OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 18.06.2010 - 3 Bs 2/10 - asyl.net: M18095
https://www.asyl.net/rsdb/M18095
Leitsatz:

1. Zu den in § 104a Abs. 1 AufenthG bestimmten Aufenthaltszeiten gehören solche nicht, in denen der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Führens einer ehelichen Lebensgemeinschaft war. Ob der Auffassung zuzustimmen ist, dass eine "überlagernde" Aufenthaltserlaubnis, die während des Anrechnungszeitraums zu anderen als humanitären Zwecken erteilt wurde, unschädlich ist, solange der Ausländer weiterhin die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung erfüllte, bleibt offen.

2. Nach der Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis kann der von ihr erfasste Zeitraum nicht als geduldet im Sinne des § 104a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt werden.

3. Die Ausweisungstatbestände in § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2 AufenthG sind nebeneinander anwendbar. Ein Spezialitätsvorrang des § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AufenthG ergibt sich nicht wegen der darin normierten Belehrungspflicht über die Folgen einer Falschaussage.

4. Ein Ausweisungsgrund liegt vor im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, wenn er verwertbar und nicht verbraucht ist. Für die Frage der Verwertbarkeit nicht abgeurteilter Verfehlungen in entsprechender Anwendung auf die Bestimmungen des Verwertungsverbots nach § 51 BZRG abzustellen, begegnet Bedenken. - Der Eintritt der Verfolgungsverjährung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB verbietet es nicht, eine strafbare Verfehlung bei der Anwendung des Aufenthaltsgesetzes zu berücksichtigen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: eheliche Lebensgemeinschaft, Arbeitserlaubnis, überlagernde Arbeitserlaubnis, Rücknahme der Arbeitserlaubnis, Rücknahme, Ausweisungsgrund, Spezialitätsvorrang, Verwertbarkeit, Verwertungsverbot, Verwertungsverjährung, wirtschaftliche Integration, Integration,
Normen: AufenthG § 5 Abs. 1, AufenthG § 55 Abs. 2, AufenthG § 104a, BZRG § 51, StGB § 78 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

2. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die dargelegten Gründe rechtfertigen es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz in Gestalt einer Duldung bis zum rechtskräftigen Abschluss des anhängigen Klageverfahrens zu gewähren. Denn der Antragsteller gehört nicht zum berechtigten Personenkreis des § 104 a Abs. 1 AufenthG (a), er genießt keinen Schutz als "faktischer Inländer" gemäß Art. 8 EMRK und kann daher keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beanspruchen (b). Des Weiteren erfüllt er nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, so dass ihm keine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 2 AufenthG erteilt werden kann (c), ohne dass es in diesem Rahmen auf eine Ermessensausübung der Antragsgegnerin ankommt. Schließlich kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18 a AufenthG nicht in Betracht (d).

a) Soweit der Antragsteller vorträgt, er gehöre zum berechtigten Personenkreis des § 104 a Abs. 1 AufenthG und es sei in diesem Zusammenhang unschädlich, dass ihm zwischenzeitlich eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen erteilt worden sei, greift diese Rüge nicht durch. Sie erschüttert nicht die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses, in dem bereits diese Voraussetzung als zweifelhaft angesehen worden war. Denn der Antragsteller unterfällt nicht dem berechtigten Personenkreis des § 104 a Abs. 1 AufenthG.

Gemäß § 104 a Abs. 1 AufenthG soll abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG einem geduldeten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 - ohne mit Kindern in häuslicher Gemeinschaft zu leben - seit mindestens acht Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und sofern er weitere Voraussetzungen zur Integration erfüllt.

Der Antragsteller erfüllt jedoch weder nach dem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck der Vorschrift die Voraussetzung, rückgerechnet ab dem 1. Juli 2007 acht Jahre lang, d.h. seit dem 1. Juli 1999 ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen in der Bundesrepublik gelebt zu haben. Da der Gesetzgeber ausdrücklich auf diesen Zeitraum abstellt ("am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren…ununterbrochen…"), sind vorherige Zeiten, in denen sich ein Ausländer geduldet in Deutschland aufgehalten hat, unerheblich. Nicht anrechenbar sind nach § 104 a Abs. 1 AufenthG grundsätzlich Zeiten, in denen der Ausländer vorübergehend im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zu anderen Zwecken gewesen ist, da für diesen Personenkreis die Altfallregelung des § 104 a AufenthG nicht konzipiert wurde (st. Rspr. des Beschwerdesenats, vgl. Beschl. v. 21.2.2008, AuAS 2008, 110; OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.11.2007, AuAS 2008, 14; VGH Mannheim, Beschl. v. 30.9.2008, AuAS 2009, 16; Huber, AufenthG, 2010, § 104 a, Rdnr. 3; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: Mai 2010, § 104 a Rdnr. 8). Begünstigt werden nach dem Wortlaut der Vorschrift nur ausreisepflichtige Ausländer, deren letzter Rechtsstatus eine Duldung bildete bzw. – nach einer erweiternden Auslegung - solche, die einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung besaßen. Darauf gerichtet war auch die gesetzgeberische Absicht. Diese zielt ausweislich der Gesetzesbegründung - vgl. BT-Drucks. 16/5065, S. 201 f. - darauf, dem Bedürfnis der seit Jahren im Bundesgebiet geduldeten und integrierten Ausländer nach einer dauerhaften Perspektive Rechnung zu tragen. Zugleich sollte dem Umstand entsprochen werden, dass zahlreiche dieser Ausländer aller Voraussicht nach in nächster Zeit nicht abgeschoben werden konnten. Davon ausgehend dient § 104 a Abs. 1 AufenthG dazu, unter bestimmten Voraussetzungen Ausländern, die sonst weiterhin zu dulden wären, eine Aufenthaltserlaubnis zu vermitteln. Damit soll dem so bestimmten Personenkreis (erstmals) eine dauerhafte Perspektive in Deutschland eröffnet werden. Die Verlängerung einer abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis richtet sich dagegen nach den allgemeinen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes (§ 8 Abs. 1 AufenthG).

Der Antragsteller war innerhalb des relevanten Zeitraums zwischen dem 1. Juli 1999 und dem 1. Juli 2007 zunächst im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Führens einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau. Diese Aufenthaltserlaubnis war ihm am 25. Februar 1999 erteilt worden und lief am 24. Februar 2002 aus. Bereits dies sperrt somit grundsätzlich die Anwendbarkeit des § 104 a Abs. 1 AufenthG.

Ob der Auffassung zuzustimmen ist, dass eine "überlagernde" Aufenthaltserlaubnis, die während des Anrechnungszeitraums zu anderen als humanitären Zwecken erteilt wurde, unschädlich ist, solange der Ausländer weiterhin die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung erfüllte (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 30.9.2008, a.a.O.; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, a.a.O. Rdnr. 11; Fränkel in: Hofmann/Hoffmann, AuslR, 1. Aufl., 2008, § 104 a, Rdnr. 8), kann hier offen bleiben. Denn der Antragsteller hätte nur zu Beginn des Zeitraums, in dem er die Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen besaß, eine Duldung beanspruchen können. Der Abschiebeschutz, den er durch die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 besaß, erlosch, als er sich am 31. August 2000 einen jugoslawischen Reisepass ausstellen ließ (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG in der Fassung vom 27.7.1993, BGBl. I S. 1361). Der am 13. November 2000 erklärte Verzicht auf die Flüchtlingseigenschaft war nicht mehr relevant; er erfolgte übrigens entgegen der Darstellung des Antragstellers nicht im Zusammenhang mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, die er bereits seit dem 25. Februar 1999 besaß. Ein Ausreisehindernis bestand seit dem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr; weitere Duldungsgründe sind nicht erkennbar.

Auch für den Zeitraum zwischen dem 21. Februar 2002 und dem 2. Februar 2004 kann der Antragsteller keine anrechenbare Voraufenthaltszeit vorweisen. Denn die ihm am 21. Februar 2002 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis war am 2. Februar 2004 - inzwischen bestandskräftig - zurückgenommen worden. Nach der Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis kann der von ihr umfasste Zeitraum nicht als geduldet im Sinne des § 104 a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt werden (OVG Hamburg, Beschl. v, 21.2.2008, a.a.O.; OVG Münster, Beschl. v. 30.7.2008, AuAS 2009, 18; Funke-Kaiser, a.a.O. Rdnr. 8; Hailbronner, AuslR, Stand: Feb. 2010, § 104 a AufenthG, Rdnr. 5). Die Duldung bedurfte nach dem Ausländergesetz ebenso wie heute nach dem Aufenthaltsgesetz der Erteilung und nach ihrem Erlöschen gegebenenfalls der Erneuerung durch die Ausländerbehörde (§§ 55, 56 Abs. 2, 56 a AuslG 1990, § 60 a Abs. 2, 4 und 5 AufenthG). Die Fiktion einer Duldung für die Zeit, in der ein Ausländer eine später zurückgenommene Aufenthaltserlaubnis besessen hat, ist dem Ausländerrecht fremd (OVG Münster, a.a.O.).

Danach ist unerheblich, ob der weitere Zeitraum zwischen dem 2. Februar 2004 und dem 31. Juni 2007, als der Antragsteller sich mit dem Suspensiveffekt seiner Klage gegen die Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig in Deutschland aufhielt, als anrechenbar im Sinne des § 104 a Abs. 1 AufenthG zu bewerten ist. Dasselbe gilt für das Vorliegen des Ausschlussgrundes gemäß § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG.

b) Soweit der Antragsteller eine fehlerhafte Würdigung seiner Eigenschaft als "faktischer Inländer" im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 Abs. 1 EMRK durch das Verwaltungsgericht rügt, dringt er damit nicht durch. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller als "faktischer Inländer" ein rechtliches Abschiebungshindernis geltend machen kann. [...]

Zugunsten des Antragstellers sprechen seine wirtschaftliche Integration, d.h. seine Existenzsicherung und seine nach eigenen Angaben guten deutschen Sprachkenntnisse. Sein inzwischen fast 17jähriger Aufenthalt war jedoch seit einem längeren Zeitraum rechtlich nicht gesichert, was einer schutzwürdigen Aufenthaltsverfestigung entgegen steht. So besitzt er seit Februar 2002, d.h. seit mehr als acht Jahren, keine Aufenthaltserlaubnis mehr und durfte er sich lediglich im Hinblick auf ein laufendes Rechtsmittelverfahren, das zu seinen Lasten ausfiel, in Deutschland aufhalten. Ein geschütztes Vertrauen auf einen langfristigen Aufenthalt in Deutschland konnte sich darauf gestützt nicht länger bilden. Der Antragsteller ist insbesondere weder ein Ausländer der "zweiten Generation" noch ein in jungem Lebensalter eingereister Ausländer. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass der Antragsteller erst im Alter von 29 Jahren nach Deutschland eingereist ist, d.h. nicht hier, sondern in seinem Heimatland, dem Kosovo, seine Kindheit, Jugend und sein junges Erwachsenenalter erlebt, d.h. seine Sozialisation erfahren hat. Er hat danach deutlich weniger Zeit (knapp 17 Jahre) in Deutschland verbracht als in seinem Heimatland. Dies unterscheidet ihn maßgeblich von den Ausländern der "zweiten Generation" bzw. den früh eingereisten Ausländern, die mit den Lebensverhältnissen ihres Heimatlandes nicht vertraut sind. Bis zu seinem 29. Lebensjahr hat der Antragsteller nach eigenen Angaben im Asylverfahren gemeinsam mit mindestens einem Bruder bei der Familie seiner Mutter im Kosovo gelebt. Er hat nicht geltend gemacht, keine familiären Kontakte dorthin mehr zu besitzen. Er spricht fließend seine albanische Muttersprache und ist in der Vergangenheit mehrfach in sein Heimatland gereist, um sich um geschäftliche Angelegenheiten eines Familienangehörigen zu kümmern. Der Umstand, dass sich der Antragsteller hier eine berufliche Existenz aufgebaut hat, die er aufgeben müsste, begründet noch keine Eigenschaft als "faktischer Inländer", zumal er diese (ab 2005) zu einem Zeitpunkt aufgenommen hat, als er – wie die Antragsgegnerin zu Recht betont – nicht mehr mit einem Daueraufenthalt in Deutschland rechnen durfte.

Soweit der Antragsteller darlegt, eine wirtschaftliche Wiedereingliederung sei ihm im Kosovo nicht möglich, entkräftet dies die Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht. Denn bei der Prognose kann es nicht maßgeblich darauf ankommen, ob für den Ausländer in seinem Heimatland bereits ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, sondern vielmehr, ob ihm nach seinen individuellen Gegebenheiten eine Wiedereingliederung zugemutet werden kann. Dies ist der Fall. Der Antragsteller hat in Deutschland in einer Vielzahl von Tätigkeitsfeldern gearbeitet, im Trockenbau, als Kraftfahrer, im Automobilhandel und nunmehr als Betriebsleiter und geschäftsführender Gesellschafter im Nachtclub- bzw. Gastronomie- und Unterhaltungsgewerbe. Er verfügt offenbar in Deutschland über Kapital, mit dem er sich als Kommanditist an einem Unternehmen beteiligen kann. Auch besitzt der Antragsteller nach eigenen Angaben geschäftliche Kontakte in sein Heimatland. Wenn er mit diesen vielseitigen Fähigkeiten und finanziellen Mitteln im Alter von 46 Jahren ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen in den Kosovo zurückkehren müsste, ist trotz der deutlich schwächeren Wirtschaftslage im Kosovo im Vergleich zu Deutschland nicht erkennbar, dass er sich dort keine neue Existenz aufbauen könnte.

c) Soweit der Antragsteller beanstandet, ihm sei im Hinblick auf seine Erwerbstätigkeit zu Unrecht keine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 2 AufenthG erteilt worden bzw. er besitze einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über diesen Aufenthaltserlaubnisantrag, greift diese Rüge ebenfalls nicht durch.

Die problematisierten Rechtsfragen zu einem möglichen Ausschluss eines solchen Anspruchs durch § 10 Abs. 3 AufenthG oder zur Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung durch die Antragsgegnerin sind unerheblich, da bereits der allgemeine Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 18 Abs. 2 AufenthG entgegen steht. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund gegeben ist. Der Antragsteller hat jedoch den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht (aa); der Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) AufenthG dürfte wegen der unterbliebenen Belehrung ausscheiden. Der Anwendbarkeit des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG steht auch nicht eine Spezialität des § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) AufenthG entgegen (bb). Trotz des Zeitablaufs ist der Ausweisungsgrund verwertbar und nicht verbraucht (cc). Auch liegt kein Ausnahmefall von dem Regelversagungsgrund vor (dd). Schließlich führen die gerügten Verfahrens- und Zuständigkeitsfehler nicht zu einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Zwecken der Beschäftigung (ee).

aa) Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG kann ein Ausländer insbesondere ausgewiesen werden, wenn er u.a. einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Die Vorschrift ist dahin zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (BVerwG, Urt. v. 24.9.1996, BVerwGE 102, 63 ff. zur Vorgängervorschrift des § 46 Nr. 2 AuslG 1990; zu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 1.4.2010, 8 PA 27/10, juris, und OVG Magdeburg, Beschl. v. 22.6.2009, 2 M 86/09, juris). Eine Ausweisung nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG aufgrund eines Rechtsverstoßes ist auch dann möglich, wenn deshalb keine Verurteilung des Ausländers erfolgt ist. Der Rechtsverstoß muss dann allerdings zweifelsfrei feststehen. Ein bloßer Tatverdacht für die Annahme eines Rechtsverstoßes reicht nicht aus (vgl. VGH München, Beschl. v. 19.2.2010, 10 B 07.1564, juris).

Das Beschwerdegericht sieht es als zweifelsfrei an, dass der Antragsteller wissentlich, d.h. vorsätzlich falsche Angaben zur Erlangung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gemacht und damit den Straftatbestand des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990 (heute: § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) verwirklicht hat, der als Strafmaß eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht. Er hat am 20. Februar 2002 gegenüber der Antragsgegnerin – entgegen den späteren Feststellungen im Scheidungsverfahren - nicht nur das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau bestätigt, sondern auch das am 2. Januar 2000 geborene Kind ... als eigenes angegeben, obwohl das Amtsgericht Hamburg im Urteil vom 17. Januar 2001 gegenüber ihm als Antragsgegner festgestellt hatte, dass er nicht der Vater dieses Kindes ist. Das Beschwerdegericht hat auch keine Zweifel daran, dass der Antragsteller im Februar 2002 keine eheliche Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau geführt hat. Zu dieser Feststellung ist das Verwaltungsgericht Hamburg im Urteil vom 14. Dezember 2005 gelangt. Die gegen diese Würdigung gerichteten Einwände hat der Beschwerdesenat als Berufungsgericht im Rahmen des Zulassungsgrundes ernstlicher Zweifel geprüft und nicht als durchschlagend angesehen (vgl. Beschluss vom 31.3.2008, 3 Bf 66/06.Z). Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wurden keine darüber hinausgehenden neuen Aspekte geltend gemacht. Der Umstand, dass ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren – wie hier wegen mangelnden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO - eingestellt wurde, entfaltet keine Bindungswirkung für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (BVerwG, Beschl. v. 4.8.2008, Buchholz 310 § 138 Nr. 3 VwGO Nr. 70). Ohne die Falschangaben wäre es nicht zu der Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AuslG 1990 gekommen, die an den Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft geknüpft ist. Ob der Antragsteller bei der Angabe des wahren Sachverhaltes einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr nach § 19 Abs. 2 AuslG 1990 gehabt hätte, ist dabei unerheblich.

Wegen der Begehung einer vorsätzlichen Straftat liegt ein nicht geringfügiger Rechtsverstoß vor, so dass unerheblich ist, ob dieser als "vereinzelt" zu betrachten wäre. Denn eine vorsätzlich begangene Straftat kann grundsätzlich nicht als geringfügig angesehen werden (BVerwG, Urt. v. 24.09.1996, a.a.O.). Allerdings kann es auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten unter engen Voraussetzungen Ausnahmefälle geben, in denen der vorsätzlich begangener Rechtsverstoß als geringfügig zu bewerten ist Das kann trotz der gebotenen ordnungsrechtlichen Beurteilung etwa dann der Fall sein, wenn ein strafrechtliches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, Urteile v. 18.11.2004, BVerwGE 122, 193, und v. 24.9.1996, a.a.O., beide zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990). Derartige Umstände fehlen hier. Die Falschaussagen führten zur Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und haben damit ein erhebliches ordnungsrechtliches Gewicht.

bb) Die Anwendung des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG - ohne das Erfordernis einer vorherigen Belehrung über die Rechtsfolgen einer Falschaussage - ist auch nicht im Hinblick darauf ausgeschlossen, dass § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) AufenthG ihm als die speziellere Regelung vorginge (ebenso OVG Münster, Beschl. v. 25.9.2006, 17 B 1080/05, juris; VGH München, Beschl. v. 11.7.2007, 19 CS 07.1276, juris; VG Saarbrücken, Urt. v. 28.1.2005, 12 K 127/03, juris, zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990; VG Sigmaringen, Beschl. v. 4.10.2005, 6 K 1323/05, juris, zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990, bestätigt durch VGH Mannheim, Beschl. v. 8.6.2006, NVwZ-RR 2006, 849; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Feb. 2009, § 55 AufenthG, Rdnr. 26; Discher in: GK-AufenthG, Stand: Juli 2009, § 55 AufenthG Rdnr. 255 ff.; Albrecht in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 55 AufenthG Rdnr. 10; ebenso i.Erg. AVwV v. 26.10.2009, GMinBl. 2009, S. 877 ff., Nr. 55.2.2.8; a.A.: OVG Bremen, Beschl. v. 31.3.2003, NordÖR 2003, 211; Alexy in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 2008, § 55 AufenthG Rdnr. 19).

Aus dem Wortlaut der Vorschriften in § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) und Nr. 2 AufenthG ergibt sich nicht, dass im Falle von Falschangaben in ausländerbehördlichen Verwaltungsverfahren das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes allein nach Nr. 1 Buchstabe a) als einer spezielleren Regelung zu beurteilen ist. Beide Ausweisungsgründe stehen danach selbständig nebeneinander.

Auch die systematische Auslegung ergibt einen Spezialitätsvorrang des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht. Die Anwendungsbereiche der beiden Vorschriften sind, soweit es um Falschangaben in einem ausländerrechtlichen Verfahren geht, keineswegs identisch. Während § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) AufenthG jegliche - also auch eine vereinzelte und geringfügige - Falschangabe als Grund für die Verfügung einer Ausweisung ausreichen lässt, setzt die Anwendung des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG eine vorsätzliche Falschangabe voraus, die – wie oben erörtert - zugleich einen nicht nur vereinzelten bzw. geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften darstellt. Aus dieser Sicht erscheint es daher ohne weiteres einleuchtend, dass (nur) § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) AufenthG, der bereits ohne Rücksicht auf den konkreten Unwertgehalt des Fehlverhaltens die Rechtsfolge einer Ausweisung ermöglicht, diese an die zusätzliche Voraussetzung knüpft, dass der Ausländer vor einer Falschangabe hinsichtlich deren Rechtsfolgen belehrt worden ist, während § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, der für eine Ausweisung ein erheblich gewichtigeres, nämlich ein nicht nur vereinzeltes oder ein nicht geringfügiges, gegen Rechtsvorschriften verstoßendes Fehlverhalten erfordert, keine entsprechende Belehrung voraussetzt. Denn im letzteren Fall muss dem Ausländer auch ohne Belehrung die Bedeutung seines Fehlverhaltens und die Rechtsfolge einer möglichen Ausweisung bewusst sein.

Die Richtigkeit der vorstehenden Auslegung folgt auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Die Vorschrift des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG entspricht nahezu wörtlich der Vorgängervorschrift des § 46 Nr. 1 AuslG 1990, die durch den am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Art. 11 Nr. 7 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361 ff.) in das seinerzeit geltende Ausländergesetz eingefügt worden ist. Mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz hat der Gesetzgeber auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 reagieren und u.a. das Ausländergesetz an die neue Bedrohungslage anpassen wollen. Dementsprechend hat er mit Art. 11 Nr. 7 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes insbesondere im Hinblick auf die von internationalen gewalttätigen Gruppierungen ausgehenden Gefahren eine Ergänzung der bestehenden Möglichkeiten der Ermessensausweisung bezweckt. Der neue Ausweisungstatbestand sollte die bisherigen Gründe auch insoweit ergänzen, als nunmehr auch unrichtige Angaben gegenüber ausländischen Auslandsvertretungen zur Erlangung eines Schengen-Visums erfasst werden sollten (vgl. BT-Drucks. 14/7386, S. 56). Dieser Regelungszweck des Terrorismusbekämpfungsgesetzes würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn die Ergänzung der Ausweisungsgründe dazu führt, dass selbst in Fallgestaltungen, in denen Falschangaben einen Straftatbestand erfüllen, ein Ausweisungsgrund erst unter der weiteren Voraussetzung der vorherigen Belehrung verwirklicht ist.

cc) Der Ausweisungsgrund liegt trotz des Ablaufs von acht Jahren noch vor im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, denn er ist verwertbar und nicht verbraucht. Da der Antragsteller nicht wegen der unrichtigen Angaben nach dem zum Tatzeitpunkt anwendbaren § 95 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990 verurteilt wurde, kommt ein Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (BZRG) nicht in Betracht. Danach dürfen Eintragungen von Verurteilungen, die getilgt worden oder tilgungsreif sind, dem Betroffenen im Rechtsverkehr, wozu auch das Ausländer- bzw. Aufenthaltsrecht gehört (BVerwG, Urt. v. 5.4.1984, NVwZ 1984, 653; OVG Hamburg, Beschl. v. 22.9.2009, 3 Bf 7/06, juris; AVwV vom 26.10.2009, a.a.O., Nr. 5.1.2.3.1), nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden.

Das Bundeszentralregistergesetz enthält ebenso wenig wie das Aufenthaltsgesetz eigene Regelungen zur Frage der Dauer der Verwertbarkeit nicht abgeurteilter Verfehlungen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinen Urteilen vom 26. März 1996 (BVerwGE 101, 24 zur Verwertbarkeit nicht abgeurteilter Verfehlungen im Waffenrecht) und vom 22. Januar 2002 (BVerwGE 115, 352, 360, zur Relevanz nicht abgeurteilter Verfehlungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990) für den Fall der ausgebliebenen Verurteilung von Straftaten die Auffassung geäußert, dass eine analoge Anwendung des Verwertungsverbotes ausscheide: Die Tilgung im Bundeszentralregister und das Verwertungsverbot sollten den Strafmakel einer Verurteilung beseitigen. Sie sollten damit der Wiedereingliederung Vorbestrafter in die Gesellschaft dienen und diese nicht durch das Aufgreifen längst gesühnter Taten gefährden. Fehle es an einer Verurteilung oder handele es sich bei der Verfehlung um eine Ordnungswidrigkeit, also um eine Zuwiderhandlung ohne kriminelle Tatschuld, so sei ein derartiger Strafmakel nicht gegeben. Das Bekanntwerden des Gesetzesverstoßes sei in diesen Fällen nicht oder nicht im gleichen Maße geeignet, die soziale Stellung des Betroffenen zu gefährden. Aufenthaltsrechtlich sei jedoch zu beachten, dass ein Ausweisungsgrund bei Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls mit zunehmendem Zeitabstand so sehr an Bedeutung verlieren könne, dass er der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht mehr entgegen gehalten werden dürfe (BVerwG, Urt. v. 22.1.2002, a.a.O.). Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat in seinem Urteil vom 15. September 2007 (InfAuslR 2008, 24, zu einer Identitätstäuschung) gemeint, dass eine mehrere Jahre zurückliegende, nicht abgeurteilte und daher nicht "tilgungsfähige" Straftat zusammen mit anderen Umständen einen atypischen Geschehensablauf darstellen könne, wenn eine hypothetische Tilgungsreife eingetreten sei.

Der Beschwerdesenat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob der Schutzzweck des Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG auf nicht abgeurteilte Straftaten übertragen werden kann. Dagegen dürfte in systematischer Hinsicht der Umstand sprechen, dass die Ausweisungsgründe vielfach nicht an strafrechtliche Verurteilungen anknüpfen (z.B. in § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) und Nr. 2 AufenthG). Zudem ist das Merkmal der Tilgungsreife mit der Unsicherheit der hypothetischen Berechnung belastet. Die Frist gemäß § 46 BZRG ist abhängig von dem – nicht ausgeurteilten – Strafmaß; die Tilgungsfrist beginnt mit dem Datum der – nicht erfolgten – Verurteilung zu laufen (§§ 47 Abs. 1, 36 Abs. 1 Satz 1 BZRG).

Doch auch die Annahme einer hypothetischen Tilgungsfrist ließe die Anwendbarkeit des Ausweisungsgrundes vorliegend nicht entfallen. Zum maßgeblichen heutigen Entscheidungszeitpunkt wäre die Eintragung einer Straftat des Antragstellers nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990 allenfalls dann getilgt bzw. tilgungsreif, wenn die fünfjährige Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG anzuwenden und die Verurteilung bis Mai 2005 erfolgt wäre, wofür der Antragsteller darlegungspflichtig ist. Die erste Voraussetzung kann das Beschwerdegericht im Fall des Antragstellers nicht mit hinreichender Sicherheit unterstellen. Die fünfjährige Tilgungsfrist findet gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 a bzw. Nr. 2 BZRG dann keine Anwendung, wenn eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen erfolgt. In Fällen von unrichtigen Angaben zum Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis kommt es im Strafverfahren auch zu Verurteilungen zu Geldstrafen von über 90 Tagessätzen oder zu Freiheitsstrafen (vgl. die Verurteilungen der ausländischen Kläger in den aufenthaltsrechtlichen Verfahren des VG München: Urt. v. 18.12.2008, M 12 K 08.5256 und Beschl. v. 30.7.2008, M 4 S 08.1877, beide in juris; VGH Mannheim, Urt. v. 25.4.2007, InfAuslR 2007, 357; VG Düsseldorf, Beschl. v. 15.3.2005, 24 L 2433/05); dies gilt insbesondere im Hinblick auf vorbestrafte Täter. Eine Vorstrafe wäre zum maßgeblichen Zeitpunkt auch im Fall des Antragstellers relevant gewesen. Denn wäre es zu einer Verurteilung der unrichtigen Angaben des Antragstellers vom 20. Februar 2002 gekommen, hätte das Strafgericht auch dessen damals noch ungetilgte Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg vom 10. November 1994 zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu berücksichtigen gehabt. Somit liegt die zehnjährige Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 2 BZRG näher, die – bei allen Unsicherheiten der hypothetischen Betrachtung – gegenwärtig noch nicht abgelaufen wäre.

Der Umstand, dass möglicherweise eine Verfolgungsverjährung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB eingetreten ist, steht der Verwertbarkeit der unrichtigen Angaben im Aufenthaltsrecht nach Auffassung des Beschwerdesenates nicht entgegen (ebenso tendenziell: BVerwG, Urt. v. 26.3.1996 a.a.O.; a.A.: VGH Mannheim, Urt. v. 15.9.2007, a.a.O.). Eine ausdrückliche Regelung entsprechend der in § 51 Abs. 1 BRZG, wonach die strafrechtliche Verfolgungsverjährung im Aufenthaltsrecht Relevanz entfalten könnte, existiert nicht. Eine analoge Anwendung der Frist des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB im Aufenthaltsrecht kommt wegen des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber es versehentlich unterlassen hat, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, nach der verjährte Straftaten im Aufenthaltsrecht keine Beachtung mehr finden dürfen. Hierfür besteht auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielrichtungen von Strafrecht und Aufenthaltsrecht kein Anlass. Denn auch wenn nach strafrechtlichen Grundsätzen Rechtssicherheit bestehen und ein Tatverdächtiger Sicherheit vor weiterer Strafverfolgung erhalten soll, bedeutet dies nicht, dass dieselben Grundsätze im Aufenthaltsrecht anzuwenden sind. Dieses behandelt nicht die Sanktionierung vergangenen Verhaltens, sondern die Beurteilung und Abwehr gegenwärtiger und zukünftiger Gefahren sowohl in spezialpräventiver als auch in generalpräventiver Hinsicht. Dies gilt insbesondere für den Schutz der Funktionalität des ausländerbehördlichen Verfahrens. So hat der Gesetzgeber in der Begründung des erst mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 eingefügten Ausweisungstatbestandes des § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) AufenthG die Bedeutung der Richtigkeit von Angaben gegenüber den Ausländerbehörden und den Auslandsvertretungen hervorgehoben (BT-Drs. 14/7386, S. 56). Der Sache nach können auch verjährte Straftaten im Rahmen einer Prognoseentscheidung von Bedeutung sein.

Der Ausweisungsgrund des nicht geringfügigen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften - in Gestalt vorsätzlicher Falschangaben im ausländerrechtlichen Verfahren - ist auch nicht verbraucht bzw. verwirkt. Denn die Antragsgegnerin hat beim Antragsteller kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend geschaffen, dass ihm der weitere Aufenthalt trotz der Täuschung ermöglicht werden solle; vielmehr hat sie im Widerspruchsbescheid vom 21. September 2004 durch die Rücknahme sowohl der nach den Falschangaben erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis als auch der Zusicherung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis deutlich gemacht, dass sie nicht bereit ist, darüber hinwegzusehen, und dem Antragsteller keinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet erlauben will.

dd) Von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kann nicht nach Ermessen abgesehen werden. Vielmehr stellt es eine gerichtlich voll überprüfbare gebundene Entscheidung dar, ob ein Ausnahmefall von der Regel vorliegt (BVerwG, Urt. v. 30.4.2009, AuAS 2009, 194). Wie das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. August 2008 (BVerwGE 131, 370) entschieden hat, liegt ein Ausnahmefall unter folgenden Voraussetzungen vor: Es müssen entweder besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels muss aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten sein, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist. Auch die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG kann bei der Prüfung des konkreten Einzelfalls dazu führen, einen Ausnahmefall anzunehmen (Hailbronner, Ausländerrecht, a.a.O., § 5 AufenthG Rdnr. 10). Allerdings genügen hierfür nicht die Härten und Schwierigkeiten, die mit der Versagung eines Aufenthaltstitels gewöhnlich verbunden sind, wie der Verlust des Arbeitsplatzes und des Lebensmittelpunkts in Deutschland (Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 11), denn dies trifft alle Ausländer gleichermaßen, deren Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wird. Atypische Umstände sind im Fall des Antragstellers nicht ersichtlich. Bindungen an eine in Deutschland lebende Ehefrau oder Kinder besitzt er nicht; er ist auch – wie oben dargestellt – kein "faktischer Inländer". Die getätigten Falschangaben haben ausländerrechtlich ein erhebliches Gewicht. Insofern begründet der Umstand, dass seine Falschangaben inzwischen acht Jahre zurückliegen, vor dem Hintergrund der nach wie vor wirksamen Generalprävention noch keine unverhältnismäßige Belastung des Antragstellers. Zudem hat der Antragsteller den achtjährigen Aufenthalt seit dem Jahr 2002 im Wesentlichen durch seine Falschangabe und die daraufhin eingeleiteten behördlichen und gerichtlichen Verfahren erreicht. Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft gemacht, nach den Falschangaben gegenüber der Beklagten keine weiteren Verfehlungen in Deutschland begangen zu haben. So liefen zwei weitere Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungsdelikten gegen ihn, von denen eines nur gemäß § 153a StPO nach Zahlung eines Geldbetrages eingestellt worden ist.

ee) Dass vor der Ablehnung des Antrags nach § 18 Abs. 2 AufenthG keine Anhörung nach § 28 Abs. 1 HmbVwVfG stattgefunden hat, ist gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 HmbVwVfG unbeachtlich, da diese bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des noch laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann und im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach dessen Maßstab nachgeholt worden ist. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid erstmals über den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Beschäftigungszwecken entschieden hat, kann dem Begehren des Antragstellers ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Selbst eine instanzielle Unzuständigkeit der Widerspruchsbehörde für die ablehnende Erstentscheidung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu dem weiteren Aufenthaltszweck der Beschäftigung würde im Hauptsacheverfahren allenfalls zu einer Aufhebbarkeit des Widerspruchsbescheides insoweit führen. Nicht jedoch könnte der Antragsteller damit einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis glaubhaft machen, was im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aber erforderlich ist.

d) Weil der Antragsteller die Antragsgegnerin durch die Falschangaben zu dem Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft und der Existenz eines deutschen Kindes vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht hat, kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken auch nach § 18a Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht, vgl. § 18a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Insofern bedürfen die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 18a AufenthG, der qualifizierten Geduldeten den Aufenthalt und die Arbeitsaufnahme ermöglicht, keiner weiteren Erörterung, ebenso wenig wie die Aspekte der - hier nicht eröffneten - Ermessensausübung. [...]