VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 15.12.2010 - 4 A 196/10 MD - asyl.net: M18157
https://www.asyl.net/rsdb/M18157
Leitsatz:

Verurteilung im Dublin-Verfahren, das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen. Die Überstellungsfrist ist abgelaufen, diese wurde insbesondere nicht durch die Aussetzung der Abschiebung nach § 123 VwGO gehemmt. Darüber hinaus ist das Ermessen des BAMF zur Ausübung des Selbsteintritts auf Null reduziert, weil in Griechenland derzeit die Durchführung eines geordneten, humanitären Mindestanforderungen genügenden Asylverfahrens nicht gewährleistet ist.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Griechenland, Überstellungsfrist, vorläufiger Rechtsschutz,
Normen: AsylVfG § 27a, VO 343/2003 Art. 19 Abs. 4 S. 1, VO 343/2003 Art 19 Abs. 3, VwGO § 123
Auszüge:

[...]

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Das Gericht hat zwar keinen Zweifel daran, dass sich der Kläger im August 2009 in Griechenland aufgehalten hat. Damit dürfte zunächst die Zuständigkeit Griechenlands gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO eingetreten sein. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO zuständig geworden, da keine Überstellung des Klägers innerhalb der Frist von sechs Monaten nach Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO erfolgt ist. Da Griechenland auf das Übernahmeersuchen vom 09.10.2009 nicht geantwortet hat, gilt das Ersuchen nach Ablauf von zwei Monaten als angenommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geht in dem Bescheidentwurf vom 29.12.2009 davon aus, dass die Annahmefiktion am 10.12.2010 eingetreten ist. Innerhalb von sechs Monaten seit diesem Datum ist keine Überstellung des Klägers erfolgt. Die Frist wird nicht dadurch gehemmt, dass die Abschiebung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO ausgesetzt wurde. Denn es liegt kein Fall eines nach innerstaatlichem Recht zulässigen Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung vor (so auch VG Neustadt [Weinstraße], a.a.O.; VG Ansbach, Urteil vom 16.04.2009 - AN 3 K 09.30012 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 26.03.2009 - A 2 K 1821/08 -, juris).

Darüber hinaus ist eine Abschiebung nach Griechenland unzulässig, weil die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Asylverfahrenspraxis in Griechenland nicht an den Standard heranreichen, den der nationale Gesetzgeber bei Einfügung des § 27a AsylVfG vor dem Hintergrund der Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG bei dem Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zuständig ist, als gegeben vorausgesetzt hat. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Auch wenn die Voraussetzungen der §§ 27a und 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sowie des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO vorliegen, ist die Abschiebungsanordnung rechtswidrig, wenn die Bundesrepublik Deutschland aufgrund besonderer Umstände verpflichtet ist, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Nach dieser Regelung kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Aufgrund der besonderen Situation in Griechenland ist das der Beklagten eingeräumte Ermessen, anstelle Griechenlands ein Asylverfahren durchzuführen, auf Null reduziert, so dass sich nur die Ausübung des Selbsteintrittsrechts als ermessensfehlerfrei darstellt.

Das Gericht geht davon aus, dass in Griechenland die Durchführung eines geordneten, humanitären Mindestanforderungen genügenden Asylverfahrens derzeit nicht zu erwarten ist. [...]