VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Urteil vom 15.05.2009 - A 1 K 30157/07 - asyl.net: M18012
https://www.asyl.net/rsdb/M18012
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für Transsexuellen, da sich für Venezuela keine hinreichende Verfolgungsgefahr allein wegen der Homosexualität bzw. Transsexualität erkennen lässt. Etwaige Misshandlungen durch Beamte der Polizei oder des Strafvollzugs sind lediglich Amtswalterexzesse.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Venezuela, homosexuell, Transsexuelle, Diskriminierung, Amtswalterexzess, interne Fluchtalternative,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 9
Auszüge:

[...]

Hiervon ausgehend lässt sich eine politische Vorverfolgung des Klägers, deren Wiederholung bei seiner Rückkehr nach Venezuela wahrscheinlich sein könnte, auch unter Berücksichtigung von Art. 9 der Qualifikationsrichtlinie ( Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004) nicht feststellen. Die zusammenfassende Bewertung des Vortrages des Klägers sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch in seiner schriftlichen und mündlichen Einlassung gegenüber dem Verwaltungsgericht ergibt vielmehr, dass der Kläger keineswegs in - ausgrenzender - spezifischer Weise dergestalt in den Blick der venezuelanischen Behörden oder dem venezuelanischen Staat ggf. zurechenbarer Dritter, namentlich der von ihm benannten "Bande" oder des Ladenbesitzers geraten war, dass er in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale mit einer Verfolgung für den Fall der Rückkehr zu rechnen hat.

Die Homo- bzw. Transsexualität des Klägers für sich allein vermag eine politische Verfolgung in Venezuela nicht zu begründen. Zwar kann die homosexuelle Veranlagung eines Menschen, also seine unverfügbare Wesensprägung, theoretisch Anknüpfungspunkt für politische Verfolgungshandlungen sein. Jedoch lässt sich für Venezuela keine abstrakte hinreichende Verfolgungsgefahr für einen jeden allein wegen der Homosexualität bzw. Transsexualität erkennen. Von Rechts wegen ist davon auszugehen, dass Transsexuelle in Venezuela von staatlicher Seite keine gezielten Rechtsverletzungen zu befürchten haben, die sie ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 28.11.1996, Bs VI 207/96, Bs VI 223/96). Etwaige Misshandlung durch Beamte der Polizei oder des Strafvollzugs widersprechen dem Willen der Regierung und sind Ausdruck von eigenmächtiger, pflichtwidriger Überschreitung der Befugnisse der jeweiligen Beamten. Mögen auch die Lebensumstände für Homo-/Transsexuelle in Venezuela schwieriger als für andere gesellschaftliche Gruppen sein und mag auch das in Lateinamerika übliche Machtgehabe breiteste gesellschaftliche Verächtlichmachung für Homo-/Transsexuelle bedeuten, kann dennoch nicht ohne Weiteres von einer ausweglosen Lage ausgegangen werden, die es für Betroffene unzumutbar erscheinen lässt, nach Venezuela zurückzukehren. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht durch die vom Kläger vorgelegten Auskünfte von amnesty international und der Auskunft der deutschen Botschaft in Caracas vom 1.7.2008. Zwar wird auch darin die grundsätzlich schwierige Lage für Transsexuelle in Venezuela bestätigt. Gleichzeitig führt die deutsche Botschaft aber auch aus, dass keine Hinweise auf Anordnungen von Übergriffen auf Homo./Transsexuelle seitens der Regierung oder einzelner Behördenleiter vorlägen. Auch habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die zum Teil nachlässigen Ermittlungen bei Straftaten gegen transsexuelle Opfer Teil einer planmäßigen Diskriminierung sind. Gründe für die oft ineffektive Arbeit der Polizei lägen u.a. auch darin begründet, dass die Polizei in vielen Gemeinden unterfinanziert und schlecht ausgestattet sei. Darüber hinaus ist trotz der ungünstigen Voraussetzungen davon auszugehen, dass jedenfalls in den größeren Städten wie zum Beispiel Caracas die Probleme für Homo- und Transsexuelle zum einen wegen der Anonymität und zum anderen wegen der höheren Toleranz wesentlich besser ist als in den kleineren Orten. Dabei wird es dem Kläger auch insofern leichter fallen, den Gefahren aus dem Weg zu gehen, weil er sich - wovon sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte - überzeugend als Frau darstellt, so dass die Diskrepanz zwischen seiner äußeren Erscheinung und seinem wahren Geschlecht nach außen hin nicht ohne weiteres erkennbar ist.

Der Kläger hat auch ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht. Denn sein Vortrag weist Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten auf. Die Schilderungen, wie sie bei der Anhörung vor dem Bundesamt vom Kläger in zwei Terminen getätigt wurden und seine Darstellung im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens weichen teilweise voneinander ab bzw. es wurden auf einmal Sachverhalte hinzugefügt, die der Kläger vorher mit keinem Wort erwähnt hat und die seine Angaben insgesamt als unglaubwürdig erscheinen lassen. Dies gilt insbesondere, was die Anzahl seiner Verhaftungen als auch die Intensität der dabei erlittenen Behandlungen angeht. Vor dem Bundesbeamten hat der Kläger angegeben, die Verhaftung wegen der Auseinandersetzung mit dem Ladenbesitzer sei die Einzige gewesen. Im Klageverfahren trägt er plötzlich vor, häufig und ohne Anlass aufgrund seiner Transsexualität inhaftiert und von der Polizei erheblich drangsaliert worden zu sein. Es handelt sich dabei um einen klassischen gesteigerten Sachvortrag, der das Gericht nicht zu überzeugen vermochte. Gleiches gilt auch soweit er seine angebliche Verfolgung auch auf weitere Landesteile Venezuelas auszuweiten versucht. So schildert er im Klageverfahren erstmals den Vorfall anlässlich einer "Misswahl" in ... Dabei hätte sich die Schilderung dieses außergewöhnlichen Ereignisses bereits im Vorfahren geradezu aufdrängen müssen. Ebenso führt er auf Nachfrage der Beklagtenvertreterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung erstmals aus, dass er für sechs Monate in Caracas gelebt habe, wo die Polizei von ihm Geld erpresst haben soll. Der Kläger hat durch diesen ständig wechselnden Vortrag das Gericht nicht davon überzeugen können, dass ein Leben in anderen Teilen Venezuelas für ihn nicht möglich ist. Nicht zu überzeugen vermochte zudem die von ihm befürchtete Verhaftung bei einer Rückkehr in sein Heimatland. Sein Vortrag entbehrt jeglicher Schlüssigkeit und enthält zahlreiche Widersprüche hinsichtlich der Dauer des Gefängnisaufenthaltes, der Gerichtsverhandlung und der Verurteilung wegen der gefährlichen Körperverletzung an dem Ladenbesitzer. Er hat nicht plausibel vorgetragen, warum er nach neun Jahren wegen eines Auflagenverstoßes eine Gefängnisstrafe von 6 Jahren und zwei Monaten befürchtet, obwohl die zweijährige Bewährungsfrist bereits längst abgelaufen war. Ungeachtet dessen weist das Gericht darauf hin, dass eine Strafverfolgung wegen der von ihm begangenen gefährlichen Körperverletzung auch in Deutschland strafrechtlich verfolgt wird und mit einer asylrelevanten Verfolgung nicht gleichgesetzt werden kann, es sei denn es handelt sich um einen gegen die betreffende Person offensichtlich gerichteten Strafverfolgungsexzess. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Vielmehr kam der Kläger nach eigenen Angaben nach mehreren Tagen Untersuchungshaft wieder frei. Nicht plausibel sind auch die Schilderungen des Klägers zu dem angeblichen Tötungsversuch von Bandenmitgliedern der Bande Los Malandos. Im übrigen handelt es sich dabei nicht um staatliche Übergriffe. Der pauschale Hinweis darauf, dass die Polizei in Venezuela korrupt sei und Hilfe nicht zu erwarten sei, reicht nicht aus.

Gegen seine angebliche Verfolgungsfurcht spricht schließlich, dass er sein Asylgesuch erst dann anbrachte, als er wegen seines illegalen Aufenthalte in Deutschland in Gewahrsam genommen worden war. Der Kläger war ausweislich der polizeilichen Protokolle als möglicher Prostituierter in Köln aufgegriffen worden. Er gab jedenfalls auch damals zu Protokoll, der Prostitution nachzugehen. Der Kläger hat nicht plausibel gemacht, weshalb er erst aus der Gewahrsamsnahme heraus sein Schutzgesuch angebracht hat, obgleich er bereits ein Jahr Zeit gehabt hat, sich schutzsuchend an deutsche oder spanische Behörden zu wenden, um sich zumindest einen Aufenthaltsstatus zu sichern, der ihn vor der angeblichen Verfolgung in Venezuela hätte schützen können. Eine Angst vor politischer Verfolgung lässt dieses Verhalten jedenfalls gerade nicht erkennen. Der Umstand, dass er nach eigenen Angaben erst bei seiner Inhaftierung in Deutschland, durch eine Freundin von der Möglichkeit einer Asylantragstellung erfuhr, spricht ebenfalls gegen asylrechtlich motivierte Ausreise aus seinem Heimatland. [...]