SG Duisburg

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Zitieren als:
SG Duisburg, Urteil vom 11.12.2009 - S 31 AS 261/08 - asyl.net: M18226
https://www.asyl.net/rsdb/M18226
Leitsatz:

Kein Anspruch auf die Regelleistung des Haushaltsvorstands bei Bedarfsgemeinschaft mit Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG.

Schlagwörter: SGB II, Regelleistung, Bedarfsgemeinschaft, Asylbewerberleistungsgesetz
Normen: SGB II § 20 Abs. 2 S. 1, SGB II § 20 Abs. 3, SGB II § 7 Abs. 3, AsylbLG § 3
Auszüge:

[...]

Im streitgegenständlichen Zeitraum stand dem Kläger nicht die von ihm begehrte Regelleistung für Alleinstehende nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II, sondern "nur" eine Regelleistung nach § 20 Abs. 3 SGB II zu. Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II beträgt die monatliche Regelleistung für eine Person, die alleinstehend oder alleinerziehend ist oder deren Partner minderjährig ist, 345 EUR. Weder war der Kläger alleinstehend noch alleinerziehend noch war seine Partnerin minderjährig. Er lebte im streitgegenständlichen Zeitraum vielmehr mit seiner volljährigen Partnerin bzw. Ehegattin zusammen.

§ 20 Abs. 3 SGB II lautet: "Haben zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, beträgt die Regelleistung jeweils 90 vom Hundert der Regelleistung nach Abs. 2". Der Kläger und Frau M. T. I. waren und sind zwei Partner einer Bedarfsgemeinschaft und volljährig. Gemäß § 7 Abs. 3 SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft der erwerbsfähige Hilfebedürftige (Nr. 1) und "als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen a. der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte ... c. eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen" (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind unstreitig erfüllt. Dass Frau M. T. I. nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen war, ist insofern unerheblich. Die Frage der Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft einerseits und die Frage eines Leistungsausschlusses andererseits sind unabhängig voneinander zu beantworten (vgl. Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 7 Rdnr. 57).

Dieses Ergebnis ist auch nicht durch eine einschränkende Auslegung von § 20 Abs. 3 SGB II bzw. eine analoge Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu korrigieren (so auch SG Duisburg, Beschluss vom 19.11.2009, S 31 AS 414/09 ER; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; Loose, a.a.O.; Krauß, a.a.O.).

Der Gegenauffassung ist allerdings zuzugestehen, dass durch die hier vertretene wortlautgetreue Anwendung des Gesetzes die "Generalkosten" des Haushalts nicht gedeckt sind. Bei der Festlegung der Regelsätze hatte der SGB II-Gesetzgeber die Regelsätze des BSHG vor Augen. Dort wurden dem sogenannten Haushaltsvorstand 100 % der Regelleistung zugebilligt, dem weiteren erwachsenen Haushaltsmitglied lediglich 80 %. Die Differenz von 20 % des Eckregelsatzes diente der Deckung der "Generalkosten" eines Haushalts (vgl. etwa Wenzel, in: Fichtner, BSHG, 2. Aufl. 2003, § 22 Rdnr. 25). Der SGB II-Gesetzgeber wollte bei der Übernahme der Regelsätze eine Benachteiligung von Frauen, die "in der Regel nicht als Haushaltsvorstand gelten", verhindern (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 56). Bei zwei haushaltsangehörigen Erwachsenen sollten die Generalkosten also in Höhe von jeweils 10 % des Eckregelsatzes auf beide Mitglieder verteilt werden. Frau M. T. I. bezog im streitgegenständlichen Zeitraum jedoch lediglich Leistungen nach § 3 AsylbewLG, die deutlich unter dem 90%igen Regelleistungsanteil eines Beziehers von Leistungen nach § 20 Abs. 3 SGB II liegen.

Hier ist aber bereits einzuwenden, dass nicht nur die Generalkosten nicht gedeckt waren. Denn wie der Kläger zutreffend ausgeführt hat, liegen die Leistungen nach § 3 AsylbewLG deutlich unterhalb eines Betrags von 80 % der Regelleistung eines Alleinstehenden. Wäre das Gesetz dahin auszulegen, dass zwei erwachsenen haushaltsangehörigen Personen immer 180 % des Regelsatzes für Alleinstehende zustehen sollen, so müsste nicht nur der fehlende Generalkostenanteil von 10 %, sondern noch ein weiterer Regelleistungsanteil kompensiert werden. Dies ist offensichtlich nicht gewollt.

Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung der Regelleistungen in § 20 SGB II eine pauschalierende Regelung getroffen hat, die einer abweichenden Bestimmung nicht zugänglich ist. Die Pauschalierung der Leistungen ist ein Strukturprinzip des SGB II, entsprechende Formulierungen finden sich an diversen Stellen der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 2, 46, 55, 56). Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz SGB II "decken die nach diesem Buch vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen". Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II - und anders als in § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII - ist eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe im Einzelfall ausgeschlossen.

Eine Regelungslücke ist nicht anzunehmen, da der Gesetzgeber in § 20 SGB II zwingende Regelsätze festgelegt und gleichzeitig mit § 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4, Abs. 4a und 5 SGB II diverse Leistungsausschlüsse kodifiziert hat, ohne für diese Fälle eine abweichende Bemessung der Regelsätze vorzusehen. Das Bundessozialgericht - BSG - hat in einem Urteil vom 29.03.2007 (B 7b AS 2/06 R, Rdnr. 16) für einen Fall, in dem ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft wegen eines Altersrentenbezugs von SGB II-Leistungen ausgeschlossen war, ausgeführt: "Bei seiner Entscheidung wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass der für die Kläger als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft ... zu ermittelnde Grundsicherungsbedarf ... den einschlägigen Regelungen der §§ 19 ff. SGB II zu entnehmen ist, und zwar auch dann, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen ist ...".

Auch dann, wenn ein Partner einer Bedarfsgemeinschaft wegen der grundsätzlichen Förderungsfähigkeit einer von ihm betriebenen Ausbildung nach dem BAföG gemäß § 7 Abs. 4 SGB II von SGB II-Leistungen ausgeschlossen ist, wird nicht im Einzelnen ermittelt, ob und in welcher Höhe dieser Partner nun seine Bedarfe decken kann und ob in der Folge eine Anpassung der Regelleistung des im SGB II-Leistungsbezugs stehenden Partners vorzunehmen ist.

Der Ansatz einer Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II beinhaltete hier zudem die Gefahr, dass die gesetzgeberischen Wertentscheidungen in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sowie § 3 AsylbewLG umgangen würden. Zwar geht es nicht um Leistungen der Frau M. T. I ... Gerade bei dem von der Klägerseite eingeforderten Blick auf die Bedarfsgemeinschaft insgesamt aber führte eine Erhöhung der Regelleistung des Klägers wegen des Bezugs von Leistungen nach dem AsylbewLG durch Frau M. T. I. zu einer Erhöhung der insgesamt zur Verfügung stehenden Leistungen.

Hinzu kommt, dass bei zwei haushaltsangehörigen Erwachsenen Synergieeffekte bei der Bedarfsdeckung entstehen, die unabhängig davon gelten, welche Leistungen gewährt werden.

Nichts Gegenteiliges lässt sich schließlich aus der Rechtsprechung des achten Senats des BSG zu Bedarfsgemeinschaften aus SGB II- und SGB XII-Leistungsbeziehern ableiten (vgl. BSG, Urteil vom 16.10.2007, B 8/9b SO 2/06 R; Urteil vom 19.05.2009, B 8 SO 8/08 R). Zwar wurde dort unter bestimmten Bedingungen eine Korrektur des SGB XII(!)-Regelsatzes vorgenommen. Eine von § 20 Abs. 3 SGB II abweichende Regelung wurde aber nicht in Betracht gezogen. Im Gegenteil wurde § 20 Abs. 3 SGB II analog im SGB XII angewandt (vgl. BSG, Urteil vom 16.10.2007, B 8/9b SO 2/06 R, Rdnr. 19). Ein wesentlicher Unterschied zu der vorliegenden Fallkonstellation liegt zudem darin, dass bei einer "gemischten Bedarfsgemeinschaft" aus SGB II- und SGB XII-Beziehern unstreitig beide Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft die vollen Leistungen erhalten sollen. Die vom achten Senat vorgenommenen Korrekturen sind allein der unterschiedlichen Zuordnung der Generalkosten bei den Regelsätzen im SGB II und SGB XII geschuldet. [...]