OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2010 - 4 Bs 213/10 - asyl.net: M18146
https://www.asyl.net/rsdb/M18146
Leitsatz:

Ein Aufenthaltstitel, der einem Ausländer von der deutschen Auslandsvertretung mit Zustimmung der Ausländerbehörde in Form eines nationalen Visums nach § 6 Abs. 4 AufenthG und nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilt worden ist, stellt unabhängig von der formalen Kategorisierung in §§ 4 Abs. 1 Satz Nr. 1 und 2, 6 Abs. 4 AufenthG eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dar.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Visum, nationales Visum, Türkei, deutscher Ehegatte, Familiennachzug, Ehegattennachzug, Visumsverfahren, Einreise, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen,
Normen: AufenthG § 6 Abs. 4, AufenthG § 4 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 4 Abs. 1 S. 2, AufenthG § 6 Abs. 4, AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

A

Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen ist die angefochtene Entscheidung zu ändern und dem Antragsteller der begehrte vorläufige Rechtsschutz zu gewähren.

1. Der Antragsteller hat mit der Beschwerde Gründe dargelegt, welche die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung ernsthaft in Zweifel ziehen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO). Das betrifft zum einen die entscheidungserhebliche Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, die Antragsgegnerin habe in der angefochtenen Verfügung zu Recht ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verneint, weil eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz nur dann eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne dieser Vorschrift darstelle, wenn sie diesem nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs und nicht – wie hier - lediglich nach § 6 Abs. 4 AufenthG erteilt worden sei. Die Beschwerde macht dazu unter Hinweis auf die konkreten Umstände des Visumverfahrens zutreffend geltend, dass dem Antragsteller der Aufenthaltstitel als nationales Visum für einen Daueraufenthalt nicht ausschließlich nach § 6 Abs. 4 AufenthG, sondern nach einer (Voll-)Prüfung der allgemeinen und speziellen Erteilungsvoraussetzungen nach den §§ 27, 28, 30 AufenthG erteilt worden ist. Das ergibt sich im Übrigen auch aus der Zustimmung der Antragsgegnerin zur Erteilung eines Aufenthaltstitels in Form eines Visums vom 4. Mai 2010, in der neben dem genannten Zweck "Familienzusammenführung" als Rechtsgrundlage ausdrücklich § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannt ist.

Zum anderen spricht Einiges dafür, dass - wie die Beschwerde weiter geltend macht – die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu halten ist, der Antragsteller habe ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Gewährung eines längerfristigen Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet nicht schon aufgrund der Erteilung des Visums, sondern erst nach Einreise und nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis durch die Ausländerbehörde entwickeln dürfen, da erst hier die Voraussetzungen für einen Daueraufenthalt erstmals gründlich geprüft würden. Der Antragsteller weist zutreffend darauf hin, dass diese Annahme des Verwaltungsgerichts weder durch die gesetzlichen Bestimmungen für die Erteilung eines nationalen Visums für einen Daueraufenthalt noch durch die tatsächliche Durchführung des Visumverfahrens nahegelegt wird. Die allgemeinen und speziellen Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Familienzusammenführung werden nach § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG i.V.m. §§ 5 Abs. 1, 27, 28, 30 AufenthG im Visumverfahren nicht lediglich "überschlägig", sondern - wie im Fall eines inländischen Erteilungs- oder Verlängerungsverfahrens – im jeweiligen Antragsstaat von der deutschen Auslandsvertretung und der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde vollen Umfangs geprüft. Diese Prüfung schließt die Feststellung ein, ob der Aufenthaltstitel dem Ausländer eine Erwerbstätigkeit gestattet (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministerium des Innern vom 26.10.2009, Nr. 6.4.1 und Nr. 6.4.5; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 6 AufenthG Rn. 35). Das gilt insbesondere auch dann, wenn das nationale Visum für einen Daueraufenthalt zunächst verweigert und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstritten wird (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.9.2010, OVG 11 B 27.08, juris).

Dementsprechend ist auch hier durch die deutsche Auslandsvertretung in Ankara und die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin verfahren und sind unter anderem durch zeitgleiche Anhörung des Antragstellers und seiner Ehefrau die Ernsthaftigkeit der Absicht der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft und die deutschen Sprachkenntnisse des Antragstellers geprüft worden.

2. Da die Beschwerde insoweit die tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung erschüttert hat, ist das einstweiligen Rechtsschutzbegehren des Antragstellers vom Beschwerdegericht eigenständig und vollen Umfangs zu prüfen. Danach ist die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis und die darauf beruhende Abschiebungsandrohung anzuordnen. Denn der Widerspruch des Antragstellers betreffend die Verlängerung seines Aufenthaltstitels als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG wird nach einer in diesem Eilverfahren nur möglichen überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben. Dem privaten Interesse des Antragstellers, der seinen Lebensunterhalt aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit bestreitet, am vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet gebührt deshalb Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an seiner sofortigen Ausreise (a)). Bei diesem Sachstand durfte dem Antragsteller die Abschiebung nicht angedroht werden (b)).

a) Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn der Ausländer gestorben ist, während die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bestand und der Ausländer bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG war, es sei denn, er konnte die Verlängerung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beantragen. Diese Vorschrift findet hier nach § 28 Abs. 3 AufenthG mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen – hier der Ehefrau des Antragstellers - im Bundesgebiet tritt. Der Antragsteller dürfte die nach diesen Regelungen zu fordernden Voraussetzungen für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erfüllen.

aa) Zunächst ist davon auszugehen, dass die (das eheunabhängige Aufenthaltsrecht gegebenenfalls vermittelnde) Ehefrau des Antragstellers gestorben ist, während die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bestand. [...] Der Umstand, dass die Ehegatten wegen des plötzlichen Todes nur wenige Tage haben zusammen leben können, steht einem eigenständigen Aufenthaltsrecht des überlebenden Antragstellers nicht entgegen. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verlangt - im Gegensatz zum Fall der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Trennung nach Nr. 2 - keine Mindestbestandszeit. Von daher reicht auch ein nur wenige Tage währendes, durch den Tod eines Ehepartners beendetes eheliches Zusammenleben aus.

bb) Der Antragsteller dürfte auch sonst die Voraussetzungen für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erfüllen. Er besaß insbesondere im Zeitpunkt des Todes seiner Ehefrau im Mai 2010 und bei der Antragstellung im Juni 2010 ein noch gültiges ehebezogenes und verlängerungsfähiges Aufenthaltsrecht in Form eines nationalen Visums für einen Daueraufenthalt. Denn auch ein Aufenthaltstitel, der – wie hier dem Antragsteller - einem Ausländer von der deutschen Auslandsvertretung mit Zustimmung der Ausländerbehörde in Form eines nationalen Visums nach § 6 Abs. 4 AufenthG und nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilt worden ist und der im Zeitpunkt des Todes gültig war, stellt unabhängig von der formalen Kategorisierung in §§ 4 Abs. 1 Satz Nr. 1 und 2, 6 Abs. 4 AufenthG eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dar. Für diese Auslegung sprechen der Sinn und Zweck der Vorschrift (aaa) und die dadurch gewahrte - vom Gesetzgeber beabsichtigte – Kontinuität zu der im Wesentlichen gleichlautenden Vorgängerregelung in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG (bbb). Sie vermeidet schließlich einen - bei einer, ausschließlich am Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und der formalen Kategorisierung in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AufenthG orientierten Auslegung - drohenden Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz (ccc)). Der Anerkennung eines nationalen Visums zum Daueraufenthalt im Rahmen des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG stehen schließlich die vom Verwaltungsgericht angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgegen (ddd)).

aaa) Sinn und Zweck der Regelung in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist es, das besondere Vertrauen des Ausländers, der im Zeitpunkt des Todes seines deutschen bzw. aufenthaltsberechtigten Ehepartners mit diesem in ehelicher Gemeinschaft zusammengelebt hat, auf Gewährung eines längerfristigen Aufenthalts in Deutschland zu schützen. Dieses Vertrauen wird grundsätzlich dadurch begründet, dass dem Ausländer (nach Prüfung der allgemeinen und speziellen Erteilungsvoraussetzungen) ein Aufenthaltstitel für einen Daueraufenthalt zum Zweck des Familiennachzugs erteilt worden ist. Das Vertrauensinteresse des Ausländers soll nicht dadurch verloren gehen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft unvorhergesehen durch Tod des Ehepartners endet (vgl. dazu Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministerium des Innern vom 26.10.2009, Nr. 31.0.1; Hailbronner, AuslR, 57. Aktualisierung April 2008, § 31 Rn. 8).

In Bezug auf dieses vom Gesetzgeber anerkannte und durch Einräumung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts geschützte Vertrauen auf eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive stellt auch ein Aufenthaltstitel, der einem Ausländer von der deutschen Auslandsvertretung mit Zustimmung der Ausländerbehörde in Form eines nationalen Visums nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 6 Abs. 4 AufenthG und insbesondere nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs – hier nach §§ 27, 28, 30 AufenthG - erteilt worden ist, eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dar. Denn dieser Aufenthaltstitel, der ebenso wie die Aufenthaltserlaubnis nur befristet erteilt wird (vgl. Art. 18 Schengener Durchführungsübereinkommen [SDÜ] und § 7 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), unterscheidet sich lediglich im Hinblick auf das Verfahren, das zu seiner Erteilung geführt hat, nicht jedoch in Bezug auf seinen materiellen Gehalt von dem im Bundesgebiet für den zum Zweck des Familiennachzugs eingeholten Aufenthaltstitel. Denn wie dargelegt darf dem Ausländer ein Aufenthaltstitel als nationales Visum für einen Daueraufenthalt zu dem genannten Zweck nur nach einer (Voll-)Prüfung der allgemeinen und speziellen Erteilungsvoraussetzungen erteilt werden (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, a.a.O. Nr. 6.4.1; Hofmann/Hoffmann, Handkommentar-AuslR § 6 AufenthG Rn. 18, m.w.N.). Diese materielle Prüfung ist auch nicht deshalb weniger intensiv, weil (anders als bei der Einholung eines entsprechenden Aufenthaltstitels im Inland) neben der zuständigen Ausländerbehörde die deutsche Auslandsvertretung im Antragsstaat in diese Prüfung mit eingebunden ist, und - nach Zustimmung der Ausländerbehörde – das nationale Visum zum Daueraufenthalt erteilt. Der Prüfungsumfang schließt – wie oben ausgeführt - in Bezug auf das beantragte nationale Visum für einen Daueraufenthalt auch die Feststellung ein, ob der Aufenthaltstitel dem Ausländer eine Erwerbstätigkeit gestattet. Vor diesem Hintergrund wird die Auffassung vertreten, dass mit der Kategorisierung in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG nur das kurzfristige Schengen-Visum erfasst werden sollte und dass das nationale Visum für einen Daueraufenthalt nach § 6 Abs. 4 AufenthG weiterhin eine Aufenthaltserlaubnis darstellt (so Hailbronner, AuslR, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 8; Kloesel/Christ/Häußer, Kommentar zum AuslR, § 4 AufenthG Rn. 50: nationales Visum für längerfristigen Aufenthalt ist "Variante des Aufenthaltstitels, der dem Ausländer nach der Einreise entsprechend dem gesetzlich zulässigen Aufenthaltszweck erteilt wird"; Wenger, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, § 6 AufenthG Rn. 9: nationale Visa zum Daueraufenthalt stellen bereits den endgültigen Aufenthaltstitel dar).

Ob dieser generellen Gleichsetzung von nationalem Visum für einen längerfristigen Aufenthalt und einer entsprechenden, im Inland erteilten Aufenthaltserlaubnis für alle im Aufenthaltsgesetz anfallenden Regelungszusammenhänge zu folgen ist, kann hier offen bleiben. Jedenfalls ist vor dem oben dargestellten rechtlichen und tatsächlichen Hintergrund in Bezug auf den durch § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bezweckten Schutz des Vertrauens des Ausländers auf Gewährung eines längerfristigen Aufenthalts in Deutschland kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dem Aufenthaltstitel in Form des nationalen Visums zum Zweck des Ehegattennachzugs im Vergleich zu einem Aufenthaltstitel geringeres Gewicht beizumessen, der einem Ausländer unter den gleichen materiellrechtlichen Voraussetzungen im Inland – und (nur) deshalb in der Form der Aufenthaltserlaubnis - erteilt worden ist. Insbesondere kann hierfür der Umstand nicht herangezogen werden, dass sich der Ausländer im Zeitpunkt der Erteilung des nationalen Visums regelmäßig noch im Ausland aufgehalten hat. Denn in dem Zeitpunkt des Todes des Ehegatten, auf den der Gesetzgeber in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (neben dem Besitz eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug) für die Entstehung eines schützenswerten Vertrauens und damit für die Einräumung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts offenkundig allein abstellt, lebt der Visuminhaber ebenso wie der Besitzer einer Aufenthaltserlaubnis in ehelicher Lebensgemeinschaft und damit im Bundesgebiet.

bbb) Die hier unter Berücksichtigung des dargestellten Regelungszwecks vertretene Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG dahin, dass auch ein Aufenthaltstitel in Form eines nationalen Visums, das dem Ausländer nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilt worden ist und das insoweit Vertrauen auf Gewährung eines längerfristigen Aufenthaltsrechts begründet, eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" darstellt, wahrt zudem die - vom Gesetzgeber beabsichtigte – Kontinuität zu der im Wesentlichen gleichlautenden Vorgängerregelung in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG (vgl. BT-Drucks. 15/420 S. 82). Durch diese Vorschrift war bereits ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für den überlebenden ausländischen Ehegatten eines sich berechtigt im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers bzw. eines Deutschen begründet worden, sofern der ausländische oder deutsche Ehepartner während des Bestehens der ehelichen Lebensgemeinschaft gestorben ist und der überlebende Ehegatte im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis für den Ehegattennachzug war. Insoweit konnte nach bisherigem Recht die "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG auch eine Aufenthaltsgenehmigung sein, die der überlebende Ausländer vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der deutschen Auslandsvertretung in Form des Sichtvermerks (Visum) nach § 3 Abs. 3 i.V.m. §§ 17, 18, 23 AuslG eingeholt hatte. Der Sichtvermerk zum Zweck des Familiennachzugs stand insoweit der im Inland zum selben Zweck erteilten Aufenthaltserlaubnis gleich und begründete ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des überlebenden Ehegatten, sofern die übrigen Erteilungsvoraussetzungen vorlagen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.3.2006, InfAuslR 2006, 328; Juris Rn. 12, dort zum Sichtvermerk für einen Kindernachzug).

Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber diese materielle Rechtslage durch das Aufenthaltsgesetz ändern und die Voraussetzungen für das Entstehen eines eigenständigen Aufenthaltsrechts des überlebenden Ehegatten verschärfen wollte. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist insoweit weitgehend wortgleich mit § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG, und an der darin getroffenen Regelung wollte der Gesetzgeber erkennbar festhalten (BT-Drucks. 15/420 S. 82). Soweit es im Aufenthaltsgesetz an einer wortgleichen Übereinstimmung des in § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit dem in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG genannten Aufenthaltstitel fehlt, dürfte daraus nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe Inhaber eines nationalen Visums für einen Daueraufenthalt von einem eigenständigen Aufenthaltsrecht ausschließen wollen, auch wenn und soweit der überlebende Ehegatte im Übrigen die nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Erteilungsvoraussetzungen für ein solches Recht erfüllt. Die insoweit in Bezug auf § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlende wörtliche Übereinstimmung mit der Kategorisierung der Aufenthaltstitel in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AufenthG dürfte diese Feststellung nicht tragen. Denn die Neufassung der Aufenthaltstitel durch das Aufenthaltsgesetz, durch die der bisherige im Ausländerrecht geregelte Oberbegriff der Aufenthaltsgenehmigung für die verschiedenen Formen eines Aufenthaltsrechts abgelöst worden ist, und die in diesem Zusammenhang erfolgte Anerkennung des Visums als eigenständiger Aufenthaltstitel war vorrangig den gemeinschaftsrechtlichen Visumregelungen und der Visumerteilungspraxis geschuldet (BT-Drucks. 15/420 S. 69; Hailbronner, AuslR, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 7, 8). Jedenfalls kann aus dieser Neufassung der Aufenthaltstitel nicht darauf geschlossen werden, dass Ausländer, die mit einem nationalen Visum zum Zweck der Familienzusammenführung zu einem Daueraufenthalt in das Bundesgebiet eingereist sind, sich hierauf zur Begründung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht (mehr) berufen können. Das ergibt sich im Übrigen auch nicht aus der Begründung der Bundesregierung des Zuwanderungsgesetzes, soweit es dort heißt, Veränderungen während der Dauer des Visums könnten, etwa in den Fällen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, zur Anwendbarkeit einer anderen Rechtsgrundlage führen (BT-Drucks. 15/420 S. 71). Nach den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministerium des Innern (a.a.O. Nr. 6.4.1) wird damit darauf Bezug genommen, dass nach § 39 Nr. 1 AufentV jedem Inhaber eines nationalen Visums ein Aufenthaltstitel zu jedem gesetzlich vorgesehenen Aufenthaltszweck ohne Ausreise und erneutes Visumverfahren erteilt wird. Veränderungen des Aufenthaltszwecks können insoweit unter anderem auch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sein (vgl. auch Hofmann/Hoffmann, Handkommentar- AuslR § 6 AufenthG Rn. 189).

ccc) Die Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG dahin, dass auch ein nationales Visum für einen familienbedingten Daueraufenthalt eine verlängerungsfähige Aufenthaltserlaubnis im Sinne dieser Vorschrift darstellt, vermeidet schließlich einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, der gegebenenfalls bei einer einschränkenden, ausschließlich am Wortlaut und insbesondere der Kategorisierung der Aufenthaltstitel in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AufenthG haftenden Auslegung drohen könnte. Denn es dürfte kein sachlicher Grund dafür anzuerkennen sein, das Vertrauen auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland von ausländischen Ehegatten eines Deutschen, die im Zeitpunkt der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Tod im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs gewesen sind, in dem Fall der Erteilung des Aufenthaltstitels im Inland als Aufenthaltserlaubnis zu schützen und dem Überlebenden nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht einzuräumen, dagegen in dem Fall der Erteilung des Aufenthaltstitels im Ausland als Visum dem ausländischen Ehegatten des verstorbenen Deutschen Vertrauensschutz und damit das eigenständige Aufenthaltsrecht zu verweigern. Denn Sinn und Zweck des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bestehen (wie oben ausgeführt) gerade darin, das Vertrauen auf einen längerfristigen Aufenthalt derjenigen Ausländer zu schützen, deren Aufenthaltsbegehren zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft (wie hier) sowohl hinsichtlich der allgemeinen als auch der speziellen Erteilungsvoraussetzungen geprüft und positiv beschieden worden ist, wenn deren deutscher Ehegatte nach der Erteilung des Aufenthaltstitels stirbt, während die eheliche Gemeinschaft im Bundesgebiet besteht. Allein der Umstand, dass (wie vorliegend) der (überlebende) ausländische Ehegatte aufgrund seiner Staatsangehörigkeit den Aufenthaltstitel zum Familiennachzug vor der Einreise eingeholt - und sich insoweit an das gesetzliche vorgeschriebene formale Erteilungsverfahren gehalten hat -, dürfte kein zureichender Grund dafür sein, ihn in Bezug auf den Schutz seines Vertrauens auf Gewährung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts gegenüber solchen Ausländern schlechter zu stellen, die den Aufenthaltstitel für denselben Zweck ohne vorherige Ausreise (etwa wegen Vorliegens tatsächlicher oder rechtlicher Abschiebungshindernisse) einholen konnten. Dass über das Aufenthaltsbegehren für einen Daueraufenthalt zu dem genannten Zweck von unterschiedlichen Stellen entschieden und der Aufenthaltstitel, der sowohl als Visum als auch als Aufenthaltserlaubnis zu befristen ist, dementsprechend nach Durchführung des Visumverfahrens im Antragsstaat von der deutschen Auslandsvertretung und sonst von der für den Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde erteilt wird, dürfte in Bezug auf den - für die Anwendung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG maßgeblichen - Vertrauensschutz ebenfalls als zureichender Grund für eine Schlechterstellung des Inhabers eines nationalen Visums ausscheiden.

ddd) Der Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG dahin, dass auch ein Aufenthaltstitel in Form eines nationalen Visums für einen Daueraufenthalt ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des überlebenden Ehegatten begründen kann, stehen nicht - wie vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss angenommen – die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2007 (BVerwGE 129, 226 ff.; juris) und vom 9. Dezember 2009 (InfAuslR 2010, 274 ff.; juris) entgegen. In diesen Entscheidungen waren andere Erteilungsvoraussetzungen für die Gewährung eines eigenständigen Aufenthaltsrecht des Ehegatten streitig und ist die hier maßgebliche Frage, ob nur ein Aufenthaltstitel in der Form der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verlängert werden kann, nicht beantwortet worden.

So hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 9. Dezember 2009 (a.a.O.) lediglich - positiv – entschieden, dass in die Zweijahresfrist des Bestehens der ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG 1990 auch der Zeitraum einzubeziehen sei, in dem der Ehegatte nach seiner Einreise im Besitz eines Aufenthaltstitels in Gestalt eines gültigen Visums gewesen sei (juris Rn. 33, 34). Dagegen hat sich das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung nicht zu der hier maßgeblichen Frage geäußert, ob ein Sichtvermerk bzw. ein nationales Visum einen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG 1990 bzw. nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG verlängerungsfähigen Titel darstellt und ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten begründen kann. Dafür bestand bei dem streitigen Sachverhalt, der die Verlängerung einer bereits von der Ausländerbehörde erteilten Aufenthaltserlaubnis betraf, auch kein Anlass.

Das Verwaltungsgericht kann sich für seine allein am Wortlaut orientierte Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch nicht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2007 (a.a.O.) berufen. Die im angefochtenen Beschluss wiedergegebene Passage aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz stelle nur dann eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dar, wenn sie diesem nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilt worden sei (juris Rn. 17) - wird schon durch die davorstehenden und die nachfolgenden Ausführungen relativiert, in denen vorrangig von dem zum Zweck des Familiennachzugs erteilten Aufenthalts titel die Rede ist (juris Rn. 16 ff.). Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht seinem Urteil den Leitsatz vorangestellt, nach dem ein Aufenthaltstitel (nur) dann eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz1 AufenthG darstelle, wenn er diesem nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilt worden sei. Allerdings ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang dieser Entscheidung, dass das Bundesverwaltungsgericht durch die Formulierung dieses Leitsatzes – und insbesondere durch der Verwendung des Ausdrucks "Aufenthaltstitel" - nicht schon die hier maßgebliche Frage entschieden hat, dass auch ein nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als nationales Visum erteilter Aufenthaltstitel im Fall der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft (durch Trennung oder Tod) als eigenständiges Aufenthaltsrecht im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verlängert werden kann. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der dortigen Klägerin als überlebendem Ehegatten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG bzw. nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG schon deshalb verneint, weil der zu verlängernde Aufenthaltstitel (dort ursprünglich als Aufenthaltsbefugnis erteilt) nicht nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs, sondern lediglich aus humanitären Gründen erteilt worden war (juris Rn.17). [...]