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OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 12.01.2011 - 1 B 14/11 - asyl.net: M18061
https://www.asyl.net/rsdb/M18061
Leitsatz:

Versieht die Ausländerbehörde eine Betretenserlaubnis mit einschränkenden Regelungen, die die Ausreise des Ausländers nach deren Ablauf sicherstellen sollen, können diese im Regelfall nicht isoliert angefochten werden. Rechtsschutz kann der Ausländer

in diesem Fall nur mit einem Verpflichtungsbegehren erlangen, gerichtet auf die Erteilung einer Betretenserlaubnis ohne die betreffenden einschränkenden Regelungen. (Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Betretenserlaubnis, vorläufiger Rechtsschutz, Schutz von Ehe und Familie, Schwangerschaft, Ermessen, Auflage, einstweilige Anordnung, Verhältnismäßigkeit, Anhörung
Normen: AufenthG § 11 Abs. 2, VwGO § 123 Abs. 1, VwVfG § 36 Abs. 2 Nr. 4
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist nur teilweise erfolgreich.

1. Die Antragsgegnerin wendet sich zu Recht dagegen, dass das Verwaltungsgericht hinsichtlich der in der Betretenserlaubnis vom 28.12.2010 enthaltenen Bestimmungen "Die Einreise und Ausreise hat über den Flughafen Bremen zu erfolgen" und "Herrn G. wird aufgegeben, vor der Einreise in das Bundesgebiet eine Sicherheitsleistung in Höhe von 5.500,00 Euro zugunsten des Stadtamtes Bremen zu hinterlegen", die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers festgestellt hat. Der Antragsgegnerin ist darin zu folgen, dass die genannten Bestimmungen nicht isoliert anfechtbar sind.

Die Antragsgegnerin ist aufgrund einer vom Verwaltungsgericht erlassenen einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller mit Rücksicht auf die Risikoschwangerschaft seiner Ehefrau sowie den bevorstehenden Entbindungstermin eine Betretenserlaubnis zu erteilen (Beschlüsse des VG Bremen vom 15.12.2010 - 4 V 1757/10 - und des OVG Bremen vom 20.12.2010 - 1 B 336/10). Sie ist berechtigt, im Rahmen des ihr nach § 11 Abs. 2 AufenthG eingeräumten Ermessens diese Betretenserlaubnis mit Bestimmungen zu versehen, die sicherstellen, dass die Erlaubnis nur zu dem Betretenszweck genutzt wird und der Antragsteller nach Ablauf der Erlaubnis das Bundesgebiet unverzüglich wieder verlässt.

Der Sicherungszweck führt dazu, dass die getroffenen Maßnahmen regelmäßig in einer untrennbaren inhaltlichen Beziehung zu der Betretenserlaubnis stehen. Die Betretenserlaubnis wird insoweit durch die Sicherungsmaßnahmen näher ausgestaltet (vgl. OVG Bremen, B. v. 18.03.2010 - 1 B 45/10 - InfAuslR 2010, 243). Der Rechtsnatur nach wird es sich bei ihnen regelmäßig um - nicht selbstständig anfechtbare - Inhaltsbestimmungen der Betretenserlaubnis handeln. Selbst wenn den einschränkenden Regelungen der Charakter einer Bedingung oder Befristung i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwVfG beizumessen sein sollte, würde dies mit Rücksicht auf den Sicherungszweck nichts daran ändern, dass eine isolierte Anfechtung einzelner Nebenbestimmungen grundsätzlich ausscheidet (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Auflage 2010, § 36 Rn. 63; Eyermann/Happ, VwGO, 13. Auflage 2010, § 42 Rn. 49). Der rechtliche Charakter der betreffenden Regelung hängt dabei nicht von der jeweiligen Bezeichnung, sondern von der von der Behörde gesetzten Rechtsfolge ab (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 36 Rn. 5a). Rechtsschutz kann der Betroffene in diesen Fällen nur mit einem Verpflichtungsbegehren erlangen, das auf Erteilung einer Betretenserlaubnis ohne die beanstandeten Einschränkungen gerichtet ist (vgl. Renner/Dienelt, AuslR, 9. Auflage 2011, § 11 AufenthG Rn. 44). Ob Regelungen, die eine Betretenserlaubnis inhaltlich ausgestalten, darüber hinaus im Einzelfall auch den Charakter einer - selbstständig durchsetzbaren und damit auch anfechtbaren - Auflage i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG besitzen können, mag hier dahinstehen. Denn bei den hier in Rede stehenden Sicherungsmaßnahmen ist dies ersichtlich nicht der Fall.

Bei der den Reiseweg betreffenden Vorgabe handelt es sich um eine Inhaltsbestimmung der Betretenserlaubnis. Ob das Verlangen nach Hinterlegung einer Sicherheitsleistung als Inhaltsbestimmung oder als - aufschiebende - Bedingung zu qualifizieren ist, kann offen bleiben. In jedem Fall scheidet eine isolierte Anfechtbarkeit aus. Für die Gewährung von Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO ist damit kein Raum.

2. Der Antragsteller hat indes hilfsweise beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, die Betretenserlaubnis ohne die genannten Beschränkungen zu erteilen. Er hat insoweit in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO), so dass eine entsprechende einstweilige Anordnung zu lassen ist.

Die von der Ausländerbehörde im Rahmen von § 11 Abs. 2 AufenthG getroffenen Sicherungsmaßnahmen müssen verhältnismäßig sein, d.h. geeignet, erforderlich und abgewogen (verhältnismäßig i.e.S.) sein. Dies ist hier nicht der Fall.

a) Soweit dem Antragsteller in dem Bescheid vom 28.12.2010 aufgegeben wird, über den Flughafen Bremen ein- und auszureisen, ist nicht erkennbar, dass diese Vorgabe zur Sicherstellung des Zwecks der Betretenserlaubnis oder einer fristgemäßen Ausreise erforderlich ist.

Eine Begründung für diese Vorgabe enthält der Bescheid vom 28.12.2010 nicht. Auch im anhängigen gerichtlichen Eilverfahren hat die Antragsgegnerin insoweit keine Erläuterungen gegeben. Der Antragsteller hat dazu vorgetragen, dass eine Ein- und Ausreise über die Flughäfen Hamburg oder Hannover, die über eine Direktverbindung nach Istanbul verfügten, für ihn deutlich kostengünstiger sei. Eine Anhörung des Antragstellers hat die Antragsgegnerin vor Erlass des Bescheids vom 28.12.2010 nicht durchgeführt, obwohl das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass dem Betroffenen jeweils Gelegenheit zu geben ist, zu den in Erwägung gezogenen Sicherungsmaßnahmen Stellung zu nehmen (B. v. 18.03.2010, a.a.O.). Insgesamt ist unter diesen Umständen nicht erkennbar, weshalb bei einer Ein- und Ausreise über die Flughäfen Hamburg oder Hannover der Sicherungszweck gefährdet werden könnte.

b) Soweit dem Antragsteller in dem Bescheid vom 28.12.2010 aufgegeben wird, vor der Einreise eine Sicherheitsleistung in Höhe von 5.500,00 Euro zugunsten des Stadtamts Bremen zu hinterlegen, ist diese Vorgabe unverhältnismäßig i.e.S.

Der Antragsteller ist nach seinen Angaben mittellos. Im Rahmen des Prozesskostenhilfeantrags, den er für die am 06.07.2010 erhobene Untätigkeitsklage 4 K 877/10 gestellt hat, hat er eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt, die diese Angaben bestätigt. Sollte die Antragsgegnerin Zweifel an ihnen haben, hätte sie die Möglichkeit gehabt, diesen im Rahmen der - unterbliebenen - Anhörung vor Erlass der Betretenserlaubnis nachzugehen. Der Vortrag des Antragstellers, das Verlangen der Antragsgegnerin führe aufgrund seiner Mittellosigkeit dazu, dass er faktisch von der Betretenserlaubnis keinen Gebrauch machen könne, ist unter diesen Umständen nachvollziehbar. Eine Sicherungsmaßnahme, die im Ergebnis die Inanspruchnahme der Erlaubnis vereitelt, ist aber unverhältnismäßig.

Unter Abwägung der widerstreitenden Belange hält es das Oberverwaltungsgericht für sachgerecht, die vom Antragsteller zu erbringende Sicherheitsleistung an den Flugkosten zu orientieren, die bei der am 18.01.2010 durchgeführten Abschiebung angefallen sind. Eine Sicherheitsleistung von 500,00 Euro ist danach angemessen. Das Gericht geht davon aus, dass dem Antragsteller zugemutet werden kann, eine Sicherheitsleistung in dieser Höhe zu tragen. [...]