VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Urteil vom 24.11.2010 - 5 K 20158/09 We - asyl.net: M17992
https://www.asyl.net/rsdb/M17992
Leitsatz:

Zur Informationspflicht des BAMF in Dublin-Verfahren über Tatsachen zur Zuständigkeitsbestimmung an den ersuchten Mitgliedstaat.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Schweden, Zuständigkeit, Türkei, Erlöschen, Glaubhaftmachung, rechtliches Gehör, Informationspflicht, Beweismittel, Indiz
Normen: VO 343/2003 Art. 16 Abs. 1 Bst. c, VO 343/2003 Art. 16 Abs. 3, AsylVfG § 24, VO 343/2003 Art. 21, VO 343/2003 Art. 17 Abs. 2, VO 343/2003 Art. 17 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 12, VO 343/2003 Art. 17 Abs. 3, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig gemäß § 27a AsylVfG abgelehnt und dem Kläger gegenüber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung nach Schweden angeordnet und schließlich auch umgesetzt.

Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Eine solche Rechtsvorschrift der Europäischen Union stellt die Verordnung EG Nr. 343/2003, die sogenannte Dublin II-Verordnung - DÜ II VO - dar. Dem entsprechend richtet sich die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Asylantrag nach den Kapiteln III bis V der Dublin II-Verordnung.

Danach gilt folgendes: Nach Art. 5 Abs. 1 der Dublin II-Verordnung finden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates in der in diesem Kapitel (= Kapitel 3 der Dublin II-Verordnung) genannten Rangfolge Anwendung.

Das Bundesamt hatte bereits frühzeitig nach Eingang des Antrags auf Asylanerkennung die Abschiebung des Klägers in den nach der Dublin II VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat durch Übernahmeersuchen an Schweden vom 8. Juli 2009 eingeleitet. Zudem hat Schweden das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland bereits mit Zustimmungserklärung vom 15. Juli 2009 bestätigt. Diese Erklärung erfolgte aufgrund der gemäß Art. 17 Abs. 1 DÜ II VO begründeten Zuständigkeit Schwedens, trotz des eigentlich zuerst in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags und der damit grundsätzlich gemäß Art. 5, 13 DÜ II VO begründeten Zuständigkeit.

Bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber zum ersten Mal einen Asylantrag in einem Mitgliedstaat stellt (Art. 5 Abs. 2 der "Dublin II-Verordnung"). Daneben vermag jeder Staat über das Selbsteintrittsrecht nach Art. 15 bzw. Art. 3 Abs. 2 "Dublin II-Verordnung" aus humanitären oder ähnlichen Gründen jederzeit selbst seine Zuständigkeit zu begründen.

Gemäß Art. 4 Abs. 5 der "Dublin II-Verordnung" ist der Mitgliedstaat, bei dem der Asylantrag gestellt wurde, gehalten, einen Asylbewerber, der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates befindet und dort einen Asylantrag gestellt hat, nach den Bestimmungen des Art. 20 der "Dublin II-Verordnung" wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates zum Abschluss zu bringen. Die Einzelheiten des Wiederaufnahmeverfahrens regeln sich dabei nach Art. 20 der "Dublin II-Verordnung". Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der DÜ II VO ist dabei der ersuchte Mitgliedstaat gehalten, innerhalb einer Frist von einem Monat bzw. einer Frist von zwei Wochen, sofern sich der Antrag auf Wiederaufnahme eines Asylbewerbers aus Angaben aus dem EURODAC-System ergibt, auf das Wiederaufnahmegesuch des anderen Mitgliedstaates zu antworten. Erfolgt keine Antwort, so wird davon ausgegangen, dass dieser Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert (Art. 20 Abs. 1 Buchst. c "Dublin II-Verordnung"). Im Rahmen dieses Verfahrens kann der ersuchte Mitgliedsstaat weitere Informationen nach Art 21 Abs. 2 und 17 Abs. 2 DÜ II VO anfordern, was hier jedoch nicht erfolgte und eine vorauseilende Überstellung entsprechender Informationen nicht als angezeigt erscheinen ließ. Eine Verletzung von Art. 12 DÜ II VO wird bereits nicht ersichtlich.

Die Einzelheiten zur Erfassung von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergeben sich aus der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11. Dezember 2000 über die Errichtung von "EURODAC" für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens (Amtsbl. EG v. 15.12.2000 Nr. L 316/1; im Folgenden "EURODAC-Verordnung").

Der Kläger hat hier unzweifelhaft sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Schweden bereits ein Asylverfahren durchgeführt.

Liegt eine solche Sachlage vor, ist grundsätzlich auf das Land abzustellen, in dem das letzte Asylverfahren durchgeführt wurde. Das ist hier Schweden.

Besteht die Möglichkeit des Selbsteintrittsrechts eines jeden Staates kann es nicht im Sinne der Regelung sein, dass daneben latent die alte Zuständigkeitsregelung, zuständig ist der Staat, in dem das erste Asylgesuch eingereicht wurde, bestehen bleibt. So heißt es auch in Art. 15 Abs. 4 "Dublin II-Verordnung": "Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Ersuchen statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen". Hieraus wird bereits deutlich, dass eine Restzuständigkeit nicht woanders verbleiben soll.

Anderes kann jedoch dann gelten, wenn die Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats erloschen ist, Art. 16 Abs. 3 DÜ II VO. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der Kläger behauptet im Verfahren, sich in der Zeit vom 21. November 2009 bis April 2010 [sich] in der Türkei aufgehalten zu haben und damit für mehr als drei Monate das Unionsgebiet verlassen zu haben, substantiiert darzulegen vermag er dieses jedoch nicht. Wenn der Kläger hierzu angibt, dass die Bundesrepublik Deutschland es bei dem Überstellungsersuchen an Schweden unterlassen habe, auf seine diesbezüglichen Angaben hinzuweisen, ist dies unbeachtlich. Zwar sagt Art. 17 Abs. 3 DÜ II VO aus, dass Beweismittel und Indizien zu benennen sind, jedoch ist die alleinige Aussage eines Klägers nicht zwangsläufig hierunter zu fassen. Zunächst fällt die Aussage allenfalls unter den Begriff Indiz. Für Indizien besteht jedoch die Maßgabe nach Art. 18 Abs. 5 DÜ II VO, dass diese kohärent nachprüfbar und hinreichend detailliert sein müssen. Diesen Anforderungen genügte die Aussage des Klägers bei seiner Wiedereinreise in die Bundesrepublik nicht. Jedenfalls enthält die Aussage keine Anhaltspunkte, die eine zusammenhängende Nachprüfung dieser Aussage ermöglichen. Damit erging der Bescheid der Beklagten vom 14. August 2009 in rechtmäßiger Weise.

Auch im Nachhinein hat sich dies nicht differenzierter dargestellt. Auch der Bruder des Klägers vermochte in der mündlichen Verhandlung nicht mit Bestimmtheit, erst recht nicht aus eigener Anschauung zu berichten, dass der Kläger mehr als drei Monate außerhalb des Unionsterritoriums gewesen ist. Seinem subjektiven Eindruck nach trifft dies zwar zu, er vermochte hierfür jedoch auch keine Belege zu benennen oder gar vorzulegen.

Darüber hinaus ist Überprüfung, ob der andere EU-Staat (Schweden) zu Recht dem Übernahmeersuchen stattgegeben hat, allenfalls den Gerichten des anderen Staates (Schweden) möglich. Dies zeigt die klare Positionierung in der DÜ II VO, dass, wenn einem Ersuchen stattgegeben wird bzw. ein Selbsteintrittsrecht ausgeübt wird, dies zuständigkeitsbegründend ist.

Mithin kann auch die Frage daneben auch dahinstehen, ob die Bundesrepublik zu Recht das Übernahmeersuchen gestellt hat, jedenfalls wenn der andere Staat diesem nachkommt. Überprüfbar in der Bundesrepublik bleibt nur der Bescheid der Beklagten.

Soweit von Klägerseite weiter vorgebracht wird, ein ordnungsgemäßes Asylverfahren wurde von Schweden in Bezug auf den Kläger nicht (mehr) durchgeführt, berührt dies die vorliegende Entscheidung des Bundesamtes in keiner Weise. Die Durchführung eines Asylverfahrens in Schweden und die Einhaltung der insoweit durch europäisches Recht vorgegebenen Mindeststandards sind allein Sache Schwedens. Gegebenenfalls wäre insoweit die Kommission der Europäischen Union einzuschalten.

Liegen aber die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG vor, so konnte das Bundesamt wie in Nr. 2 des verfahrensgegenständlichen Bescheides geschehen, auch die Abschiebung des Klägers nach Schweden anordnen. Voraussetzung war insoweit nur, dass diese Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies war spätestens dann der Fall, als Schweden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 20 der "Dublin II-Verordnung" (hier: Abs. 1 Buchst. c), mit Schreiben vom 15. Juli 2009, positiv reagiert hatte.

Eine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage in einem Drittstaat - hier Schweden - lag nicht vor. Eine solche könnte dann in Betracht kommen, wenn dem Ausländer nach der Abschiebung in den zuständigen EU-Mitgliedsstaat dort ein die europäische Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft verletzendes Verfahren droht. Hierzu kann auch festgestellt werden, dass nach den Art. 5 bis 9 und Art. 15 "Dublin II-Verordnung" der Kläger keinen daraus ableitbaren subjektiven Anspruch auf die Durchführung seines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland hat. Dass sich sein Anliegen auf eine Ermessensreduzierung auf Null reduziert haben könnte, dass die Bundesrepublik Deutschland von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müsste, ist nicht erfolgt. Dafür mangelte es bereits an einer entsprechend verdichteten Sachlage. [...]