Rückwirkung, Straftat, Ermessen, besondere Härte
Normen: StAG § 40c, StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, StAG § 12a Abs. 1
Auszüge:

[...]

Eine Einbürgerung nach § 10 StAG setzt gem. Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 dieser Vorschrift voraus, dass der Einbürgerungsbewerber nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden ist. Dabei bleiben nach § 12a Abs. 1 Satz 1 StAG Verurteilungen zu Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen sowie zu Freiheitsstrafen bis zu 3 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden sind, außer Betracht. [...]

Berücksichtigt man, dass die Verurteilung vom 8. September 1987 in die mit Urteil vom 21. Oktober 1987 gebildete Gesamtgeldstrafe einbezogen wurde, so wurde der Kläger hier zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung von 2 Monaten, die inzwischen erlassen worden ist, sowie zu Geldstrafen von insgesamt 440 Tagessätzen verurteilt. Nach der Zusammenrechnungsregel des § 12a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 StAG ergibt dies eine fiktive Freiheitsstrafe von 500 Tagen auf Bewährung. Dies überschreitet den nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG zulässigen Rahmen von 3 Monaten um mehr als das fünffache. Da eine solche Überschreitung nicht mehr "geringfügig" ist, kann sie auch nicht gem. § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG nach Ermessen außer Acht gelassen werden.

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den § 12a StAG in der seit dem 28. August 2007 gültigen Fassung angewandt hat, und nicht die zuvor gültige Gesetzesfassung, nach der die Straftaten des Klägers einer Einbürgerung nicht entgegenstanden hätten, weil keine einzelne Verurteilung über 180 Tagessätzen bzw. 6 Monaten Freiheitsstrafe lag. Der Kläger hat seinen Einbürgerungsantrag am 9. Juli 2007 gestellt. Die Übergangsvorschrift des § 40c StAG sieht vor, dass nur bis zum 30. März 2007 gestellte Anträge weiter nach der alten Gesetzesfassung zu bescheiden sind. Dies ist verfassungsrechtlich jedenfalls insoweit nicht zu beanstanden als es - wie hier - um Einbürgerungsanträge geht, die nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestages am 14. Juni 2007 gestellt wurden. Eine Vorlage des § 40c StAG an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 GG ist daher nicht geboten.

Es ist grundsätzlich zulässig, dass der Gesetzgeber Gesetze erlässt, die sich auf im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits begonnene, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte (hier: das laufende Einbürgerungsverfahren) nachteilig auswirken und damit zugleich die betroffenen Rechtspositionen nachträglich entwerten (vgl. st. Rspr. des BVerfG, vgl. nur Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, BVerfGE 101, 239 263>; Jarass, in: ders./ Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 20 Rn. 69, 73; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, GG, 11. Aufl., Art. 20 Rn. 78, alle m.w.N.; so genannte "unechte Rückwirkung" oder "tatbestandliche Rückanknüpfung"). Nur bei besonderen Vertrauenstatbeständen darf der Bürger erwarten, dass die Gesetzeslage unverändert bleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, BVerfGE 101, 239 263>; BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2000 - 11 C 8.99 - zitiert nach juris; Jarass, aaO., Art. 20 Rn. 74).

Dass im vorliegenden Fall ein solcher besonderer Vertrauenstatbestand gegeben ist, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Der Kläger hat nicht vorgetragen und es ist auch nicht aus anderen Gründen ersichtlich, dass er irgendwelche gewichtigen und unumkehrbaren Dispositionen im Vertrauen auf die Beibehaltung der Rechtslage getroffen hätte. Als eine solche Disposition käme etwa in Betracht, dass er im Vertrauen auf die erwartete Einbürgerung seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt. [...]

Ein Vertrauen auf eine Einbürgerung wäre hier überdies selbst im Zeitpunkt der Stellung des Einbürgerungsantrags schon nicht mehr schutzwürdig gewesen. Als der Kläger seinen Einbürgerungsantrag am 9. Juli 2007 stellte, hatte der Bundestag bereits am 14. Juni 2007 das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, in dem die Verschärfungen des § 12a StAG enthalten waren, beschlossen. Schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung kann aber in zeitlicher Hinsicht nur bis zum Gesetzesbeschluss des Bundestages über deren Änderung bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1971 - 2 BvL 6/70 - BVerfGE 31, 222 227>; Jarass, aaO., Art. 20 Rn. 74). Da der Kläger seinen Einbürgerungsantrag nach diesem Zeitpunkt gestellt hat, musste von Anfang an damit rechnen, dass die Behörde nicht mehr nach altem Recht entscheiden wird. Verfassungsrechtlich problematisch könnte die Regelung des § 40c StAG allenfalls in jenen Fällen sein, in denen der Einbürgerungsantrag zwischen dem 1. April und dem Gesetzesbeschluss des Bundestages am 14. Juni 2007 gestellt wurde. Denn allein das Bekanntwerden des Gesetzentwurfs, auf das § 40c StAG abstellt (vgl. BT-Drs. 16/5654, S. 26), reicht noch nicht per se aus, um Vertrauensschutz auszuschließen (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1971 - 2 BvL 6/70 - BVerfGE 31, 222 227>; a. A. VG Darmstadt, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 5 K 1079/08.DA -, juris Rn. 35 f.).

Eine "echte Rückwirkung", die verfassungsrechtlich in der Regel unzulässig ist, sieht § 40c StAG entgegen der Ansicht des Klägers nicht vor (so auch VG Darmstadt, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 5 K 1079/08.DA -, juris Rn. 34). Eine echte Rückwirkung liegt nur vor, wenn ein Gesetz nachträglich in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingreift (BVerfG, Urteil vom 27. September 2005 - 2 BvR 1387/02 -, BVerfGE 114, 258 300>; Jarass, aaO., Art. 20 Rn. 68). Der von der Rückwirkung betroffene Tatbestand muss vor der Verkündung des Gesetzes nicht nur begonnen haben, sondern bereits abgewickelt gewesen sein (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1993 - 1 BvR 133/89 -, BVerfGE 89, 48 66>; Jarass, aaO. Art. 20 Rn. 68). Hier hatte der Einbürgerungsvorgang bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 28. August 2007 zwar schon begonnen, da der Kläger den Einbürgerungsantrag bereits gestellt hatte, er war aber noch nicht durch den Erlass eines (ablehnenden oder zusprechenden) Bescheides abgeschlossen worden.

Ein Einbürgerungsanspruch nach §§ 8, 9 StAG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Es fehlt insofern jedenfalls an der Voraussetzung des § 9 Abs. 1 StAG i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG, denn der Kläger wurde bereits mehrfach wegen rechtswidriger Taten zu Strafen verurteilt. Diese können - wie oben ausgeführt - nach der hier anzuwendenden Fassung des § 12a StAG auch nicht außer Betracht bleiben. Ein Absehen von der Erfüllung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG nach Abs. 2 dieser Vorschrift ist hier ebenfalls nicht möglich. Ein solches Absehen nach Ermessen würde voraussetzen, dass hierdurch eine besondere Härte vermieden wird. Eine besondere Härte liegt vor, wenn es den Betroffenen unter Berücksichtigung aller persönlichen Umstände erheblich stärker als andere treffen würde, dass die Einbürgerung versagt wird (vgl. Marcks, in: GK-StAG, § 8 Rdnr. 107.11). Dies ist in Fällen anzunehmen, in denen die Unbilligkeit der Verweigerung der Einbürgerung besonders ins Auge fällt. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation gehört hierzu nicht. Zwar mag die Verweigerung der Einbürgerung für den Kläger beruflich ein schwerer Nachteil sein und vielleicht sogar zum Verlust seines Arbeitsplatzes führen. Dies ist aber letztendlich nur eine Folge der vielen vorsätzlichen Straftaten, die der Kläger in den letzten 23 Jahren immer wieder begangen hat. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Begehung aller derzeit im Bundeszentralregister eingetragenen Straftaten Erwachsener und muss sich daher des Unrechts seines Tuns sowie des Umstandes, dass dies schwerwiegende Folgen haben kann, bewusst gewesen sein. Er hat sich durch die ersten Verurteilungen nicht nachhaltig zur Rechtstreue bewegen lassen sondern ist immer wieder erneut straffällig geworden. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Taten aus einer besonderen Notsituation heraus begangen wurden, die sie in einem deutlich milderen Licht als eine "gewöhnliche" Straftat erscheinen lassen.