OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.12.2010 - 18 B 1468/10 - asyl.net: M18104
https://www.asyl.net/rsdb/M18104
Leitsatz:

Ist die Abschiebung nicht alsbald möglich, der Zeitraum vielmehr ungewiss, ist einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Duldung zu erteilen. Die Systematik des AufenthG lässt grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt eines Ausländers.

Schlagwörter: Duldung, vorläufiger Rechtsschutz, Duldungsbescheinigung
Normen: VwGO § 123, AufenthG § 60a Abs. 2, AufenthG § 60a Abs. 4
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin hatte glaubhaft gemacht, dass ihr ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zustand:

Die Systematik des Aufenthaltsgesetzes lässt grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt eines Ausländers. Ist ein Ausländer - wie hier die Antragstellerin nach Ablauf der ihr mit dem Ablehnungsbescheid vom 18. März 2010 gesetzten Ausreisefrist bis zum 30. April 2010 - vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG), ist er nach der Konzeption des Aufenthaltsgesetzes entweder unverzüglich abzuschieben oder zu dulden. Die Duldung wegen einer Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG ist auch dann zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar grundsätzlich möglich ist, die Ausreisepflicht tatsächlich aber nicht ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann. Die Ausländerbehörde hat insofern nicht nur zu untersuchen, ob die Abschiebung des Ausländers überhaupt erfolgen kann, sondern auch innerhalb welchen Zeitraums diese zu erwarten ist. Ist die Abschiebung nicht alsbald möglich, der Zeitraum vielmehr ungewiss, ist eine Duldung zu erteilen (vgl. zur Möglichkeit, die Duldung mit Nebenbestimmungen, insbesondere einer auflösenden Bedingung zu versehen, Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand Mai 2010, § 60a Rdnr. 91).

Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer freiwillig ausreisen könnte und ob er die Entstehung des Ausreisehindernisses zu vertreten hat (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 6. März 2003 - 2 BvR 397/02 -, juris; BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 - 1 C 3.97 -, juris; Senatsbeschluss vom 24. März 2010 - 18 B 84/10 -).

Vorliegend war schon bei Beantragung der Duldung bzw. der Duldungsbescheinigung im Juli 2010 und erst recht im Zeitpunkt der Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes im Oktober 2010 ungewiss, wann eine Abschiebung der Antragstellerin, die seit Juni 2010 nicht mehr über gültige Ausweispapiere verfügte, möglich gewesen wäre. Die von Seiten des Antragsgegners erfolgte Prüfung einer möglichen Rückführung dauerte seinerzeit bereits seit Wochen an, ohne dass ein Ende konkret absehbar war.

Für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung bestand auch ein Anordnungsgrund. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass eine Abschiebung der Antragstellerin weder geplant war noch unmittelbar bevorstand. Dies ist unerheblich, weil die Antragstellerin keinen Abschiebungsschutz, sondern die Zuerkennung des von ihr beanspruchten Aufenthaltsstatus sowie die hierüber nach § 60a Abs. 4 AufenthG auszustellende schriftliche (Duldungs-)Bescheinigung begehrte. Da die Duldung den Aufenthalt des Ausländers nicht legalisiert, sondern im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung ergeht und lediglich eine vorübergehende Aussetzung der Vollstreckung bedeutet, scheidet die rückwirkende Erteilung in einem Hauptsacheverfahren regelmäßig aus. Aus der Verpflichtung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) folgt daher, dass Rechtsschutz bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich im Verfahren nach § 123 VwGO zu gewähren ist. [...]