OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 06.12.2010 - 8 PA 257/10 - asyl.net: M18300
https://www.asyl.net/rsdb/M18300
Leitsatz:

Zur Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen.

Schlagwörter: Gemeinschaftsunterkunft, Unterbringung, räumliche Beschränkung, Ermessen
Normen: VwVfG § 51, AufenthG § 46 Abs. 1, AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2, AsylVfG § 54, AsylVfG § 56 Abs. 3, AufenthG § 61 Abs. 1 S. 3
Auszüge:

[...]

Nach Beendigung des Asylverfahrens und der Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG kann die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft auf der Grundlage des § 46 Abs. 1 AufenthG (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 5.6.2007 - 24 CS 07.1014 -, juris Rn. 8; Nr. 46.1.4.4 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26. Oktober 2009, GMBl. S. 877) oder des § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 29.11.2007 - 2 L 223/06 -, juris Rn. 31; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19.11.2003 - 10 B 11432/03 -, InfAuslR 2004, 255, 256 f. (zu § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG); Nr. 61.1.2 AVwV AufenthG) begründet werden (vgl. zu dem während des laufenden Asylverfahrens eröffneten Anwendungsbereich des § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG: Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 60 Rn. 1 ff. m.w.N.).

Hier hat die Beklagte ihre Verfügung zutreffend auf die Rechtsgrundlage des § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gestützt.

Nach dieser Bestimmung können über die sich bereits aus § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ergebende räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers auf das Gebiet des Landes hinaus weitere Bedingungen und Auflagen angeordnet werden. Dies umfasst die Befugnis zur Anordnung der Verpflichtung des Ausländers, in einer bestimmten Gemeinde oder in einer bestimmten Unterkunft zu wohnen (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 17.3.2010 - 19 C 09.2583 -, juris Rn. 11; GK-AufenthG, Stand: September 2010, § 61 Rn. 37; Nr. 61.1.2 AVwV AufenthG).

Voraussetzung für den Erlass einer solchen Anordnung ist, dass sie im Einzelfall ihre Rechtfertigung in dem Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie findet. Sie muss aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen und in diesem Sinne sachgerecht sein, darf also nicht im Widerspruch zum Zweck des Aufenthaltstitels oder der Duldung stehen. Zudem muss sie die verfassungsrechtlichen Vorgaben wahren, was insbesondere dann nicht mehr der Fall ist, wenn die Unterbringung unter menschenunwürdigen Umständen erfolgt, zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt, vorrangig Sanktionscharakter hat oder sich als rein schikanös darstellt. Diese - die frühere Rechtslage - betreffende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 19.3.1996 - 1 C 34.93 -, BVerwGE 100, 335, 340 ff.; Urt. v. 15.12.1981 - 1 C 145.80 -, BVerwGE 64, 285, 288 m.w.N.) ist im Grundsatz nach wie vor gültig (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 17.3.2010 - 19 C 09.2583 -, juris Rn. 12; GK-AufenthG, a.a.O., § 61 Rn. 35.1.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2010, AufenthG, § 61 Rn. 12 jeweils m.w.N.).

Innerhalb dieser Grenzen hält sich die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung.

Die Beklagte ist zutreffend von dem auch gesetzlich in §§ 54, 56 Abs. 3 AsylVfG fixierten Grundsatz ausgegangen, dass ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer auch nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens dazu verpflichtet ist, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen und keinen Anspruch darauf hat, außerhalb dieser untergebracht zu werden (vgl. Hailbronner, a.a.O.; Nr. 3.3.4 Abs. 2 Satz 2 Anwendungshinweise des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport zum Asylverfahrensgesetz und zu § 15 a des Aufenthaltsgesetzes, RdErl. d. MI v. 7.2.2005, Nds. MBl. S. 206, zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 14.10.2005, Nds. MBl. S. 838). Dies gilt insbesondere, wenn die Abschiebung des Ausländers, wie im vorliegenden Fall die der Kläger, bereits eingeleitet ist und nach Vorliegen der bereits angeforderten Rückübernahmeerklärung unverzüglich vollzogen werden wird. In einer solchen Situation dient die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft auch der Sicherung der Erfüllung und der Förderung der gesetzlichen Ausreisepflicht, der die Kläger freiwillig bisher nicht nachgekommen sind. Zudem wird es den Klägern, die bisher die Passpflicht nach § 3 AufenthG nicht erfüllen und an der Beschaffung von Pässen auch nicht in der gebotenen Weise mitwirken, erschwert, sich der bevorstehenden Abschiebung durch ein Untertauchen zu entziehen. Insoweit ist die Unterbringung auch ein milderes Mittel gegenüber der Abschiebungshaft. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Kläger zu 1. und 2. bei der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder offenbar der Hilfe Dritte bedürfen und ihnen diese notwendige Hilfe in der Gemeinschaftsunterkunft gewährt wird. So hat der Gesundheitsdienst des Landkreises und der Stadt D. mit Schreiben vom 24. März 2009 (Bl. 40 Beiakte E) ausdrücklich Bedenken erhoben, die Kläger außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft unterzubringen, da dort nicht sichergestellt sei, dass die Kläger zu 1. und 2. für ihren Haushalt und den Schulbesuch ihrer Kinder hinreichend Sorge tragen. In der Gemeinschaftsunterkunft werden die Kläger hierin unterstützt, etwa durch die dort gewährte Hausaufgabenhilfe, die medizinische Betreuung der Johanniter Unfallhilfe und die Betreuung durch die Sozialpädagogin E.. Die Mitarbeiter der Gemeinschaftsunterkunft leisten damit entsprechend ihrer Aufgabenstellung (vgl. Nr. 61.2 AVwV AufenthG) die hier offensichtlich gebotene intensive psychosoziale Betreuung der Kläger, die so bei deren Unterbringung außerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft nicht gewährleistet wäre.

Dass daneben in der Gemeinschaftsunterkunft zugleich auf eine freiwillige Ausreise hingewirkt wird, begründet entgegen der Auffassung der Kläger keinen Anhaltspunkt für einen reinen Sanktionscharakter der verfügten Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft. Denn die Förderung der freiwilligen Erfüllung gesetzlicher Pflichten, hier der vollziehbaren Ausreisepflicht, ist ein legitimes Ziel der angeordneten Verpflichtung des Ausländers, seinen Wohnsitz in einer Gemeinschaftsunterkunft zu nehmen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19.11.2003, a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 29.11.2007 -2 L 223/06 -, juris Rn. 33; Nr. 61.2 AVwV AufenthG).

Dem damit begründeten öffentlichen Interesse an der Unterbringung der Kläger in der Gemeinschaftsunterkunft in C. stehen keine überwiegenden privaten Interessen gegenüber.

Zutreffend ist zwar, dass die Kläger seit nunmehr fünf Jahren in der Gemeinschaftsunterkunft untergebracht sind. Dies ist aber im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sie ihrer Pflicht zur möglichen freiwilligen Ausreise bisher nicht nachgekommen sind, diese vielmehr beharrlich verweigern. Zudem hat die Beklagte auf die in den Jahren eingetretenen Änderungen der familiären Situation der Kläger reagiert und diesen mehr Wohnraum zur Verfügung gestellt, so dass die Kläger nunmehr über insgesamt drei Wohnräume in der Gemeinschaftsunterkunft verfügen, die ein familiäres und eheliches Zusammenleben ermöglichen. Auch von einer menschenunwürdigen Unterbringung kann daher nicht die Rede sein. Gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Unterbringung der Kläger in der Gemeinschaftsunterkunft sind nicht nachgewiesen. Der darüber hinausgehende Einwand, den Klägern hinsichtlich der Familiengröße und Aufenthaltsdauer vergleichbare Familien seien in der Gemeinschaftsunterkunft nicht (mehr) untergebracht, ist unbeachtlich.

Wenn der Kläger zu 1. schließlich auf die ihm erteilte Beschäftigungserlaubnis nach § 10 Satz 3 BeschVerfV, § 39 Abs. 2 AufenthG verweist, trifft es zwar zu, dass dieser Umstand eine Abweichung von der räumlichen Beschränkung des § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ermöglicht (vgl. § 61 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) und daher auch bei einer Anordnung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen ist. Dieser Umstand vermag das öffentliche Interesse an der Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft aber allenfalls dann zu überwiegen, wenn durch die Anordnung der Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft der Zweck der Beschäftigungserlaubnis, dem Geduldeten den ihm eingeräumten gleichrangigen Arbeitsmarktzugang zur Aufnahme einer Beschäftigung auch überregional realisieren zu können (vgl. Nr. 61.1.3 AVwV AufenthG), beeinträchtigt wird. Daran fehlt es hier offensichtlich. Der Kläger zu 1. hat bisher ein überregionales Arbeitsplatzangebot, dessen Annahme die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft entgegen steht, weder behauptet noch nachgewiesen. [...]