VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31.01.2011 - 14a L 1578/10.A - asyl.net: M18135
https://www.asyl.net/rsdb/M18135
Leitsatz:

Ablehnung eines Eilantrags gegen eine Dublin-Überstellung nach Italien. Es gibt keine überzeugenden Hinweise darauf, dass das Asylsystem in Italien dem normativen Vergewisserungskonzept nicht (mehr) entspricht, insbesondere haben UNHCR und andere Menschenrechtsorganisationen wie etwa Amnesty International oder Human Rights Watch keine Empfehlungen für einen Überstellungsstopp wie für Griechenland gegeben.

Probleme mit den Aufnahmekapazitäten der Unterkünfte werden nicht verkannt, diese betreffen jedoch nicht den unmittelbaren Zugang zum italienischen Asylsystem. Sollte der Antragsteller bei der Unterbringung oder Lebensunterhaltssicherung Schwierigkeiten haben, wäre das italienische Rechtsschutzsystem zu nutzen.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Italien, Konzept der normativen Vergewisserung, Zustellung
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Umstände, auf Grund derer es sich aufdrängen könnte, dass der Antragsteller von einem der in dem o.g. normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen wäre bzw. die die Prognose stützen könnten, dass in Italien ein verfahrensrechtlicher und materieller hinreichender Schutz nicht gewährt sind, sind nicht glaubhaft gemacht worden.

Es gibt keine überzeugenden Hinweise dafür, dass das Asylsystem in Italien dem der Regelungen der §§ 34a, 27a AsylVfG zu Grunde liegenden Konzept nicht (mehr) entsprechen könnte. Die Kammer schließt sich insoweit insbesondere der vom VG Düsseldorf aktuell vertretenen Auffassung an (vgl. Beschluss vom 7. Januar 2011 - 21 L 2285/10.A -, www.nrwe.de und Urteil vom 30. Juli 2010 - 13 K 3075/10.A; so im Ergebnis u.a. auch VG Saarbrücken, Beschluss vom 20. September 2010 - 6 L 919/10 -, VG Schleswig, Urteil vom 28. Dezember 2009 - 7 A 122/08 .VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 18. August 2008 - RN 6 K 08.30033 -, jeweils juris).

Folgendes ist für diese Einschätzung wesentlich:

Eine Empfehlung des UNHCR, wie sie zu Griechenland ergangen ist, Asylsuchende nicht mehr auf der Grundlage der Dublin II-Verordnung nach dorthin zu überstellen, gibt es für Italien nicht.

Der Kammer sind auch keine entsprechenden Empfehlungen anderer Menschenrechtsorganisationen - wie etwa Amnesty International oder Human Rights Watch - bekannt.

Des weiteren sehen sowohl der österreichische Asylgerichtshof (Spruch vom 3. Mai 2010 - S16 412.194-112010-4E -, veröffentlicht unter www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m.w.N.) als auch das schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. etwa Urteile vom 15. Juli 2010 - D-4987/2010 - und vom 18. März 2010 - D-1496/2010 -, jeweils veröffentlicht: www/bundesverwaltungsgericht.ch/index/entscheide/jurisdiction-datenbank/jurisdiction-recht-urteile-aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien auch in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig an.

Soweit Medien über Probleme von Asylsuchenden berichtet haben, wurde dort der Fokus auf die Situation von Flüchtlingen gelegt, die in Booten über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen suchen. Diese Situation ist mit Asylsuchenden, die, wie möglicherweise im Fall des Antragstellers, im Rahmen des Dublin II-Verfahrens in ein anderes EU-Land überstellt werden, nicht zu vergleichen. Diese werden vielmehr am Flughafen von der Polizei im Empfang genommen und im Grundsatz bevorzugt behandelt (vgl. Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Stand: November 2009, www.beobachtungsstelle.ch/fileadmin/user-upload/pdf_divers/Berichte/Bericht_DublinII-Italien.pdf).

Dabei ist jedoch nicht zu verkennen, dass es nach dem genannten Bericht, der sich mit der Situation in Rom und Turin befasst, örtliche Probleme mit den Aufnahmekapazitäten bei den Unterkünften gibt, die allerdings nicht unmittelbar den Zugang zum italienischen Asylsystem betreffen. Solche Probleme werden auch in dem vom Antragsteller im vorliegenden Verfahren in Bezug genommenen Bericht von Frau Maria Bethke und Rechtsanwalt Dominik Bender (vgl. Bericht vom 29. November 2010 über die Recherchereise nach Rom und Turin im Oktober 2010, Bl. 32 ff BA 1) erwähnt. Soweit darin eine bevorzugte Behandlung von Dublin-Rückkehrern als praktisch nicht existent bewertet wird (S. 13 des Berichts), wird dies dadurch für den Fall des Antragstellers relativiert, dass sich wesentliche Erkenntnisse dieses Berichts ausdrücklich auf die Lebenswirklichkeit von Menschen aus den Herkunftsländern Eritrea, Äthiopien und Somalia beziehen (vgl. u.a. S. 2 des Berichts) und nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich ist, dass die beschriebenen Beobachtungen und Schlussfolgerungen ohne weiteres auf die Angehörigen sämtlicher Nationalitäten übertragen werden können.

Es ist nicht ersichtlich, dass sich die auch von der Schweizerischen Beobachtungsstelle kritisierte Situation derart verschlechtert haben könnte, dass der Antragsteller für den Fall seiner Überstellung nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den genannten Problemen ausgesetzt sein wird. Sollte es im Falle des Antragstellers im Zusammenhang mit Unterbringung oder Lebensunterhalt gleichwohl Schwierigkeiten geben, wäre das in Italien bestehende Rechtsschutzsystem, ggf. unter Anrufung der zuständigen Gerichte, zu nutzen. Wie das vorliegende Verfahren zeigt, ist jedenfalls der Antragsteller aufgrund seiner Herkunft und Bildung in der Lage, sich auch in ihm fremden Ländern und Rechtsordnungen ggf. anwaltlicher Hilfe zu bedienen.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die - teilweise auch vom Antragsteller in Bezug genommenen - Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte, die die Überstellungen von Asylsuchenden im Rahmen des Dublin II-Verfahren vorübergehend ausgesetzt haben (VG Köln, Beschluss vom 10. Januar 2011 - 20 L 1920/10.A -, VG Minden, Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 - 3 L 625/10.A -; vom 28. September 2010 - 3 L 491/10.A - und vom 22. Juni 2010 - 12 L 284/10.A -; VG Darmstadt, Beschluss vom 9. November 2010 - 4 L 1455/10.DA.A (1) -; VG Weimar, Beschluss vom 15. Dezember 2010 - 5 E 20190/10 We VG Frankfurt/Main, Beschluss vom 2. August 2010 - 8 L 1827/10.F.A -) sich zumeist nicht darauf stützen, dass in Italien die Durchführung eines den Mindestanforderungen genügenden Asylverfahrens generell nicht gewährleistet sei, sondern verschiedene Fragen aufwerfen, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf der Ebene der Interessenabwägung zu Gunsten der jeweiligen Antragsteller als offen angesehen wurden. [...]