BSG

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Zitieren als:
BSG, Urteil vom 29.01.2002 - B 10 EG 3/01 R - asyl.net: M1815
https://www.asyl.net/rsdb/M1815
Leitsatz:

Türkischen Staatsangehörigen steht Anspruch auf bayerisches Landeserziehungsgeld zu, zum Gleichbehandlungsanspruch türkischer Staatsangehöriger aus ARB Nr. 3/80 (Bestätigung des Urteils des BayLSG v. 1.3.2002 - L 9 EG 9.00 -).(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: D (A), Türken, Landeserziehungsgeld, Erziehungsgeld, Soziale Sicherheit, Sozialleistungen, Diskriminierungsverbot, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Inländergleichbehandlung
Normen: BayLErzGG
Auszüge:

Das LSG hat den Beklagten zu Recht verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 03. September 1993 bis zum 02. März 1994 LErzG zu gewähren, obwohl sie als Türkin nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt. Denn diese einschränkende Voraussetzung des Bayerischen Landesrechts (BayLErzGG in der hier anwendbaren Fassung vom 12. Juni 1989 <BayGVBI 1989, 206>) gilt für die Klägerin nicht.

Die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten haben mit der Türkei am 12. September 1963 das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (Abk) geschlossen (BGBI II 1964, 509). Nach Art. 2 Abs. 3 Abk umfasst die Assoziation eine Vorbereitungsphase, eine Übergangs und eine Endphase. Fernziel ist nach Art. 28 Abk der Beitritt der Türkei zur Gemeinschaft. Unter Titel 2 "Durchführung der Übergangsphase" bestimmt das Abk in Art. 9, dass dem in Art. 7 des Vertrages zur Gründung verankerten Grundsatz entsprechend jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist. In Art. 12 haben die Vertragsparteien vereinbart, sich von Art. 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Die Bedingungen, die Einzelheiten und der Zeitplan für die Verwirklichung der Übergangsphase wurden in dem am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Zusatzprotokoll vom 23. November 1970 (BGBI II 1972, 385) festgelegt, das nach seinem Art. 62 Bestandteil des Abk ist. Art. 36 Zusatzprotokoll verbietet, die in der Gemeinschaft beschäftigten Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und das Entgelt wegen ihrer Staatsangehörigkeit gegenüber den Arbeitnehmern, die Angehörige der anderen Mitgliedsstaaten sind, zu diskriminieren. Art. 39 Zusatzprotokoll bestimmt, dass der Assoziationsrat Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu- oder abwandern, sowie für deren in der Gemeinschaft wohnenden Familien erlässt. Gestützt auf das Abk und das Zusatzprotokoll, insbesondere auf dessen Art. 39, fasste der nach Art. 22 Abk eingerichtete Assoziationsrat am 19. September 1980 den Beschluss Nr. 3/80 (ABI EG C 1983, 110, 1 ff <ARB>). Dieser Beschluss ist weitgehend der Verordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr. 1408/71 nachgebildet: So entsprechen sich Art. 3 Abs.1 (Gleichbehandlung) und Art. 4 Abs. 1 (sachlicher Geltungsbereich).

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat auf Grund dieser Bestimmungen entschieden, dass türkische Staatsangehörige, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die der Beschluss Nr. 3/80 gilt, im Wohnsitzstaat Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit nach den Rechtsvorschriften dieses Staates unter den gleichen Voraussetzungen wie dessen eigene Staatsangehörige haben. Art. 3 Abs. 1 ARB enthalte die Durchführung und Konkretisierung des in Art. 9 Abk verankerten allgemeinen Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit für den besonderen Bereich der sozialen Sicherheit (Urteile vom 04. Mai 1999 - C-262/96 - Slg 1999, I-2743, RdNr. 64 = SozR 3-6935 Allg Nr. 4 und vom 14. März 2000 - C-102/98 und C-211/98 - Slg 2000, I-1311, Rdnr. 36 = SozR 3-6940 Art. 3 Nr. 1; vgl. auch VGH Mannheim, Urteile vom 08. Februar 2001 - 1 S 287/00 -, InfAuslR 2001, 257 und vom 12. März 2001 - 1 S 1334/00 -, bestätigt vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 06. Dezember 2001 - 3 C 25/01 -). Die gegen diese Rechtsprechung vom Beklagten erhobenen Bedenken greifen nicht durch.