SG Aachen

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Zitieren als:
SG Aachen, Urteil vom 15.12.2010 - S 5 AS 780/10 - asyl.net: M18099
https://www.asyl.net/rsdb/M18099
Leitsatz:

Keine Anwendung von § 20 Abs. 3 SGB II (Mischregelsatz von 90 % der Regelleistung) auf Fälle, in denen Leistungsbezieher nach dem SGB II in einer Bedarfsgemeinschaft mit Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG leben.

Schlagwörter: SGB II, Regelleistung, Bedarfsgemeinschaft, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz,
Normen: SGB II § 20 Abs. 2, SGB II § 20 Abs. 3, SGB II § 20 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt. Die Bescheide vom 04.05.2010, 19.05.2010 und 16.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2010 sowie die Bescheide vom 12.07.2010 und 17.08.2010 sind rechtswidrig. Die Klägerin hat im Zeitraum von April bis August 2010 - nur auf diesen Zeitraum beziehen sich die angegriffenen bzw. gemäß § 86 SGG und § 96 SGG einbezogenen Änderungsbescheide - einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II unter Zugrundelegung einer bei ihr zu berücksichtigenden Regelleistung in Höhe von 359,- EUR, d.h. in Höhe von 100 vom Hundert der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 SGB II.

Nach § 19 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Dazu gehört unter anderem die Regelleistung nach § 20 SGB II, die gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 SGB II im streitgegenständlichen Zeitraum 359,- EUR beträgt. Gemäß § 20 Abs. 3 SGB II beträgt die Regelleistung dagegen jeweils 90 vom Hundert der Regelleistung nach Absatz 2, wenn zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet haben.

Im Rahmen der Leistungsberechnung ist hinsichtlich der Klägerin eine Regelleistung in Höhe von 100 vom Hundert gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen. § 20 Abs. 3 SGB II findet keine Anwendung. Der Normzusammenhang zwischen § 20 Abs. 3, Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB II begrenzt den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 20 Abs. 3 SGB II auf Bedarfsgemeinschaft aus zwei nach dem SGB II leistungsberechtigten Partnern (vgl. dazu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.04.2010, L 10 AS 1228/09; siehe auch Sozialgericht Münster, Urteil vom 02.06.2010, S 3 AS 262/08 - anhängig beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen unter L 1 AS 1311/10). Für den Fall "asymmetrischer Leistungsansprüche" kommt indes nur eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift in Betracht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16.10.2007, B 8/9b SO 2/06 R). Eine entsprechende Anwendung des § 20 Abs. 3 SGB II ist aber gerade im vorliegenden Fall, d.h. im Fall einer Partnerbedarfsgemeinschaft, die aus einer Berechtigten nach dem SGB II und einem Bezieher von Leistungen nach § 3 AsylbLG, nicht geboten (vgl. Landessozialgericht Berlin- Brandenburg, Urteil vom 14.04.2010, L 10 AS 1228/09; Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 02.09.2010, L 5 AS 19/08; Sozialgericht Münster, Urteil vom 02.06.2010, S 3 AS 262/08; a.A. Sozialgericht Duisburg, Urteil vom 11.12.2009, S 31 AS 261/08 bzw. Beschluss vom 19.11.2009, S 31 AS 414/09 ER).

Die Regelung des § 20 Abs. 3 SGB II, die von der im Bundessozialhilfegesetz noch vorgesehenen Rechtsfigur des Haushaltsvorstandes Abstand nimmt, hält weiterhin an dem einer "Zweiergemeinschaft" zustehenden Volumen in Höhe von insgesamt 180 vom Hundert der Regelleistung fest. Demnach bezweckt die Vorschrift nur eine bestimmte Verteilung innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft, sie soll indes keine Abänderung der Leistungshöhe bewirken. Dieses würde aber der Fall sein, wenn sie auch bei der Klägerin (und gerade nur bei dieser) Anwendung fände. Denn der Klägerin und ihrem Lebenspartner stehen zusammen keine 180 vom Hundert der Regelleistung, sondern erheblich geringere Leistungen zu.

Die Anwendung der Verteilungsregel des § 20 Abs. 3 SGB II ist nur gerechtfertigt, wenn die Absenkung der Regelleistung durch die dem Partner zustehenden Leistungen kompensiert wird. Davon ist bei zwei Partnern, die jeweils 90 vom Hundert der Regelleistung erhalten und durch ihr gemeinsames Wirtschaften Aufwendungen ersparen, auszugehen. Bei zwei Partnern, von denen einer nur - wie hier - Leistungen nach dem AsylbLG in Höhe von ca. 56 vom Hundert der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 erhält (unabhängig von der Frage, ob die Leistungen nach § 3 AsylbLG grundsätzlich noch verfassungsgemäß sind, vgl. dazu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Vorlagebeschluss vom 26.07.2010, L 20 AY 13/09 - anhängig beim Bundesverfassungsgericht unter 1 BvL 10/10), ist dieses indes nicht der Fall (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.04.2010, L 10 AS 1228/09; Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 02.09.2010, L 5 AS 19/08; vgl. bereits Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.05.2007, L 18 B 472/07 AS ER). Die Anwendung des § 20 Abs. 3 SGB II im vorliegenden Fall würde demnach zu einer nicht akzeptablen Schlechterstellung der Klägerin durch die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft mit einer nach dem AsylbLG berechtigten Person in dem Sinne führen, dass ihr anzuerkennender individueller Bedarf nicht gedeckt würde (vgl. auch Sozialgericht Hamburg, Beschluss vom 24.04.2008, S 56 AS 796/08 ER). [...]