LSG Niedersachsen-Bremen

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Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 02.12.2010 - L 8 AY 47/09 B - asyl.net: M18005
https://www.asyl.net/rsdb/M18005
Leitsatz:

Nach der überwiegenden Rechtsprechung sind Passbeschaffungskosten bei Analogleistungen (§ 2 Abs. 1 AsylbLG) nach Ermessen gemäß § 73 SGB XII zu gewähren. Mittel für die Passausstellung sind nicht in den Regelsätzen des § 28 SGB XII enthalten, weshalb die Kläger nicht auf ein Ansparen im Regelsatz enthaltener Mittel verwiesen werden können. Aus dem gleichen Grund scheidet ein Darlehen nach § 37 Abs. 1 SGB XII aus.

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, SGB XII, Analogleistungen, Passbeschaffungskosten, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Ermessen, Passpflicht, Zumutbarkeit, Regelleistung, Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, Bleiberecht
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1, SGB XII § 73, AufenthG § 48 Abs. 1, AufenthG § 48 Abs. 2, SGB XII § 28, AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Kläger wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen vom 11. Februar 2009, mit dem dieses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren abgelehnt hat. In der Hauptsache geht es um einen Anspruch der Kläger auf Übernahme von Passbeschaffungskosten. [...]

Die gemäß den §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist auch begründet. Entgegen der Annahme des VG besteht im vorliegenden Klageverfahren die für die Bewilligung von PKH erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a SGG, § 114 ZPO). Die Erfolgsaussichten ergeben sich zum einen schon daraus, dass die Rechtsprechung überwiegend die Übernahme von Passbeschaffungskosten bei der Gewährung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG als Ermessensleistung in § 73 SGB XII ansiedelt. Da die Beklagte weder im Ablehnungsbescheid noch im Widerspruchsbescheid Ermessen ausgeübt hat, wären die Bescheide schon aus diesem Grund aufzuheben und die Beklagte wäre - sofern nicht eine Ermessenreduzierung auf Null angenommen werden kann - zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen.

Da die Kläger dem Personenkreis nach § 2 Abs. 1 AsylbLG angehörten, ist Rechtsgrundlage für den Leistungsanspruch § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 73 SGB XII. Danach können sozialhilferechtliche Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Eine sonstige Lebenslage ist gegeben, wenn die bedarfsauslösende Situation weder im SGB XII noch in anderen Bereichen des Sozialrechts geregelt und bewältigt wird. Die bedarfsauslösende Situation hinsichtlich der Notwendigkeit der Passausstellung ergibt sich für die Kläger als Ausländer aus ihrer Passpflicht gemäß den 3 Abs. 1, 48 AufenthG, verbunden mit der Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren für die Passerteilung (vgl. SG Berlin, Urteil vom 26. November 2008 - S 51 AY 46/06 -, SG Halle, Urteil vom 30. Januar 2008 - S 13 AY 76/06 -, SG Duisburg, Urteil vom 9. Oktober 2008 - S 16 (31) AY 12/06). Entgegen den Ausführungen des VG im angefochtenen Beschluss sind Passpflicht und ausweisrechtliche Pflichten nach dem AufenthG streng zu trennen. Ausländer dürfen gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind. Ein Ausländer, der einen Pass weder besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann, genügt der Ausweispflicht mit der Bescheinigung über einen Aufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung, wenn sie mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen und als Ausweisersatz bezeichnet ist, § 48 Abs. 2 AufenthG. Mit Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder mit Geldstrafe wird gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bestraft, wer sich entgegen § 3 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 2 AufenthG im Bundesgebiet aufhält.

§ 48 AufenthG begründet darüber hinaus weitere ausweisrechtliche Pflichten. Nach Abs. 1 der Vorschrift ist ein Ausländer verpflichtet, seinen Pass, seinen Passersatz oder seinen Ausweisersatz und seinen Aufenthaltstitel oder eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung auf Verfangen den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach diesem Gesetz erforderlich ist. Besitzt der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden und sonstigen Unterlagen, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Kommt der Ausländer seiner Verpflichtung nach Satz 1 nicht nach und bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, dass er in Besitz solcher Unterlagen ist, können er und die von ihm mitgeführten Sachen durchsucht werden. Der Ausländer hat die Maßnahme zu dulden (§ 48 Abs. 3 AufenthG in der vom 1. Januar 2005 bis 27. August 2007 gültigen Fassung). § 48 Abs. 2 AufenthG macht deutlich, dass der Ausländer der Passpflicht lediglich dann durch Vorlage eines Ausweisersatzes nachkommt, wenn er einen Pass weder besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann. Der Mangel an finanziellen Ressourcen lässt die Zumutbarkeit i.S. dieser Vorschrift nicht entfallen. Dies bedeutet im Fall der Kläger, dass sie ihrer Passpflicht gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG durch Mitführung der Ausweisersatzpapiere gerade nicht genügten, denn die Pässe waren von ihnen im serbischen Generalkonsulat in Hamburg in zumutbarer Weise zu erlangen.

Mittel für die Kosten der Passausstellung sind nicht in den Regelsätzen des § 28 SGB XII enthalten. Es bestand keine Notwendigkeit zur Aufnahme von Pass- und Personalausweisgebühren in die Regelsatzleistung, da bei Bedürftigkeit von der Gebührenerhebung für die Ausstellung - deutscher - Personalausweise und Reisepässe abgesehen werden kann. Getragen wird dies von den gebührenrechtlichen Regelungen zum Passrecht. Nach § 3 der Gebührenverordnung zum Passgesetz (abgedruckt bei Süßmuth/Koch, Pass- und Personalausweisrecht, 4. Auflage, Stand: Mai 2006, Ziffer 5a) können die Gebühren für die Passausstellung bei Bedürftigkeit des Gebührenschuldners ermäßigt oder erlassen werden. Als bedürftig ist ein Passbewerber gemäß Ziffer 20.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Passgesetzes insbesondere dann anzusehen, wenn er Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt oder Anspruch auf Sozialhilfe hat, die den Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt beinhaltet, oder entsprechende, das Existenzminimum sichernde Leistungen der Kriegsopferfürsorge erhält oder höchstens entsprechende Einkünfte hat. Deshalb ist insoweit von keiner Bedarfslage auszugehen, die sozialhilferechtlich im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt bei der Regelsatzbemessung hätte aufgefangen werden müssen. Gestützt wird dies durch die Zusammensetzung der Regelsatzinhalte. Aufgeführt werden Pass- und Personalausweisgebühren insbesondere nicht in der Abteilung 12 ("Andere Waren und Dienstleistungen") der der Regelsatzbemessung zu Grunde liegenden Einkommens- und Verbrauchsstatistik (vgl. Schwabe, Die Zusammensetzung des Regelsatzes, ZT 2008, Seite 145, 151). Vor diesem Hintergrund können die Kläger nicht auf ein Ansparen im Regelsatz enthaltener Mittel verwiesen werden. Aus dem gleichen Grund scheidet die Inanspruchnahme von Darlehen nach § 37 Abs. 1 SGB XII aus (SG Berlin, Urteil vom 26. November 2008 - S 51 AY 46/06).

Hinzu kommt, dass die Kläger ihre Pässe zwar nicht für die ihnen am 29. Mai 2006 ausgestellten Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, wohl aber für die ihnen im Anschluss an die bis 29. Mai 2008 befristeten Aufenthaltserlaubnisse am 18. Juni 2008 erteilten Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (so genannte Altfallregelung) benötigten. Entsprechend wurden sie von der Ausländerbehörde der Beklagten mit Schreiben vom 9. April 2008 aufgefordert, zu einem Termin zwecks Erteilung des Aufenthaltstitels die Nationalpässe mitzubringen. Insoweit kommt sogar hinsichtlich des von der Beklagten auszuübenden Ermessens eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht (vgl. LSG NRW, Urteil vom 10. März 2008 - L 20 AY 16/07 -). Danach spreche vieles dafür, den Anspruch auf Erstattung der Passersatzkosten bereits deshalb zu bejahen, weil die Kläger Passpapiere auch benötigten, um von der Bleiberechtsregelung der ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) (siehe auch Altfallregelung des § 104a AufenthG) profitieren zu können. Es erscheine schlichtweg nicht hinnehmbar, wenn die Rechtsordnung den Klägern auf der einen Seite etwas zu geben bereit sei, was sie auf der anderen Seite (leistungsrechtlich) durch mangelhafte finanzielle Ausstattung der grundsätzlich Anspruchsberechtigten unmöglich machen würde. [...]