VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 07.04.2010 - 5 E 20068/10 Me - asyl.net: M18071
https://www.asyl.net/rsdb/M18071
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland für die Dauer von sechs Monaten.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Griechenland, Konzept der normativen Vergewisserung,
Normen: VwGO § 123, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 7
Auszüge:

Die Vorschrift des § 34a Abs. 2 AsylVfG, die Eilrechtsschutz bei einer Überstellung in dort näher bezeichnete Staaten ausschließt, steht einer Überstellung nach Griechenland nicht entgegen. Denn in Griechenland dürfte derzeit die Absicherung der materiellen Grundbedürfnisse für Asylbewerber wegen der katastrophalen Haushaltslage fraglich sein. Gleiches gilt auch für die Einhaltung von verfahrensrechtlichen Garantien.

(Amtlicher Leitsatz)

[...]

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig.

Richtig ist zwar, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt - jedenfalls nach Aktenlage - eine Überstellungs- bzw. Abschiebungsanordnung nicht existiert. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass die Zwei-Monats-Frist des Art. 18 Abs. 7 der Dublin-II-Verordnung abgelaufen ist und damit eine Stattgabe des Aufnahmeersuchens seitens Griechenlands vorliegt. Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, da entsprechende normative Regelungen fehlen, dass die zuständige Ausländerbehörde daraufhin unmittelbar gegenüber dem Antragsteller eine Abschiebungsanordnung erlässt und ihn möglicherweise am gleichen Tag auch abschiebt. Dem Gericht liegen insoweit zwar keine Erkenntnisse vor, dass dies bei den zuständigen Ausländerbehörden tatsächlich so gehandhabt wird, [es] kann dies jedoch aber auch nicht ausschließen. Auch die Antragsgegnerin hat nicht signalisiert, dass sie dem Antragsteller durch administrative Maßnahmen Zeit für einen ausreichenden Rechtsschutz einräumen will. Erschwert wird der Rechtsschutz ferner dadurch, dass zwei Behörden der Antragsgegnerin, nämlich die Außenstelle des Bundesamtes in Hermsdorf sowie eine weitere Stelle des Bundesamtes in Dortmund (sogenanntes "Dublin-Referat") und darüber hinaus die zuständige Ausländerbehörde an dem Verfahren beteiligt sind. Es liegt auf der Hand, dass allein unter diesen Gesichtspunkten effektiver Rechtsschutz für den Antragsteller erheblich erschwert wird.

Der Antrag ist auch begründet. Der Antragsgegnerin war es im Wege einer einstweiligen Anordnung innerhalb der im Tenor genannten Frist zu untersagen, den Antragsteller nach Griechenland zu überstellen, damit er gegen eine zu erwartende Abschiebungsandrohung gerichtlich vorgehen kann. Dieser Regelung steht zwar § 34a Abs. 2 AsylVfG nach dem Wortlaut entgegen, als danach nämlich die Abschiebung in einen sichereren Drittstaat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 94, 49 ff.) sieht im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung aber dann eine Durchbrechung des Grundsatzes der Versagung einstweiligen Rechtsschutzes als gegeben an, wenn im Einzelfall dem Betroffenen im Falle seiner Abschiebung oder Überstellung in einen sicheren Drittstaat unter anderem gravierende Gefahren für Leib und Leben drohen. Insoweit hat der Bevollmächtigte des Antragstellers umfänglich dargelegt, dass solche Bedenken durchaus bestehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass ausweislich des Positionspapiers des UNHCR vom April 2008 Dublin-Rückkehrer grundsätzlich die Möglichkeit haben, in Griechenland einen Asylantrag zu stellen, weshalb von einer Schutzverweigerung der griechischen Behörden nicht ausgegangen werden könne. Die generelle Zusage eines Schutzanspruchs stellt aber nur dann einen effektiven Zugang zu einem Asylverfahren dar, wenn verfahrensrechtliche Garantien bestehen und darüber hinaus die Absicherung der materiellen Grundbedürfnisse des Asylbewerbers angenommen werden kann. Insbesondere letzteres scheint trotz der Stellungnahmen des griechischen Innenministers zur Dublin-Problematik beim Rat der Innen- und Justizminister der EU im April und Juni 2008, dass Verbesserungen vorgenommen worden seien und weitere angekündigt würden, sehr zweifelhaft, weil zu diesem Zeitpunkt die katastrophale Haushaltslage von Griechenland nicht oder jedenfalls nicht in dem jetzt bekannten Umfang bestand. Zudem weist auch das UNHCR darauf hin, dass es gegenwärtig und auch in Zukunft Schwierigkeiten bei der Durchführung von Asylverfahren und der Bereitstellung ausreichender Kapazitäten geben könne, die im Einzelfall zu persönlichen Härten und Schwierigkeiten führten. Diese Auffassung wird bis zu einem gewissen Grade auch von der Antragsgegnerin geteilt, die ausführt, dass immer noch Kapazitätsprobleme bei der Bewältigung des hohen Zustroms von Flüchtlingen und Migranten bestünden, weil es zu wenig Personal, zu wenig Dolmetscher und zu wenig Unterkünfte gebe. Dieser Situation trägt die Antragsgegnerin eigenen Ausführungen zufolge dadurch Rechnung, indem [sie] im Zweifel bei besonders schutzbedürftigen Personen von einer Überstellung nach Griechenland absieht. Nach hier vertretener Auffassung hat das jedoch generell zu gelten. Von daher bedarf es auch im Falle des Antragstellers einer Regelung, damit dieser im Falle einer Abschiebungsanordnung hinreichend Zeit hat, sein persönliches Schicksal und seine persönliche Situation auch im Hinblick auf die allgemeine Rechts- und Sachlage gerichtlich geltend zu machen. Die Anordnung ist damit im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch nötig. [...]