VG Frankfurt/Oder

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Zitieren als:
VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 03.01.2011 - 3 L 428/10.A - asyl.net: M18249
https://www.asyl.net/rsdb/M18249
Leitsatz:

Ablehnung eines Eilantrags gegen eine Dublin-Überstellung nach Bulgarien.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Bulgarien, minderjährig, Altersfeststellung, Handwurzeluntersuchung, Sachverständigengutachten, Konzept der normativen Vergewisserung, Selbsteintritt, subjektives Recht, sichere Drittstaaten
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VwGO § 123 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1 S. 1, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, VerfO-EGMR Art. 39
Auszüge:

[...]

Es ist nicht erkennbar, dass im Falle des Antragstellers ein rechtfertigender Umstand im vorgenannten Sinne gegeben ist. Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass sich der bulgarische Staat - schon gar nicht aufgrund einer schlagartigen Änderung der dortigen Verhältnisse - seiner ohne jede weitere Prüfung des Asylbegehrens entledigen würde. Er hat im Gegenteil selbst vorgetragen, dass ein ihn betreffendes Asylverfahren in Bulgarien bereits durchgeführt und beendet sei. Seine Rügen betreffend die Ausgestaltung und Umsetzung des Flüchtlingsschutzes in Bulgarien sind gemessen an den insoweit gültigen strengen Anforderungen an eine Darlegung der einer Abschiebung ausnahmsweise entgegenstehenden Hinderungsgründe nicht ausreichend. Dies zumal dann, wenn es sich wie hier um einen Vertragsstaat nach dem Dubliner Übereinkommen handelt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von ihm in Bezug genommenen Bericht des Deutschlandfunks vom 21. September 2010. Die Überschrift "Rechtliches Vakuum: In Bulgarien sitzen Abschiebehäftlinge bis zu vier Jahren im Gefängnis" führt schon nach dem sodann folgenden Text in die Irre, weil es sich danach nicht um einen andauernden Zustand, sondern einen in der Vergangenheit vorgefundenen, vom Europäischen Gerichtshof und inzwischen selbst bulgarischen Gerichten beanstandeten Missstand handelte. Der Bericht des UNHCR ("Submission by the United Nations High Commissioner for Refugees for the Office to the High Commissioner for Human Rights Compilation Report - Universal Periodic Review: Republic of Bulgaria"), auf den sich der Antragsteller weiter beruft, gibt ebenfalls nichts dafür her, dass in Bulgarien kein den insoweit gültigen Mindeststandards entsprechendes Asylverfahren (mehr) zu erwarten ist. Die dort vorgebrachte Kritik reicht in Umfang und Schärfe nicht ansatzweise an die Beanstandungen heran, die vom UNHCR gegen das Asylverfahren in Griechenland vorgebracht worden sind (vgl. hierzu die Veröffentlichung des Reports vom November 2010 im Internet www.unhcr.org/refworld/pdfid/4cd8f2ec2.pdf) und letztlich in diesbezügliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eingeflossen sein mögen. Deutlich wird das beispielsweise an der Bewertung der jeweiligen Asylverfahren. Heißt es bezogen auf Griechenland unter der Überschrift "Quality of the asylum procedures", Griechenlands Asyl-System sei charakterisiert durch ein schlechtes Verfahren (poor procedures) und die Qualität der Beurteilung der Asylbegehren und Entscheidungsfindung sei extrem mangelhaft (''the assessment of asylum claims and decision making is extremely poor"), wird unter der entsprechenden Überschrift bezogen auf Bulgarien lediglich ausgeführt, eine im Jahre 2009 durchgeführte Evaluation habe eine Anzahl von Lücken im System identifiziert. Es seien 53 Empfehlungen ausgesprochen worden, die bereits Resultate erbracht hätten.

Nicht gefolgt werden kann dem Antragsteller schließlich in der Auffassung, ihm stehe ein Anspruch darauf zu, dass Deutschland in seinem Fall von dem ihm in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eröffneten Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht.

Dies gilt in jedem Fall, wenn - wie vom Antragsteller vorgetragen - in Bulgarien bereits ein ihn betreffendes Asylverfahren durchgeführt und beendet worden ist, denn dann käme die Durchführung eines erneuten Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland von vornherein nicht in Betracht.

Aber auch wenn man zugunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass sein Asylverfahren in Bulgarien noch nicht abgeschlossen worden ist, ist vorliegend eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Wahrnehmung ihres Selbsteintrittsrechts nicht gegeben. Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:

Grundsätzlich ist - wie auch vom Antragsteller angenommen - Bulgarien gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 der Dublin II-VO für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig.

Es ist bereits fraglich, ob die Bestimmungen der Dublin II-VO - auch hinsichtlich der Selbsteintrittskompetenz eines EU-Mitgliedstaates - subjektive Rechte des Asylbewerbers begründen. Viel spricht dafür, dass sie allein der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den EU-Mitgliedstaaten dienen (VG Berlin, Beschluss vorn 28. Mai 2009 - VG 33 L 113.09. A -, zitiert nach juris).

Selbst wenn man einen Anspruch des einzelnen Asylbewerbers auf fehlerfreien Ermessensgebrauch annehmen wollte, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, weshalb vorliegend ein behördliches Ermessen ausnahmsweise allein zu Gunsten eines Selbsteintritts der an sich unzuständigen Bundesrepublik Deutschland ausgeübt werden dürfte.

In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass sich der Antragsteller nicht darauf berufen kann, noch minderjährig zu sein, denn er ist - wie sich aus dem vom 07. September 2010 datierenden, ohne weiteres nachvollziehbaren und auch im Übrigen nicht zu beanstandenden gerichtsärztlichen Gutachten ergibt - mindestens 21 Jahre alt und mithin volljährig. Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde an das Amtsgericht Fürstenwalde Kritik an dem Gutachten vorbringt, ist diese weithin auf andere Untersuchungsmethoden bezogen und - soweit sie auch radiologische Methoden der Altersbestimmung in den Blick nimmt - zu allgemein, um Zweifel an der Richtigkeit zu begründen. Vor dem Hintergrund der medizinisch gesicherten Befunde kommt es auf die Erfahrungen der Diakonie im Zusammenhang mit minderjährigen bzw. erwachsenen Bewohnern der Jugendhilfeeinrichtung nicht mehr an. Ebenfalls ohne dass es darauf noch ankäme, ist nicht nachvollziehbar, dass - wie sich aus einer vom Antragsteller vorgelegten Ausbildungsbescheinigung ergibt - er bereits im Alter von 10 Jahren eine Ausbildung zum Männerfrisör abgeschlossen haben will.

Der Auffassung des Antragstellers, aus der aktuellen Situation von Flüchtlingen in Bulgarien ergebe sich eine den Erlass einer die Rückführung verhindernden einstweiligen Anordnung gebietende Ermessensreduzierung auf Null zu seinen Gunsten, vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Bei der diesbezüglichen Beurteilung ist der mit verfassungsändernder Mehrheit zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Wille in den Blick zu nehmen, dass sich ein Flüchtling grundsätzlich unter anderem dann nicht auf das Asylgrundrecht berufen darf, wenn er - wie hier geschehen - aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften und damit nach den Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a Abs. 1 AsylVfG, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG eingereist ist. Dieser Grundgedanke findet seinen Niederschlag nicht zuletzt in § 34a Abs. 2 AsylVfG, welcher in derartigen Fällen den Eilrechtsschutz ausschließt. Nach der vom Gericht zu achtenden Grundentscheidung des Gesetzgebers ist für die Prüfung des Asylantrags in einem solchen Fall nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern ausschließlich der sichere Drittstaat zuständig, im Falle des Antragstellers Bulgarien. Sein in Deutschland angebrachter Asylantrag ist gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, Es ist dem Antragsteller daher auch zuzumuten, seine Rechtsverfolgung in diesem hier nach der Dublin II-VO zuständigen Staat zu betreiben Dass nach Bulgarien rücküberstellten Zufluchtsuchenden solches zumutbar ist, hat der Sache nach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Entscheidung vom 2. Dezember 2008 - 32733/08 - NVwZ 2009, 965) unter Hinweis auf die Möglichkeit bestätigt, beim Gerichtshof ggf. eine vorläufige Maßnahme nach Art. 39 VerfO-EGMR zu erwirken.

Selbst wenn auch bereits die drohende Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30. September 2004, S. 12) das Selbsteintrittsrecht gebieten können sollte (vgl. insoweit VG Gießen, Beschluss vom 15. Juli 2008 - 10 L 1497/08.GI.A -, juris; ebenso VG Frankfurt a. M., Beschluss vom 11. Januar 2008 - 7 G 3911/07.A -), stünde das Vorbringen des Antragstellers einer Abschiebung nach Bulgarien nicht entgegen. Wie bereits oben erläutert, genügen seine Angaben den vom Bundesverfassungsgericht für die Darlegung eines individuell zu begründenden Ausnahmefalles geforderten strengen Anforderungen nicht. [...]