OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 27.09.2010 - 2 Bs 183/10 - asyl.net: M18149
https://www.asyl.net/rsdb/M18149
Leitsatz:

1. Erstrebt ein mit einem Besuchsvisum eingereister Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund der Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen, kommt ihre Erteilung im Inland nach § 39 Nr. 3 AufenthV nur in Betracht, wenn die Eheschließung nach der letzten Einreise im Bundesgebiet erfolgt ist. Eine während eines Besuchsaufenthalts unter kurzzeitiger Aus- und Wiedereinreise im benachbarten Ausland geschlossene Ehe erfüllt diese Voraussetzung nicht.

2. Für die Beurteilung, ob ein Ausländer die für eine Aufenthaltserlaubnis erforderlichen Deutschkenntnisse nach §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG besitzt, kommt es nicht auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet an, sondern gelten die allgemeinen Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Ehegattennachzug, Besuchsvisum, Schengen-Visum, Beurteilungszeitpunkt, Deutschkenntnisse
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthV § 39 Nr. 3, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 5, AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Auszüge:

[...]

1. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die mit einem Schengen-Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) eingereiste Antragstellerin die Aufenthaltserlaubnis nicht gemäß § 39 Nr. 3 AufenthV im Bundesgebiet einholen kann. Die hiergegen gerichteten Ausführungen in der Beschwerdebegründung greifen nicht durch.

Die Privilegierung des § 39 Nr. 3 AufenthV greift nur ein, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Dabei folgt das Beschwerdegericht der Auffassung, dass jedenfalls der Nachzugsgrund des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, der die zentrale, den Aufenthaltszweck gerade kennzeichnende Voraussetzung für den hier geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis darstellt, erst nach der Einreise eingetreten sein darf und unter Einreise i.S.d. § 39 Nr. 3 AufenthV nur die zeitlich letzte Einreise in das Bundesgebiet zu verstehen ist (vgl. VGH München, Beschl. v. 29.6.2010, 19 CS 10.447, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 1.3.2010, 13 ME 3/10, juris; OVG Bremen, Beschl. v. 26.6.2009, NordÖR 2010, 24; vgl. ferner VGH Kassel, Beschl. v. 22.9.2008, InfAuslR 2009, 14, demzufolge sämtliche Voraussetzungen des Anspruchs erst nach der Einreise entstanden sein dürfen). Hierfür spricht neben dem Wortlaut vor allem der mit der Neufassung der Vorschrift durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) verfolgte Zweck. Denn die Neufassung will die aufenthaltsrechtliche Begünstigung derjenigen Ausländer verhindern, die lediglich mit einem Schengen-Visum in das Bundesgebiet einreisen, aber von vornherein den Nachzug zu einem deutschen Familienangehörigen anstreben. In diesem Zusammenhang wird in der Begründung des Gesetzentwurfs als Beispiel für einen Fall, der nicht länger an der Privilegierung teilhaben soll, ausdrücklich die Eheschließung mit einem Deutschen in Dänemark erwähnt (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 240). Ob die gegenwärtige Formulierung des § 39 Nr. 3 AufenthV geeignet ist, das gesetzgeberische Ziel in jeder Hinsicht zu erreichen (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.7.2009, InfAuslR 2009, 388; VGH München, Beschl. v. 18.5.2009, InfAuslR 2009, 291; VGH Mannheim, Beschl. v. 8.7.2008, InfAuslR 2008, 444), kann offenbleiben. Jedenfalls rechtfertigt der Wortlaut der Vorschrift unter Berücksichtigung der ihr zugrunde liegenden Motivation ohne Weiteres die Auslegung, dass die Eheschließung im Bundesgebiet im Falle einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unverzichtbare Voraussetzung für das Eingreifen der Privilegierung ist. Auch systematische Gesichtspunkte unter Einbeziehung des § 39 Nr. 5 AufenthV legen im Übrigen dieses Verständnis nahe. Denn jene Vorschrift macht die Einholung der Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet im Falle eines geduldeten Ausländers ausdrücklich davon abhängig, dass er aufgrund einer Eheschließung im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Ein einleuchtender Grund, im Rahmen des § 39 Nr. 3 AufenthV die Eheschließung im Ausland ausreichen zu lassen, im Rahmen des § 39 Nr. 5 AufenthV hingegen die Eheschließung im Bundesgebiet zu verlangen, ist nicht ersichtlich. Von daher vermag nicht die teilweise vertretene Auffassung zu überzeugen, dass die Privilegierung des § 39 Nr. 3 AufenthV auch dann zum Tragen kommt, wenn lediglich das letzte für einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis noch fehlende Tatbestandsmerkmal - gleich welches - nach der Einreise in das Bundesgebiet erfüllt wird (so etwa VGH Mannheim, Beschl. v. 8.7.2008, a.a.O. und v. 16.9.2009, EzAR-NF 28 Nr. 25; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand 9/2010, § 4 Rn. 56). Für die Antragstellerin, welche die Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen vor ihrer letzten Einreise in das Bundesgebiet in Dänemark geschlossen hat, bedeutet dies, dass sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen kann, die für einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Deutschkenntnisse erst im Anschluss hieran im Bundesgebiet erworben bzw. nachgewiesen zu haben.

2. Ebenso wenig greifen die Ausführungen der Antragstellerin zu einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Absehen von den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG durch. Allerdings ist der Antragstellerin einzuräumen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erfüllt sein dürften und damit das der Antragsgegnerin in § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen eröffnet ist. Dass die Antragstellerin im Klageverfahren 17 K 1239/10 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass es an der in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorausgesetzten Sicherung des Lebensunterhalts fehlt. Aus der zum Prozesskostenhilfegesuch eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den beigefügten Belegen ergibt sich im Gegenteil, dass der Ehemann der Antragstellerin über ein nach den Berechnungsmodalitäten der Fachanweisung der Behörde für Inneres zum Ausländerrecht Nr. 1/2010 vom 19. August 2010 für die Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin ausreichendes Einkommen verfügt.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts dürfte einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG auch nicht entgegenstehen, dass die Antragstellerin die nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Deutschkenntnisse nicht schon vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet erworben bzw. nachgewiesen hat. Zwar richtet sich die Erteilung eines nationalen Visums gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften und setzt deshalb im Falle des beabsichtigten Ehegattennachzugs auch voraus, dass sich der Ehegatte zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Der Gesetzgeber will gerade auch diese Anforderung bereits im Visumsverfahren erfüllt wissen, um den ausländischen Ehegatten dazu anzuregen, sich schon vor seiner Einreise einfache Deutschkenntnisse anzueignen und dadurch seine Integration im Bundesgebiet zu erleichtern (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 173). Dieser Befund dürfte jedoch nicht die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nur gegeben ist, wenn sich der Ausländer bereits bei seiner Einreise zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen konnte. Zutreffend macht die Antragstellerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Bremen (Beschl. v. 26.4.2010, NordÖR 2010, 240) insoweit geltend, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG eindeutig im Präsens formuliert ist und auch keine Gesichtspunkte erkennbar sind, die es rechtfertigen könnten, ausgerechnet bei dem unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehenden Ehegattennachzug von dem Grundsatz abzuweichen, dass es für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen auf den gegenwärtigen Zeitpunkt ankommt, und stattdessen auf die ungünstigere Sachlage zu einem früheren Zeitpunkt abzustellen. Aus der vom Verwaltungsgericht zur Stützung seiner Rechtsauffassung herangezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 30.3.2010, InfAuslR 2010, 331) folgt nichts anderes. Die Entscheidung betrifft ausschließlich die Erteilung eines Visums und verhält sich zur hier in Rede stehenden Frage nicht.

Soweit die Antragstellerin die von der Antragsgegnerin im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG angestellten und vom Verwaltungsgericht (hilfsweise) bestätigten Ermessenerwägungen beanstandet, sind ihre Ausführungen jedoch nicht zielführend. Der Hinweis auf den letzten Satz der Tz. 5.2.2.1 AVwV-AufenthG hilft nicht weiter. Zwar beinhaltet diese Regelung eine Ermessensbindung dahin gehend, dass einem mit einem Visum zu einem anderen Aufenthaltszweck eingereisten Ehegatten ein Aufenthaltszweckwechsel zum Ehegattennachzug nicht gestattet werden kann, wenn der Ehegattennachzug auch bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen vom Nachweis der einfachen Deutschkenntnisse nach §§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG abhängig ist, und mag diese Ermessensbindung in der Tat bedenklich sein (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 26.4.2010, a.a.O.). Die Antragstellerin verkennt jedoch, dass sich die Antragsgegnerin in ihrem maßgeblichen Widerspruchsbescheid hierauf nicht zurückgezogen hat. Sie hat vielmehr - wie es die Beschwerde verlangt - ausführlich das Interesse der Antragstellerin, ein ordnungsgemäßes Visumsverfahren nicht nachholen zu müssen, gegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Visumsvorschriften abgewogen und dabei sowohl die Umstände des Einzelfalles als auch die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Blick genommen. Die insoweit angestellten Erwägungen greift die Antragstellerin mit ihrer Beschwerdebegründung nicht an. Ob die Erwägungen im Ausgangsbescheid den Anforderungen an eine fehlerfreie Ermessensausübung genügen, ist unter diesen Umständen nicht von Belang. [...]