VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 08.10.2010 - 10 K 1849/09 - asyl.net: M18240
https://www.asyl.net/rsdb/M18240
Leitsatz:

Kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, da medikamentöse Behandlung im Kosovo möglich (Diabetes mellitus, Hypertonie, Polyarthrose usw.). Chronisch Kranke sind im Kosovo von Zuzahlungen befreit, d.h. die benötigte Behandlung steht kostenlos zur Verfügung. Im Übrigen ist die Klägerin bei Rückkehr auf die familiäre Hilfe und Begleitung durch nahe Familienmitglieder und deren mögliche Transferleistungen zu verweisen.

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Kosovo, Roma, allgemeine Gefahr, Mitrovica, Registrierung, Sozialhilfe, Diabetes mellitus, Hypertonie, chronische Erkrankung, Medikamente, Transferleistungen,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 3
Auszüge:

[...]

Hiervon ausgehend hat die Beklagte, auf deren Darlegungen im angefochtenen Bescheid gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG verwiesen wird, auch nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt, die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Recht abgelehnt.

Nach Auffassung der Kammer ist bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Klägerin sich bei einer Rückkehr an ihren Herkunftsort Mitrovica (vgl. die Angabe der Klägerin Bl. 49 GA), wo sie gewohnt und ein auch heute noch im Eigentum der Familie stehendes Haus (mit-)besitzt, registrieren lassen kann. Nach den Erkenntnissen der Kammer (vgl. insbesondere Ministerium für Inneres, Sport und Integration des Landes Niedersachsen, Bericht über die Reise einer Delegation des niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration in die Republik Kosovo vom 15. – 18.11.2009; Mattern, Kosovo: Zur Rückführung von Roma; Update der SFH-Länderanalyse, Bern, 21.10.2009; ai Berlin, Stellungnahme zur Situation der Roma im Kosovo, 06.05.2010) können sich aus dem Ausland zurückkehrende frühere jugoslawische Staatsangehörige aus dem Kosovo grundsätzlich nur an dem Ort registrieren lassen, für den sie vor ihrer Ausreise aus dem Kosovo zuletzt gemeldet waren, und ist eine freie Wahl des Ortes der Wohnsitznahme nach einer Rückkehr aus Deutschland insoweit nicht möglich, als auch nur am letzten Wohnort Sozialleistungen beantragt werden können. Dementsprechend setzt das Verfahren zur Prüfung der Rückübernahmeersuchen aus Deutschland auch die Überprüfung einer entsprechenden Registrierungsmöglichkeit voraus. Aufgrund der vorliegend eindeutig zu erwartenden Wohnsitznahme der Klägerin bei einer Rückkehr am Ort ihrer Herkunft ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass irgendetwas einer Registrierung an diesem Ort entgegenstehen könnte.

Ist mithin davon auszugehen, dass der Klägerin bei einer Rückkehr eine Registrierung an ihrem Herkunftsort im Kosovo möglich sein wird, so stehen ihr auch grundsätzlich alle Maßnahmen der Sozialhilfe und der Teilhabe am öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung (vgl. zur Sozialhilfe das Gesetz Nr. 2003/15, LAW ON THE SOCIAL ASSISTANCE SCHEME IN KOSOVO, vom 18.08.2003, Official Gazette of the Provisional Institutions of Self Government in Kosovo, Pristina, Nr. 15 vom 01.08.2007, www.ks-gov.net/gazetazyrtare ; Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Pristina an das BAMF vom 26.06.2009, RK 516.80-E101/08; vgl. dazu im Übrigen: Auskünfte der Dt. Botschaft Pristina an das BAMF vom 09.02.2009, RK 516.80-E111/08, vom 18.03.2009,… E 27/08, vom 08.05.2009, … - E 282/07, vom 17.08.2009, … - E 90/09; Pichler, BMI der Republik Österreich, Kosovo-Länderbericht II/2009, Pristina, 27.09.2009; ai, a.a.O.; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, ACCORD-Anfragebeantwortung zu Sozialhilfe im Kosovo vom 11.02.2009, a-6587-1 (ACC-KOS 6587), www.ecoi.net/file_upload/response_en_114993.html (Internet-Recherche vom 23.06.2010) Ludwig, Diakonie Bundesverband, Bericht einer Recherchereise vom 12.04. – 20.04.2010 Zur Einschätzung der Lage der Minderheiten (Roma, Ashkali und Ägypter) im Kosovo).

In diesem Zusammenhang bestehen zudem keine Zweifel daran, dass die zuletzt durch das ärztliche Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. med. F., W., A-Stadt, vom 30.04.2010 attestierten Erkrankungen arterielle Hypertonie (Bluthochdruck), Diabetes mellitus bei oraler Medikation, Hyperlipidämie (Fettstoffwechselstörung), Polyarthrose (von Knie, Hüfte, Hände etc.), chron. deg. Wirbelsäulensyndrom, Einsteifung der Halswirbelsäule, chron. Cephalgie, chron. general. Schmerzsyndrom, rez. Polyarthritis und Polyneuropathie (Erkrankung periphärer Nerven), also multiplen orthopädischen und internistischen Grunderkrankungen, die eine medikamentöse Behandlung der Klägerin erfordern, im Kosovo sämtlich nach dem dortigen Standard, auf den sich die Klägerin verweisen lassen muss, behandelbar sind. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 07.06.2010 vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, die die der Klägerin attestierten Erkrankungen seit dem Jahre 2000 belegen und die ebenfalls eingereichte Medikation von nunmehr acht Medikamenten gemäß Medikamentenblatt vom 27.05.2010. Die dort im Einzelnen aufgeführten Medikamente dienen ersichtlich sämtlich der Behandlung der der Klägerin attestierten Erkrankungen. Diesbezüglich muss sich die Klägerin, wie bereits die Beklagte im angefochtenen Bescheid im Einzelnen dargelegt hat, auf die für jene Erkrankungen im Kosovo zur Verfügung stehenden Medikamente verweisen lassen, nachdem keine Zweifel daran bestehen, dass die fraglichen Erkrankungen sämtlich im Kosovo medikamentös behandelbar sind. Die Kammer hat auch keine Bedenken, dass die Klägerin auch angesichts der Vielzahl der ihr attestierten Erkrankungen nicht in den Genuss der erforderlichen Behandlung kommen wird, da sie, wie auch aus der ärztlichen Bescheinigung vom 30.04.2010 hervorgeht, als chronisch krank einzustufen ist und nach der Auskunftslage gerade chronisch kranke Menschen im Kosovo von Zuzahlungen befreit sind und ihr, wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid ebenfalls bereits dargelegt und belegt hat, die benötigte Behandlung und Medikamente dort kostenlos zur Verfügung stehen. Im Übrigen ist sie, wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid, auf den verwiesen wird, bereits dargelegt hat, auf die familiäre Hilfe und Begleitung bei Rückkehr in den Kosovo durch vorhandene nahe Familienangehörige - auch auf durch diese mögliche Transferleistungen - zu verweisen (vgl. dazu etwa das Urteil der Kammer vom 07.10.2010, 10 K 399/09, m.w.n.). [...]